Carl Maria von Weber an Giacomo Meyerbeer in Darmstadt
München, Freitag, 17. Mai 1811
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Liebster Bruder!
Welche Freude mir dein lieber Brief vom 1t May machte den ich gestern erhielt, brauche ich dir wohl nicht erst zu beschreiben, und wollte ichs auch, so könnt ich es nicht, obwohl der Musje Voltaire sagt l’homme peut tout ce quil veut*. — genug, — ich verschlang ihn ein paar mal, las ihn dann ordentlich, und gieng dann in die Italienische Oper Numa Pompilius von Pär*, in der Brizzi himmlisch singt*. doch davon ein andermal, und nun wieder zu deinem Briefe. übereilt hat er sich nicht der Coujon, den er hat netto 16 Tage von Darmstadt hieher gebraucht, das ist unerhört, und vielleicht schimpfst du schon auf mich daß ich nicht präziser antworte. unterdeßen muß auch schon mein Momento capricioso gestochen* unter deinen Händen seyn, denn ich schikkte es den 27t Aprill an Hoffmann ab, /: von dem du mir gar nichts schriebst :/ das Oratorium* war keine kleine Arbeit, das gebe ich gern zu, und ärgert es mich höllisch daß ich es nicht sehen kann, besonders da mir Gottfr: W: so viel davon geschrieben hat*. nun so Gott will, höre ich es vielleicht in Berlin*. aufgeführt muß es jezt schon seyn, und fleißig werde ich die Berliner Zeitung nach sehen ob nichts davon drinn steht*. daß es gut ist bezweifle ich keinen Augenblik, denn dem Himmel sey Dank schlechte Waare kann nicht leicht aus unsrer Fabrik kommen. daß ich über die 8 Thema* gelacht habe ist sehr wahr, und lache ich wirklich jezt da ich davon schreibe recht herzlich, doch nur in Beziehung auf unsere Nekkereyen über diesen Gegenstand, denn so wie du sie da benuzt hast stehen sie gewiß auf ihrem Plazze. Hast du dich lange in Heidelberg aufgehalten, hast du Roek da gesprochen, den neugeworbenen? und bist du nicht von da nach Mannheim gerutscht?*
Daß du den Wießenhütten zermalmt* hast ist ganz recht, und ich versichere dich auch hingegen, daß in ganz München kein Musikalischer Mensch ist, der nicht Billionenmal von mir gerädert worden wäre. der Beyfall in meinem Concert* war wirklich teuflisch, und das Orchester accompanirte mit einer Liebe und Aufmerksamkeit die einzig war. du hast ja einen Zettel* und kennst die Stükke ich brauche dir daher von weiter nichts als von dem Concertino zu sprechen was ich für Bärmann /: der dich dankend grüßt :/ comp: habe. es fängt mit einem imponirenden Gesangreichen adagio an, fällt in ein herzliches Thema, welches durch verschiedene Mittelsäze unterbrochen varrirt ist, und endigt in einem fröhlichen brillanten 68 Takt. er hält es für sein bestes Musikstük, und ich halte es auch nicht für schlecht. seitdem habe ich ihm wieder ein Concert aus F moll geschrieben, wo auch einige Kniffe drin vorkommen, doch alles sehr klar und wenig modulirt. ich bin genöthigt noch einige Zeit hier zu bleiben, weil alles Concerte und Arien | von mir geigen und pfeiffen und singen will*. im Morgenblatt steht schon etwas von meinem Concert, aber die Elegante, und die Berliner könntest du bedenken*. besonders aber bitte ich dich jezt alle Minen springen zu laßen, denn schon im Februar d: 19t schrieb der KapellMst: Weber an Hiemer* in Stuttgart folgendes, = es freut mich, Ihnen nunmehr sagen zu können daß die von Ihnen überschikte Oper Silvana angenommen ist, und noch dieses Frühjahr aufgeführt werden soll*. ich habe sie schon zum Ausschreiben gegeben, und werde die Proben mit der Liebe und dem Fleiße halten laßen, als wenn sie mein eigenes Werk wäre. = nach diesem zu urtheilen sollte sie schon gegeben seyn, aber ich habe nichts davon gehört, und Weber hat seit der Zeit auch nicht mehr geschriebenT. ich bitte dich also sehr an ihn zu schreiben*, und um die Beschleunigung der Aufführung zu bitten. glaubst du daß es gut wäre wenn ich an ihn schriebe, und ihm mein Kind empfähle? vielleicht kann ich Ihm hier auch nüzlich seyn. Daß es mit dem Samori so langsam geht ist doch sehr traurig*, da wird der Arme Haßan auch noch so bald nicht dran kommen*. künftige Woche fangen hier die Proben* von ihm an. unterdeßen wird wohl die Silvana auch wieder gegeben seyn in Frankfurt*, schikke mir einen Zettel wenn du kannst. Vergieß doch nicht mit Mangold wegen den 6 Carolin für meine Violine und Bratsche zu sprechen*, ich kann das Geld gut brauchen. Du Glüklicher der du in Wonne schwelgst, du kannst des berühmten H: Wagners Oper* hören, nein!‡ — was ich dich beneide. — — Wie steht es denn sonst mit dir? wie lange bleibst du noch in D: und wann, oder gehst du nach Paris? du schreibst du hättest mir viel über Vereins Angelegenheiten zu sprechen, thue es doch, ich bin begierig darauf. Wegen Gombart und deinen Canzonetten will ich schon gehörig schimpfen*. die Fußreise durch die Bergstraße wird nun vorbey seyn, und wie ist sie abgelaufen. Von meinem Leben und Weben, kann dir nichts sagen, als daß ich fleißig bin, mich recht gut amusire, indem ich auch sogar ein paar interessante Intriguen habe, und daß mir nichts fehlt, als ein Freund, du oder einer der unsrigen. ich werde wahrscheinlich auch ein Großes Oratorium schreiben, die Erfindung der InstrumenteT. ein schöner Stoff, nicht wahr? Max Heigel, bearbeitet ihn, ein junger Mann voll Kopf und Geist, etwas überspannt, aber sonst auch viel Routine.
Unserm Theuren Lehrer alles Erdenkliche Liebe und Gute von mir, | ich hätte ihm schon längst wieder geschrieben, wenn ich nicht etwas hätte mitschikken wollen*, daß der Bengel von Zeitungsschreiber immer noch nicht gedrukt hat. Nun muß ich erstens‡ aus 1000000 Gründen schließen, 1tens muß ich jezt ausgehen, 2tens weis ich nichts mehr, und 3tens peinigt mich die Ungeduld diese Zeilen in deinen Händen zu wißen. über logische, rethorisch ästhetische Anordnung in meinem Briefe brauchst du dich auch nicht zu beschweren, und das beste daran ist, daß er geschrieben ist, daß du ihn lesen wirst, und also auch den ewigen Refrain unseres Lebensliedes, daß ich ewig bleibe dein treuster Bruder W:
München d: 17t May 1811.
Apparat
Zusammenfassung
über Meyerbeers Oratorium, Vereinsangelegenheiten; Webers Münchener Konzert, insbes. das Concertino; Silvana für Berlin; Oratorienplan; Verleger Gombart
Incipit
„Welche Freude mir Dein lieber Brief vom 1t May machte“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: N. Mus. Nachl. 97, A/48Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelspur u. -loch
- PSt: R. 4. MÜNCHEN. | 17 MAI. 1811.
Provenienz
- Sotheby 21./22. Mai 1987, Nr. 455
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 103–105
-
Worbs 1982, S. 31–33
Themenkommentare
Textkonstitution
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„!“„,“ überschrieben mit „!“
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„erstens“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„Numa Pompilius von Pär“Ferdinando Paër, Numa Pompilio, Dramma erioco-pastorale in 3 atti, vgl. Tagebuch 16. Mai 1811 und Theaterzettel München, Theatermuseum.
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„Brizzi himmlisch singt“Anton Brizzi sang die Titelrolle.
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„Momento capricioso gestochen“„Momento Capricioso | per il | Piano Forte | Composto e dedicato | al suo Amico | MEYER BEER | Compositore e Professore di cembalo | di CARLO MARIA de WEBER“ bei Gombart erschienen (PN 533).
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„das Oratorium“Vgl. Brief an Gänsbacher vom 27. Februar 1811, Nachschrift.
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„drinn steht“K. F. Rellstab besprach das Konzert am 8. Mai 1811, in dem auch Meyerbeers Werk aufgeführt wurde, in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 58 (14. Mai 1811).
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„die 8 Thema“Gemeint sind die Gesänge der vier Elemente im Chor der Elemente (Nr. 8) aus Giacomo Meyerbeers Gott und die Natur, die mit einer je eigenständigen Begleitung acht Themen ergeben, die dann kombiniert werden, vgl. dazu Aufführungabesprechung: „Gott und die Natur“ von Giacomo Meyerbeer am 8. Mai 1811 in Berlin.
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„in Heidelberg aufgehalten, … nach Mannheim gerutscht?“Über Meyerbeers Reise nach Mannheim und Heidelberg war nichts zu ermitteln.
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„… Daß du den Wießenhütten zermalmt“Möglicherweise könnte der hessen-darmstädtische Staatsminister Carl Ludwig von Barckhaus gen. von Wießenhütten (1761–1823) gemeint sein, wohl eher nicht der hessen-darmstädtische Diplomat Franz Wilhelm Barckhaus gen. von Wießenhütten. In der Meyerbeer-Briefausgabe (Bd. 1, 1960, S. 103 und 735, dort Lesung „Wisenhütter“ und Zuordnung als Pianist) wird im Kommentar (S. 602) vermutet, dass Weber hier auf eine unbekannte Rezension Meyerbeers eingeht.
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„in meinem Concert“Konzert am 5. April, vgl. Brief an Franz Joseph Fröhlich vom 30. März 1811.
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„einen Zettel“Vgl. Programmzettel zu Webers Konzert in München am 5. April 1811, Quelle: München, Theatermuseum.
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„alles Concerte und … und singen will“Vgl. Brief an Gottfried Weber vom 30. April 1811.
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„die Elegante , … könntest du bedenken“Weder in der Zeitung für die elegante Welt, noch in der Vossischen bzw. Spenerschen Zeitung erschien eine Kritik Meyerbeers.
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„an Hiemer“Brief von B. A. Weber an Franz Carl Hiemer nicht ermittelt.
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„an ihn zu schreiben“Brief Meyerbeers an Bernhard Anselm Weber nicht ermittelt.
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„mit dem Samori … doch sehr traurig“Weber hatte schon Anfang 1811 von einer bevorstehenden Aufführung der Oper Voglers gesprochen (vgl. Brief an Gottfried Weber vom 30. Januar 1811, das Werk ging aber erst am 30. Juni 1811 in Darmstadt nach einer ausgiebigen Probenphase in Szene.
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„der Arme Haßan … nicht dran kommen“Abu Hassan wurde in Darmstadt erstmals am 29. Januar 1815 aufgeführt.
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„künftige Woche fangen hier die Proben“Vgl. Brief an Gottfried Weber vom 15. Mai 1811.
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„H: Wagners Oper“Von Carl Jacob Wagner waren in Darmstadt bereits folgende Opern aufgeführt worden: Pygmalion, große Oper in 2 Akten (1797), Der Zahnarzt, komische Oper in 1 Akt (9. Juni 1808), Die Wiedergenesung, Singspiel in 1 Akt (1808) und Der Rückmarsch ins Vaterland, Singspiel in 1 Akt (1810). Seine zweiaktige tragische Oper Siuph und Nitetis hatte erst am 26. Dezember 1811 Premiere.
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„Gombart und deinen … schon gehörig schimpfen“Offenbar wollte Meyerbeer seine 1810 komponierten Six Canzonettes italiennes bei Gombart verlegen lassen, wozu es jedoch nicht kam. Vgl. Brief an Johann Gänsbacher vom 9. Oktober 1810.
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„etwas hätte mitschikken wollen“Möglicherweise meint Weber hier den Bericht über Darmstadt, der im Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 5, Nr. 118 (17. Mai 1811), S. 472 erschien (= Städtecharakteristik: Darmstadt).