Korrespondenz-Nachrichten aus Mannheim
Nachricht.
Mannheim, den 12ten Juny. Obwol Mannheim nicht mehr auf der hohen musikalischen Stufe steht, wie zu den glücklichen ¦ Zeiten Carl Theodors, so hat sich doch im Allgemeinen der Sinn für Musik erhalten, der den Fremden freundlich anspricht, und ihm bey genauerer Bekanntschaft mit den bestehenden musikalischen Zirkeln, Mannheim lieb und werth macht. Besonders trägt hierzu der Theil von Kunstfreunden bey, der die musikalischen Anstalten im Museum erhält und pflegt. Mit ungemeiner Liebe und Wärme wird hier für die Kunst gearbeitet, und besonders zeichnen sich hierbey die Hrn. von Weiler, von Stengel und Weber aus*, wovon besonders der letzte, auch als denkender, gründlicher Componist (obwol es nicht sein Haupt-Geschäft ist,) Ansprüche zu machen berechtigt ist. – Ref. hatte Gelegenheit, mehrern Concerten im Museum beyzuwohnen, wo unter andern auch den 26sten May eine Symphonie von Hrn. Johann Gänsbacher aus Prag, einem Schüler Vogler’s, mit Beyfall aufgeführt wurde*. Herr Gänsbacher entwickelt darin eine reiche Harmonie-Kenntnis, schöne Haltung und Ausführung seiner Themas. Besonders gefiel Ref. die sehr originelle Presto-Menuett, und das feurige letzte Allegro. Das erste Allegro behagte Ref. etwas weniger, weil ihm des Guten darin zu viel gethan schien. Die Ausführung verführte den Componisten, und gedrungene Einheit ist wol das Wesentlichste eines Kunst-Products der höhern Gattung. Doppelt angenehm aber war Ref. der Genuss, den ihm eine Messe des Hrn. Gänsb., den 3ten Jun. zum Jubiläumsfeste der katholischen Stadtkirche aufgeführt – gewährte*. Eine herrliche, edle Ruhe, ein tiefes Gefühl liegt auf dem Ganzen. Nichts Profanes stört die andächtigen Empfindungen, und sehr verdient Hr. Gänsbacher als gründlicher und dabey melodiöser Kirchen-Componist hervorgezogen zu werden. Eine kräftig gearbeitete. Fuge am Schlusse des Gloria, das Kyrie, und Dona nobis, haben Ref. am meisten ergriffen, besonders letzteres ist ungemein herzlich. Hr. G. hat auch mehrere Gesänge und Canzonetten geschrieben, die mit italienischem fliessenden Gesange deutsche | Kraft verbinden, und, besonders von ihm vorgetragen, hinreissend schön sind. Ich lege Ihnen hier das kleinste Stück als Probe bey, und muss noch seine Gefälligkeit und Anspruchslosigkeit, die er bey allen Gelegenheiten zeigt, rühmen. – Die Aufführung der Messe, meist von Mitgliedern des Museums, war sehr brav, und es ist eine Freude zu sehen, wie die Discant- und Altpartien, mit lauter Liebhaberinnen besetzt, so gut executirt werden. Auch in der Hinsicht verdienen ¦ das Museum und die darin mitwirkenden braven Künstler der Capelle, die Hrn. Frey, Ahl*, Dikhut, Arnold etc. von allen wahren Freunden der Kunst geehrt zu werden, dass sie sich der Kirchen- und Quartett-Musik so thätig annehmen; und Ref. wünscht nichts herzlicher, als dass ihr Eifer nie erkalten, sie den Ruhm Mannheims erhalten, und jedem Künstler dadurch so glückliche Tage verschaffen mögen, als Ref. da zu verleben so glücklich war.
Carl Maria von Weber.Apparat
Zusammenfassung
über die führenden Künstler vor Ort; positive Besprechung des Konzertes am 26. Mai 1810 mit Sinfonie und Messen-Aufführung am 3. Juni 1810, beide Kompositionen von Gänsbacher
Generalvermerk
Zuschreibung: namentlich gezeichnet (Carl Maria von Weber.); lt. TB 11. Juni 1810 Aufsatz an Rochlitz geschickt; ebenso aufgeführt in der Moralischen Uebersicht des Jahres 1810: „Ueber Mannheim.“; mit musikalischer Beilage aus Gänsbachers Liedern op. 9 (L’amerò, sarò costante); vgl. auch Webers Übersetzung der Lieder Gänsbachers
Entstehung
Versand am 11. Juni 1810 (laut TB); 12. Juni 1810 (laut ED)
Überlieferung in 2 Textzeugen
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1. Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 12, Nr. 41 (11. Juli 1810), Sp. 659–662
Dazugehörige Textwiedergaben
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HellS II 1828, S. 35–37 unter dem Titel Ueber Mannheim
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Kaiser (Schriften), S. 145–149 (Nr. 12)
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2. Textzeuge: Entwurf: verschollen
Quellenbeschreibung
- Überschrift hier „Ueber Mannheim“ (ebenso wie in HellS)
- unter derselben Katalognummer weitere Weber-Schriften; insgesamt 2. b. S., Folio-Format
Provenienz
- Henrici Kat. 36 (8. und 9. Dezember 1916), Nr. 925
- 1832 von Caroline von Weber an Friedrich Schwaan verschenkt; übersendet mit dem Brief vom 26. August
Einzelstellenerläuterung
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„… von Stengel und Weber aus“Gottfried Weber gründete 1806 ein Konservatorium, um an bestimmten Wochentagen klassische Musikwerke aufzuführen. Außerdem war er in der „Hofmusikakademie“ engagiert, deren Orchester aus 29 Berufsmusikernund 23 Liebhabern bestand. Beide Einrichtungen gingen 1808 im „Karl-Stephanie-Museum“ auf, das die 1803 gegründete Casino-Gesellschaft ersetzte. Seinen Namen bezog das Museum von Großherzog Karl von Baden (1786–1818) und seiner Gattin Stéphanie von Beauharnais, die das Protektorat übernahmen. In der Museumsgesellschaft leitete Gottfried Weber die musikalischen Abendunterhaltungen und brachte neue Tonwerke zur Aufführung; vgl. M. Lurz: Weber in Mannheim, S. 491.
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„… 's, mit Beyfall aufgeführt wurde“Vgl. Komm. im Brief von Weber an Gänsbacher vom 20. Mai 1810 und auch Brief von Gänsbacher an Gräfin Firmian vom 24. bis 28. Mai 1810. Bei dem Konzert spielte Weber Adagio und Rondo aus seinem Konzert für Klavier und Orchester Nr.1 C-Dur; vgl. TB-Eintrag sowie die Besprechung von Gottfried Weber (1810-V-11).
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„… katholischen Stadtkirche aufgeführt – gewährte“Vgl. TB-Eintrag.
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„… die Hrn. Frey , Ahl“Sowohl der Hornist Christoph Ahl als auch sein Bruder Friedrich Ahl (Klarinette) waren Mitglieder des Mannheimer Orchesters.