Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher in Wien
Darmstadt, Dienstag, 9. Oktober 1810

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Liebster Freund!

Im Nahmen Papas ergreiffe ich die Feder um Ihren Brief vom 3t huj: zu beantworten, und in meinem Nahmen, um Sie zu puzen, daß Sie über mich schimpfen, habe ich etwa nicht unterm 24t Sept: einen Ellenlangen Brief an Sie nach Hagensdorf geschrieben? von dem ich nicht begreiffe daß Sie ihn noch nicht erhalten haben? und hätte ich eher schreiben sollen als meine Oper gegeben war?* He?!! den 26t ist sie zum 2ten male mit großem Beyfalle gegeben, und so vortrefflich executiert worden, daß mir wenig mehr zu wünschen übrig blieb. sollten Sie etwas darüber im Morgenblatte pp finden, so sorgen Sie doch dafür daß auch in irgend [eine] Zeitschrift in Ihrer Nähe* ein Auszug davon komme.      Wie steht es denn mit Ihrer Oper?* und haben Sie außer dem Chor* nichts neues componirt. wenn was in Wien pp in einer Zeitung von Ihnen steht, so schikken Sie es gleich, damit es der Bund weiter verbreite.      Der Wechsel* ist richtig angekommen und Papa hat ihn H: Bauscher in Frankfurt gegeben zum eincassiren, aber noch nicht Rechnung darüber erhalten, er zweifelt aber gar nicht daß es gerade die Summe betragen wird. wegen dem andern sagt er brauchten Sie sich gar nicht zu geniren, und hätte es mit Freuden Zeit bis im May. Papa hätte Ihnen gern geschrieben, hat aber so viel mit einer neuen Abhandlung über die hebräische Scansion zu thun daß es ihm unmöglich ist.      Zu Ende October gebe ich mein Concert in Frankfurt* und gehe dann über München, Berlin, Hamburg, pp meinem Plane nach.      unterdeßen arbeite ich hier wie ein Vieh. besonders geniren mich 6 kleine Sonaten* für André von denen ich aber schon 3 fertig habe. auch am Künstler Leben arbeite ich fleißig*T, und auch Papas Biographie ist angefangen*[.] Lezteres ist nun freylich ein Werk an deßen Beendigung ich jezt nicht denken kann, aber doch thue ich so viel mir möglich ist. Was gäbe ich darum, wenn ich zu Ihnen nach meinem lieben Wien fliegen könnte, | Weber von Mannheim schreibt mir fleißig, und denkt oft an Sie. Seine Frau wird binnen 14 Tagen in die Wochen kommen. von Berger* habe ich seit er in Stuttgart ist, nichts gehört, er ist auch zu faul zum schreiben. Unser schöner Heidelberger Zirkel* ist ganz zerstört, die Meisten weggereißt und concilirt, Schleifer, Lowzow, die beyden Starkloff, und noch ein paar, deren Nahmen mir nicht einfallen, haben Heidelberg verlaßen. da mein Klavier Concert* jezt ganz fertig ist, möchte ich es gar zu gern in Mannheim spielen, aber ich glaube nicht daß meine Verhältniße mir erlauben werden jezt wieder dahin zu gehen. habe ich einmal das lederne Darmstadt verlaßen, so wird es wohl schneller mit mir vorwärts gehen. — ich habe vorgestern unsre alte Hausfrau* besucht, die sich angelegentlichst nach Ihnen erkundigte, und der ich versprach Sie von ihr zu grüßen, unsre Aufwärterin das häßliche Beest, — Heyrathet! man denke! einen Kanzleydiener, der zwar ein wenig saufen soll, aber doch übrigens eine vortreffliche Seele ist. H: Reiner macht noch immer wizzige Bemerkungen, Therese singt noch immer falsch, H: Beer Collega macht Canzonetten und Psalme*, die Alte schnupft Tabak, die Mariane winselt, die Bärbel kocht, und das Haus hat sich um einen schwarzen Köter von Hund vermehrt, den H: Beers Bedienter prügelt, und der Herr küßt, und nun haben Sie den vollkomensten Bericht von unserm Hause.

ich erwarte einen ewig langen Brief von Ihnen, und bin ewig Ihr treuster Harmonischer Bruder Weber. sive Melos.

a propos, Weber heißt G: Giusto in seinen Unterschriften künftig[.] Briefe an mich adressiren Sie an Papa.

Papa empfiehlt sich der Fräulein von Paradies bestens, so wie ich auch.

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über die Aufführung der Silvana in Frankfurt; Reisepläne für Oktober; teilt mit, dass die Sechs Sonaten für André fertig seien, dass er am Künstler-Leben und an der Vogler-Biographie arbeite; Bericht über die häuslichen Verhältnisse in Darmstadt

Incipit

Im Nahmen Papas ergreiffe ich die Feder um Ihren Brief

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bibliothek (A-Wgm)
    Signatur: Weber an Gänsbacher 5

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • Vermerk von F. W. Jähns am unteren Rand der Versoseite (Tinte): „Eigenhändig von C. M. v. Weber. pseudonym: Melos (Weber ist Gottfried Weber. pseudonym: G. Giusto. — Papa ist der Abt Vogler — ihr Lehrer)“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Nohl 1867, S. 185–186
    • Worbs 1982, S. 29–30

Themenkommentare

    Einzelstellenerläuterung

    • „meine Oper gegeben war?“Silvana, Uraufführung am 16. September 1810.
    • „Zeitschrift in Ihrer Nähe“ Nachdruck bisher nicht ermittelt.
    • „Ihrer Oper ?“ Des Dichters Geburtsfest. Ein Liederspiel in einem Aufzuge. Text von Friedrich Treitschke (publiziert in: Wiener Hof-Theater-Journal: auf d. Jahr 1807, Jg. 4, Wien, S. 103–142). Gänsbacher wollte das Werk in Wien zur Aufführung bringen (vgl. Brief Webers an Gottfried Weber vom 12. Oktober 1810), der Plan scheiterte jedoch (vgl. dazu auch Meyerbeers Brief an Gänsbacher vom 10. Januar 1811, Becker, Meyerbeer, Bd. 1, S. 89. Meyerbeer hatte Conradin Kreutzer, der in Darmstadt konzertierte, über Gänsbacher befragt).
    • „dem Chor“Zu Kotzebues Kreuzfahrern (vgl. Denkwürdigkeiten, S. 40).
    • „Der Wechsel“Gänsbacher hatte vor seiner Abreise von Darmstadt im Juli Geld von Vogler geliehen, vgl. Denkwürdigkeiten, S. 39: „Schon früher gab mir Vogler 70 fl. auf Kredit; ich bath ihn noch um 30 fl., die ich ohne Anstand erhielt [...]“.
    • „Concert in Frankfurt“Aus Webers geplantem Konzert wurde jedoch nichts, vgl. Brief Webers an Gottfried Weber vom 23. Oktober 1810, Brief Webers an Gottfried Weber vom 1. November 1810, Brief Webers an Simrock vom 3. November 1810 und Brief Webers an Gänsbacher vom 7. Dezember 1810.
    • „6 kleine Sonaten“Vgl. Brief Webers an Gottfried Weber vom 8. Oktober 1810 .
    • „Künstler Leben arbeite ich fleißig“ Im Tagebuch sind Arbeiten an dem Roman nur am 24./25. September erwähnt.
    • „Papas Biographie ist angefangen“ Zu diesem nicht vollendeten Projekt vgl. die überlieferten Schriften: Aufsatz über Abbé Vogler und den Artikel über Abt Voglers Jugendjahre sowie Brief Webers an Gottfried Weber vom 23. Juni 1810.
    • „Berger“ Ludwig Berger wechselte im Oktober 1810 nach Stuttgart.
    • „Heidelberger Zirkel“Vgl. Ursula Reichert, Musik in Heidelberg. Die Zeit der Romantik, in: Musik in Heidelberg 1777–1885, Heidelberg 1985, S. 62–82; Friedrich Walter, Karl Maria von Weber in Mannheim und Heidelberg 1810 und sein Freundeskreis, in: Mannheimer Geschichtsblätter, Jg. 25 (Januar/Februar 1924), Sp. 18–73; Gänsbacher, der am 29. Mai mit Dusch zu Webers Konzert nach Heidelberg reiste, erwähnt unter dem 31. Mai eine Gesellschaft mit Studenten („meistens Hansastädter“), Carl Maria und Gottfried Weber, Alexander Dusch und dem Mannheimer Konzertmeister Michael Frey (Denkwürdigkeiten, S. 35/36). Vgl. zum Heidelberger Freundeskreis (Hoffmann, Kamptz, A. Kopp und Gries) auch Duschs Flüchtige Aufzeichnungen.
    • „Klavier Concert“ Vgl. Brief Webers an Gottfried Weber vom 8. Oktober 1810.
    • „Hausfrau“Vgl. die Briefe Webers an Gänsbacher vom 13. Mai und 24. September 1810.
    • „H: Beer Collega … Canzonetten und Psalme“ Meyerbeer vertonte in dieser Zeit mehrere Canzonetten und Psalmen; vgl. seinen Brief von Ende September 1810 an Gänsbacher: „Seit der Zurückkunft von meiner Reise die ich während Ihrer Abwesenheit machte (und die sich bis nach der Schweitz erstreckte) habe ich 12 italiänische Arietten und 6 Kanzonetten komponirt, meine 12 Psalme instrumentirt, und eine italiänische Scene geschrieben, dies melde ich Ihnen nun deshalb um dafür auch recht bald Notizen von der musikalischen Produktion zu erlangen die Sie mit Ihre Muse ervögelt haben.“ (Becker, Meyerbeer, Bd. 1, S. 76). Laut Becker (S. 596) handelt es sich um unveröffentlichte Werke: 12 Ariettes italiennes (Text: Metastasio) und 6 Kanzonetten (1812 der Tochter des Ministers Beyme gewidmet). Das Autograph der Six Canzonettes italiennes für Singstimme und Klavier ist in D-Dl erhalten. Die 12 Psalmen sind bisher nicht nachgewiesen, laut Ingo Zimmermann, Giacomo Meyerbeer, Berlin 1991, S. 434 vertonte Meyerbeer in dieser Zeit die Psalmen 1 (1809), 130 (vgl. Museum Mannheim am 19. November) und 12 (beide 1810).

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