Giacomo Meyerbeer an Gottfried Weber in Mannheim
Darmstadt, Mittwoch, 22. Mai 1811

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Lieber Bruder!

Wer denn der Herr Henning ist, frägst Du? Ein recht braver Komponist und ein sehr braver Violonist, der sogar schon einmal das Glück hatte, mit dem großen Manne ein Doppelkonzert für Violin und Pianoforte zusammen zu komponieren*. Ich will dem Jungen ein Konzert im nächsten Herbst ausstatten, daß sich ganz Berlin wundern soll, und Du Hund es Dir zur großen Ehre rechnen, daß Deine Werke in einem solchen Konzerte aufgeführt werden. Ich werde ihm zu diesem Ende senden 1. eine neue Symphonie aus Es-dur von mir, 2. Voglers Trichordium (das man noch nie in Berlin gehört hat), 3. muß Weberl dazu seine türkische Ouvertüre aus "Abu Hassan" geben, 4. das Dir bereits oben genannte Doppel-Konzert von mir und Henning, welches er mit einem Eleven von mir exekutieren wird, und 5. endlich Dein "Deucalion", weßhalb ich an Iffland expreß schreiben werde, damit er die Deklamation übernimmt, und welches alsdann mit einem Orchester und Chor von 60 Personen unter des trefflichen Kapellmeister Webers Leitung aufgeführt werden soll. Rechne dazu noch einige Konzerte und Arien der ersten Virtuosen und Sänger. Ich gebe Dir mein Wort: noch ehe die Kasse geöffnet wird, müssen sich die Menschen schadweise zu Tode drücken. Für die nach dem Konzerte zu exekutierenden Posaunenstöße werde ich sorgen*.

Ich bin der Meinung, daß Du die Musik vorher nicht in Mannheim aufführst, doch überlege Dir das. Ich rechne indeß zwischen hier in 14 Tagen auf Deine bestimmte Erklärung, ob Du mir das Werk bis zum Herbste liefern wirst oder nicht; in letzterm Fall wäre es Dein großer Schade, weil ich über 2 Jahren gewiß nicht mehr in Deutschland bin und alsdann nicht mehr so tätig für Dich wirken kann.

Vom Weberl habe ich 2 Briefe nebst 3 Exemplaren seines "Momento capricioso" erhalten. Wahrscheinlich sollen zwei davon für Dich sein. Ich sende sie Dir deshalb mit der nächsten fahrenden Post nebst seinen Briefen an mich. Zu gleicher Zeit werde ich alsdann eine kleine ’Cantate’ von mir beilegen, welche ich vorige Woche auf das Geburtsfest meines Vaters komponiert habe. (Nota bene in 3 1/2 Tagen*.) Ich kann mich nun einmal über meine Sachen nicht freuen, bis ich weiß, ob sie Dir, verfluchter Seehund, gefallen oder nicht.

Wie mein Oratorium gefallen hat, frägst Du mich? Der Erfolg davon hat meine allerkühnsten Erwartungen übertroffen. Schon in den Proben machte diese Musik ein solches Aufsehen, daß die Musikliebhaber haufenweise herzuliefen. Die Aufführung entsprach dem Succeß, den die Komponisten ihr schon in den Proben vorausgesagt hatten. Freunde und Feinde, Fremde und Bekannte waren von gleichem Enthusiasmus ergriffen.

Den Morgen nach der Aufführung schrieben mehrere berühmte Komponisten und Dichter (worunter sich sogar meine erklärte[n] Gegner befanden) die schmeichelhaftesten Billete und Briefe an mich! unzählige Gedichte wurden auf mich und sogar auch auf Schreiber gemacht (ich lege Dir ein paar von diesen dummen Dingern in Abschrift mit bei, ein paar andere findest Du in der mitkommenden Zeitung)*; auch die Recensionen in den beiden Berliner Zeitungen, die ich Dir mitsende, wirst Du schmeichelhaft genug finden, welches um so mehr zu verwundern ist, da sie beide von Feinden von mir verfaßt sind, und die eine sogar (welche ich angestrichen habe) meinen berüchtigten Gegner Rellstab zum Autor hat, der einige Monate vorher so beißend über mich abgeurteilt hat*. Welche Demütigung für diesen Elenden. so fast wider seinen Willen mich loben zu müssen!

Die Aufführung war vortrefflich von Seiten der Instrumente sowohl als auch des Chors*. Die Schmalz, Gern und Eunike sangen herrlich, besonders letzterer. Als man ihm in der Probe zurief, er hätte seine Arie wie ein Engel gesungen, antwortete er darauf: „Aber die Musik dazu kömmt auch vom Himmel.“ (Na, Du Seehund, verzieh nur nicht so malizieuse die Lippen, indem Du dieses liest.) Es sind mir auch schon seit der Zeit 7 Opernsujets angeboten worden; kurzum das Publikum ist toll und voll von der Musik.

Ich bin es überzeugt, daß Du nicht glaubst, es geschehe aus miserabler Eitelkeit, daß ich Dir alle diese Details mitteile; denn wer weiß wohl mehr als wir, von wie vielen elenden Zufällen das Gelingen oder Mißfallen eines Werkes abhängt, und welche unrichtige und schiefe Ansichten meistenteils das Urteil des Publikums leiten, wie wenig man sich also auf das Reussieren eines Werkes zugute tuen darf. Allein in den Verhältnissen, wo wir stehen, halte ich es sogar für Schuldigkeit, Dir aufs allergenaueste zu referieren, und habe das auch ebenso treulich getan, als mein „Psalm“ nicht gefiel. Doch genug davon. So wie die Sachen jetzt stehen, kannst Du mit Überzeugung 8 bis 10 pompöse Zeilen ins „Badische Magazin“ von der Musik einrücken*, um die Mannheimer darauf begierig zu machen; denn da die Musik jetzt gewiß gestochen wird, so gehört es unter meinen Hauptwünschen, sie [noch] einmal zu hören, um mich von unzähligen Sachen, über die ich noch schwanke, zu überzeugen.

Im Fall Du es irgend möglich machen kannst und Dich vielleicht das Ausschreiben genieren sollte, so will ich das wohl besorgen, denn ich habe hier einen exzellenten Kopisten. Allein es müßte bald sein, spätestens in

4 Wochen, denn erstens verreise ich bald und zweitens kann auch mein Verleger nicht mehr sehr lange warten.

Ich habe nun mit Dir über meinen Lieblingswunsch ganz frei gesprochen; sage Du mir nun ebenso frei, ob nicht vielleicht Hindernisse und Verhältnisse Dich verhindern, ihn zu erfüllen. Im Falle Du es aber mit Besiegung einiger Schwierigkeiten aufführen könntest, so fürchte nur nicht, daß ich Dir alsdann immerwährend mit meinen Musiken über den Hals laufen werde. Im Gegenteil; sogar will ich Dir zu mehrerer Sicherheit das schriftliche Versprechen geben, nie wieder einen Fuß in Mannheim zu setzen*.

Ich habe vor kurzen wieder ein neues Blatt gesehen: „Süddeutsche Miszellen für Leben, Litteratur und Kunst“. Es kömmt in Karlsruhe heraus und hat, wie man sagt, einen Herrn Rehfuß zum Redakteur*. Warum ist dieses Blatt noch nicht unser? Karlsruh liegt in Deinem Departement; schreibe hin oder laß den Unknown, das geliebte Beest, schreiben; dieser Bruder tut gar nichts für den Bund.

Ad vocem schreiben und rezensieren. Du wirst aus den Berliner Zeitungen ersehen, daß diese Menschen nicht einmal vernünftig loben können. Das „Chor der Elemente“ berühren sie gar nicht, und ich wette darauf, sie können nicht einmal dessen Konzeption entziffern. Ebenso geschah es mit dem Choral No. 10. [„Er war er ist, und er wird seyn Kraft.“] Wie wäre es daher, wenn Du Dir aus Deinem trefflichen gediegenen Brief an mich über diesen Gegenstand zwei Auszüge machtest, einen kleinen und einen großen. Den ersten könntest Du nach dem „Morgenblatte“ senden*, den zweiten aber (da Du mit der „Musikalischen Zeitung“ broulliert bis) an Weberl, damit er denselben unter seinem Namen an Härtel schickte*. (Ich schicke Dir zu diesem Ende heute Deinen Brief wieder zurück.) Du müßtest aber die Gefälligkeit haben, Dich gleich an diesem Auszuge zu machen, damit Dir die Berliner Rezensenten nicht zuvorkommen. Was die Rezension des übrigen Teils des Konzerts enthält, so kannst Du Dich ja ganz an die Berliner Zeitungen halten, welche ich übrigens morgen schon zurückerwarte, weil ich sie höchst nötig brauche. Hörst Du? Du kannst sie Dir aber auf meine Kosten abschreiben lassen, denn sie müssen ja ohnedem ad acta kommen*. Ich hoffe übrigens nicht, daß Du der Journalisten halber Anstand nehmen wirst, ein in Berlin gegebenes Werk zu rezensieren, weil Du in Manheim bist. Du kannst ja dort Deine Korrespondenten haben oder selbst auf kurze Zeit da gewesen sein.

Was macht denn der Bruder Roek? Warum ist er nicht in Tätigkeit? Laß ihn an Castelli in Wien schreiben (qua Reisender), den Personalbestand der Mannheimer Bühne einsenden (das empfiehlt), über den Verfall der Kirchenmusik klagen und dabei Deiner „Messen“ rühmlichst erwähnen. Auch etwas über Berlin kann er sagen: die "Vestalin" von Spontini und "Deodata" vom Kapellmeister Weber kann er exzentrisch loben, denn sie sind Lieblingsstücke des dortigen Publikums, das erste wegen seiner genialischen Vermischung des italienischen und französischen Genres, indem sie einen göttlichen Gesang mit braver Deklamation und kunstreichen Behandlung des Orchesters vereinet (letztere nur etwas zu chargiert); das zweite seiner energischen Accente halber, auch wegen der kraftvollen Deklamation und des echt dramatischen Geist, der sich in allen Chören ausspricht. Der "Taucher" von Reichardt hat nicht gefallen; den muß er etwas bedauern, da Reichardt ein verdienstvoller Mann ist. Auch etwas von Webers Concert spirituel kann er sagen und dabei meines Oratoriums erwähnen, wozu Du ihm die nötige Anleitung geben kannst .

Ein Konzert in Darmstadt zu geben, halte ich für jetzt fast unmöglich, allein es wird mir doch lieb sein, Herrn Tollmann kennen zu lernen; empfiehl ihn mir also.

"Samori" wird vor 3 bis 4 Wochen nicht gegeben werden.

Die "Hymnen" sind noch nicht mein.

Dusch danke ich tausendmal für sein Gedicht. Nächstens werde ich ausführlicher darüber schreiben, denn für heute muß ich schließen. Dein treuer Bruder Philodikaios.

Ich brauche meinen Hut notwendig. Um Gottes willen, so mache doch, daß ich ihn bekomme.

Apparat

Zusammenfassung

über Henning u. ein geplantes Berliner Konzert; GW solle seinen Deucalion vorher nicht aufführen; erwähnt Post von CMvW; ausführlich über den Erfolg seines Oratoriums u. Pressestimmen; bittet um Weitergabe entspr. Nachrichten; erwähnt neues Blatt für den Verein; über versch. Aktivitäten der Brüder; Roeck soll sich an Castelli wenden

Incipit

Wer denn der Herr Henning ist, frägst Du?

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: In Privatbesitz

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Becker I, S. 106–110

Textkonstitution

  • „diesem“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… und Pianoforte zusammen zu komponieren“Zu dem Doppelkonzert vgl. eine kurze Besprechung der Aufführung in Berlin vom 4. Februar 1813 in der AmZ 1813, Sp. 161 (Info: Becker).
  • „… exekutierenden Posaunenstöße werde ich sorgen“Becker hat dazu nichts weiter ermittelt.
  • „… bene in 3 1/2 Tagen“Jacob Hertz Beer feierte seinen Geburtstag nach dem jüdischen Kalender am 5. Siwan. Da die Monate dieses Kalenders nach dem Mondzyklus berechnet werden, ergeben sich Abweichungen zu den Daten des gregorianischen Kalenders. 1769 (in Beers Geburtsjahr) fiel der 5. Siwan auf den 10. Juni, im Jahr 1811 hingegen auf den 28. Mai; vgl. auch Becker I, S. 112, Anm. 1.
  • „… Du in der mitkommenden Zeitung)“ Laut Becker I, S. 604, Anmerkung 107, 3 ließ Gottfried Weber auf Grund der mitgeschickten Zeitungen einen Absatz im Badischen Magazin einrücken (Nr. 75 v. 28. Mai 1811).
  • „… beißend über mich abgeurteilt hat“ Laut Becker I, S. 604, Anm. 107, 4 ist Rellstabs Kritik des 98. Psalms in der Vossischen Zeitung gemeint.
  • „… sowohl als auch des Chors“Aufführungsbesprechung in der Kgl. Priv. Berl. Zeitung vom 14. Mai 1811 von K. F. Rellstab; zitiert bei Becker I, S. 600f.
  • „… Magazin von der Musik einrücken“Vgl. Anmerkung oben.
  • „… Fuß in Mannheim zu setzen“Gab es eine in Mannheim?
  • „… einen Herrn Rehfuß zum Redakteur“ Rehfues, Philip Joseph von (1779–1843), Angabe von Becker.
  • „… Du nach dem Morgenblatte senden“Ist im Morgenblatt ebenfalls ein Auszug erschienen??
  • „… seinem Namen an Härtel schickte“ Webers Rezension erschien in Gottfried Härtels AmZ am 21. August 1811 (Bd. XIII, Sp. 570.
  • „… ja ohnedem ad acta kommen“ D. h. sämtliche Besprechungen von Werken der Brüder wurden im Archiv auch gesammelt!!!

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