Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher in Innsbruck
Prag, Sonntag, 4. August 1816
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S: Wohlgebohren
dem Herrn Johann Gänsbacher
Oberlieutnant des Löbl: Kaiser Tyroler
Jäger Corps. 2t Battallion.
zu
Lieber Freund und Bruder!
Ich bin fast versucht zu glauben daß du todt bist, wenigstens für alles außer Insbruk. Seit dem 17t März habe ich nichts mehr von dir gehört; keine Zeile Antwort auf die durch Rumpel Meyer überschikten Depeschen. Hast du denn gar so viel zu thun daß dir auch nicht ein Augenblikchen mehr für deinen treusten Freund übrig bleibt, der so allein dasteht in dem trüben Prag, wo keiner seine Lage so gut kennt als du. — Nun, ich weiß es wohl wie es einem mit dem besten Willen gehn kann, daß man nicht zum Schreiben kömt. ich will dir also wenigstens in Kürze referiren wie es mir gegangen ist und geht. von Aprill an fieng ich meine Cantaten Versendung an, die aber bis jezt noch wenig getragen hat, eine Medaille von Preußen, und goldene Dosen von Sachsen und NiederlandenT. 11 große Häupter sind also noch im Rükstande. An unsern gnädigsten Kaiser, hat es der Oberstburggraf abgesendet nebst der dringendsten Empfehlung, doch hat sich bis jezt nichts gezeigt. — die Aufführung von Beethovens Schlacht bey VittoriaT hat das Andenken an meine Cantate recht wahrhaft wieder erwekt*. nach Bremen wurde eine Partitur von mir verlangt zur Jahresfeyer der Schlacht d: 18t Juny. dieß brachte mich auf den Gedanken dem König von Preußen daßelbe vorzuschlagen. Er genehmigte es und ich gieng zu Anfangs Juny nach Berlin um es selbst aufzuführenT wie du aus der Beylage* das weitere ersehen wirst. und wo es mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurde. der H: Graf Brühl entschuldigte sich bey mir daß ihm Romberg aufgedrungen worden sey als KapellMster, und die ganze Kapelle gab mir die grösten Beweise von Anhänglichkeit und AchtungT.
Ich sprach bey der Gelegenheit mit Schlesinger* wegen deinen 4 Liedern, Quartetten und Phantasie*. und er will dafür 12 Fried: dor geben, aber erst im December wenn du dieß zufrieden bist so schreibe es mir daß ich sie im December ihm übergebe und dir das Geld schikke. von Berlin reiste ich d: 9t July mit Vater von Meyerbeer ab über Leipzig, wo man mir antrug die deutsche Oper zu übernehmen künftiges Jahr mit 1500 rh: Gehalt*, nach Carlsbad, wo ich 3 Tage blieb*, viele Bekannte traf, und endlich d: 18t wieder hier ankam. Noch immer macht Liebich Versuche mich hier festzuhalten, sie sind aber natürlich alle fruchtlos. Er war wieder sehr krank. So auch Jungh, der einen Anfall hatte, wo man fürchtete der Schlag möchte ihn treffen. überhaupt hat die arme Fanny über ein halbes Jahr immerwährendes Lazareth in ihrem Hause gehabt. jezt geht es aber gut, und es will die ganze Familie nach Carlsbad gehen auf 3 Wochen*.
in Carlsbad erhielt ich auch einen Antrag nach Dresden als Köngl: KapellMster und Direktor der zu errichtenden deutschen Oper*. ich nahm es unter gewißen Bedingungen an, habe aber seitdem keine weitere schriftliche Bestätigung erhalten, da ich dort alles mit dem Intendanten Grafen Vizthum mündlich abmachte. also Aussichten wären genug da. doch ist alles noch Geheimniß und Niemand weis darum. auch halte ich selbst noch nicht viel darauf da ich meinen Stern kenne. Hier hat sich mancherley verändert. H: Bayers Verhältniß mit Mad: L:-ch ist aus, und hat ein ärgerliches Ende genommen, H: Stöger unser neuer Tenorist hat ihn verdrängt, und beyde Theile schimpfen nun ganz gemein — die Grünbaum | war in München auf Urlaub und hat Furore gemacht*. Er singt gar nicht mehr, und hat selbst erklärt daß er nicht mehr könne. ich bedaure ihn von Herzen. Poisls Athalia habe ich vor meiner Abreise nach Berlin gegeben, und jezt wieder mit H: Häser als Gastrolle*. Ein schönes Werk, aber für die Prager fehlt der Hanswurst.
In diesen Tagen komt der Vater Beer von Carlsbad und die Mutter von Berlin hieher, um den Alimelek von Meyerbeer zu sehen*. dann gehen sie miteinander über München und Innsbruk, wo sie sich sehr freuen dich zu sehen nach Italien, wo die Mutter in Genua die Seebäder brauchen will, und sie sich Rendezvous mit ihrem Sohn der jezt in Neapel ist gegeben haben.
Es sind treffliche liebe Menschen, die mich in Berlin mit Aufmerksamkeit und Liebe wahrhaft überschüttet haben.
Unser H: Siebert ist durchgegangen. was mich in Verlegenheit sezt, da er in allen Opern zu thun hatte, so froh ich übrigens bin diesen unausstehlichen Menschen los zu sein.
Ende September verlaße ich Prag. du darf[st] mich also nicht so lange auf Antwort warten laßen wie bis jezt sonst trifft mich dein Brief nicht. Was meine Gesundheit betrifft, so ist sie Gottlob sehr gut, und mein Gemüth auch viel ruhiger und heiterer. die Lina benimmt sich sehr gut, und zeigt das aufrichtigste Streben beßer zu werden. giebt mir Gott einen Dienst ohne Sorgen der seinen Mann ernährt, und ist Sie in Jahr und Tag noch so brav wie jezt, so verläßt Sie das Theater und wird meine treue Hausfrau. Schüttelst den Kopf? Ein Jahr ist eine lange Zeit, wer da aushält ist gewiß brav.
Von der guten Minette weiß ich gar nichts, als daß Sie mit den Töchtern im Marienbade war, wie mir der Vice Präs: Schüller sagte. ich habe ihr vor einigen Tagen geschrieben, nachdem ich es schändlicher Weise seit ihrer Abreise nicht gethan hatte.
Fr: v: Kleinwächter ist kugelrund und gesund aus dem Bade zurükgekommen*. der Hosenträger liegt längst fertig bey mir, und erwartet eine Gelegenheit nach Insbruk. soll ich ihn dir jezt schikken mit dem Miserere?*
Von Bärmann höre ich auch nichts. Gottfried bin ich Antwort schuldig. Jezt muß ich schließen da die Probe ruft. Gott erhalte dich gesund und frisch, sey nicht so faul und schreibe wies dir geht, wie du lebst und arbeitest, und behalte lieb deinen ewig treuen Bruder Weber Prag d: 4t August 1816.
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über Versendung der Sieges-Kantate; Reisebericht: Berlin – Leipzig – Karlsbad; erwähnt Anstellungsangebote für Leipzig und Dresden; Neuigkeiten über verschiedene gemeinsame Bekannte; betr. Caroline Brandt
Incipit
„Ich bin fast versucht zu glauben daß Du todt bist“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Brief in zwei Teilen
-
1. Fragment: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bibliothek (A-Wgm)
Signatur: Weber an Gänsbacher Nr. 39Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Nohl 1867, S. 253–255 (Nr. 38) [ohne Adr.]
-
2. Fragment: Berlin (Deutschland), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. VIII. 2. 77d (Adresse)Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (1 b. S.)
- Siegelausriss
- am rechten Rand der Adressenseite Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns (Tinte): „Von Prag 4. Aug. 1816. Handschrift von C. M. v. Weber. - bezeugt von F. W. Jähns. Prof. in Berlin.“
Themenkommentare
- Dosen, Ringe und Medaillen – fürstliche Geschenke an Weber
- Webers Anteil am öffentlichen Konzertleben in Prag von 1813 bis 1816
- Webers Konzertreisen von Prag aus in den Jahren 1813 bis 1816
- Brühls Versuche, eine Anstellung Webers bei den Berliner Königlichen Schauspielen durchzusetzen
- Vergebliche Anstellungsprojekte und -offerten
- Prag: Spielplan des Ständetheaters im Jahr 1816
Einzelstellenerläuterung
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„… wie du aus der Beylage“Vermutlich legte Weber eine der Aufführungsbesprechungen bei.
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„… bey der Gelegenheit mit Schlesinger“Laut Tagebuch kämen dafür Webers Aussprachen mit Schlesinger am 12., 19. oder 29. Juni 1816 infrage.
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„… Liedern , Quartetten und Phantasie“Zur Drucklegung von Kompositionen Gänsbachers durch Schlesinger vgl. auch Webers Brief vom 9. März 1816. Die genannten Quartette und die Phantasie wurden nicht bei Schlesinger publiziert.
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„… wo ich 3 Tage blieb“Laut Tagebuch vom 13. bis 17. Juli 1816.
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„… Carlsbad gehen auf 3 Wochen“Laut Kurliste (1816, Nr. 1907) reiste Philipp Jungh am 19. August „mit Gattin, 3 Knaben und ihrem Lehrer“ in Karlsbad an und stieg „zum gold. Ruderer in der Kirchengasse“ ab.
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„… Urlaub und hat Furore gemacht“Die Sängerin gastierte in München als Clorinde in Aschenbrödel (11. Juni), Elise in Sargines (16. Juni), Julie in der Vestalin (20. Juni) sowie Emmeline in der Schweizerfamilie (26. Juni); vgl. Tagebuch der deutschen Bühnen 1816, S. 216 sowie AmZ, Jg. 18, Nr. 32 (7. August 1816), Sp. 542f.
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„… schikken mit dem Miserere ?“Das Werk hatte Gänsbacher offenbar schon im Februar von Weber erbeten, vgl. Webers Antwortbrief vom 18. März 1816. Zu den Hosenträgern für Gänsbacher (Geschenk von Karoline Kleinwächter) vgl. auch Webers Briefe vom 20. Januar und 14. August 1816.