Friedrich Wilhelm Jähns an Georg Goltermann in Frankfurt am Main
Berlin, Donnerstag, 20. April 1865
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Sehr geehrter Herr Kapellmeister.
Zu meiner Beschämung fast haben Sie mir aufs Neue einen Beweis großer Freundlichkeit gegeben, für den ich eben nur wieder auf das Herzlichste danken kann. Es geht aus den mir gütigst zugesendeten beiden Stimmen zu dem Duett zu Helene‡, (außer daß dieselben mir den fehlenden Text bringen) deutlich hervor, daß C. M. v. Weber nicht nur die Instrumentirung neu bearbeitete, sondern die Stimmen selbst verlegt hat‡ hie u. da; außerdem fehlte in meinem Exemplar* ein sehr großer Theil der Parthie des Tenors (Constantin) wo ganz naiv Pausen standen. Die Mittheilung ist mir also ganz entschieden sehr nützlich gewesen und hat diese Dinge ganz klar gemacht. – Förmlich aufgeregt haben Sie mich aber durch die Nachricht, | daß Sie mir vielleicht noch über die Bdur-Arie Licht verschaffen könnten. Wäre ich im Stand, Ihnen bessere Anhaltspunkte zu geben, als ich dies bereits that, so würde meine Aufregung eine reine Freude gewesen sein. So aber habe ich doch keine rechte Hoffnung. Dennoch will ich Ihnen nochmals alle Data aufzählen, über‡ die ich disponire; auch sende ich Ihnen die Arie selbst im Klavier-Auszuge, der, wie sie wohl sehen werden, eine Vorarbeit zu einem solchen ist, der etwa für die Herausgabe bestimmt wäre. Der Text: „O bau auf meine Treue nur“ ist von mir der Composition, nach der Eigenthümlichkeit derselben unterlegt* und ich glaube, er folgt den Nüancen derselben eben so streng, wie er den Character davon im Allgemeinen wohl erfassen möchte. Den eigentlichen Text, den ich im 2ten Manuscripte der Instrumentirung von Webers Hand in Prag auffand*, werde ich jetzt noch | ebenfalls darunter setzen; er beginnt wie ich bereit[s] mitgetheilt, mit: „Ihr holden Blumen, mit Müh u. Sorgfalt erzog ich Euch.“ Wenn ich alles, was ich über die Arie weiß, zusammen fasse, so ist es folgendes:
Die Operette „Die Verwandlungen“ ist 2 mal componirt, einmal von Anton Fischer, zum 2tmal von Weigl‡*, beide Male auf ein u. denselben Text. Nach Ihrer eignen gütigen Mittheilung wurde die Fischer’sche Oper zum 1sten Male in Frankfurt am 16. Aug. 1810 gegeben, wo die Parthie der Julie ein Fräulein Lang, wie sie mir schrieben, sang, jenes Gretchen Lang, was auf Weber schon während seines Stuttgarter Lebens von 1807. 17. Juli bis 26 Febr. 1810 den größten Eindruck machte u. zu einem förmlichen Liebes-‡Verhältniß zwischen ihr u. ihm Veranlassung wurde. Mit der Lang war auch Lina Brandt, Webers spätere Gattin‡, als Schauspielerin damals zugleich in Frankfurt engagirt. Da dieselbe 1813 in Prag förmlich als Schauspielerin und Sängerin engagirt wurde, so ist es nicht gerade unmöglich, wo‡ daß sie 1810 schon die Parthie der Julie in den Verwandlungen habe vertreten können. Mindestens hat sie die ob‡ eingelegte Arie | quaestonis gewiß kennen lernen und dieselbe entweder 1813 mit nach Prag gebracht oder zur Einlage bei der Darstellung der Julie in Prag (zum 1stenmale dort 1814. 12 März) vorgeschlagen u. dann von Frft. kommen lassen‡. Weber hat sie unbedingt für Sie damals neu instrumentirt und ihr gewisse zu hoch liegende (in meiner mitkommenden Copie grün geschrieben) Stellen geändert, da sie, die Brandt,‡ niemals eine hohe Sopranstimme hatte. In dem Prager Theater-Exemplar ist die Arie als Einlage bezeichnet und‡ die ganze Instrumentirung von Webers Hand; die Singstimme jedoch hat entschieden ein Copist geschrieben*, wahrscheinlich nach dem von Lina Brandt aus Frankfurt mitgebrachten Exemplar. Wie die rothen hohen Noten, die wieder von einer dritten Hand in dem Prager Exemplar stehen*, in dasselbe hinein kamen, ist mir nicht recht erklärlich. So hatte denn Lina Brandt in der Weberschen Bearbeitung, (denn seine Composition ist sie doch wohl nicht) diese Arie in Prag‡ bis zu ihrer Kunstreise 1816 nach Weber‡ Berlin gesungen. Gewiß hatte sie bei Überschlag der in Berlin zu | gebenden Parthien die Verwandlungen nicht in Aussicht genommen. Da sie aber dort bei ihrem Gastspiel außerordentlich gefiel, machte sich unbezweifelt der Wunsch nach jener Parthie der Julie geltend, dem um so eher entsprochen werden konnte, da die Weigl’sche Oper‡ dort vorlag. Nur die eingelegte Prager Arie fehlte. Deshalb instrumentirte sie C. M. v.‡ Weber, (der mit ihr in Berlin zusammen getroffen war* um dort‡ am 19. Nov. seine Verlobung mit ihr zu feiern) nochmals, wahrscheinlich aus der Erinnerung, weshalb die Berliner u. die Prager Instrumentirung nicht unwesentlich von einander abweichen. In der vollständigen‡ Berliner-Partitur der Weigl’schen Verwandlungen* steht an betreffender Stelle: „Eingelegte Arie vo‡ der Mlle. Brandt.“ Die Arie fehlt; das vollständige Original-Manuscript dieser Berliner-Bearbeitung* schenkte mir aber‡ vor etwa 20 Jahren Webers Wittwe mit vielen‡ anderen Musicalien, so daß es zu‡ einer‡ speciellen‡ Besprechung nicht‡ dieses einzelnen Stückes nicht kam, u. weil‡ auch für mich damals diese ganze Angelegenheit eine terra incognita war; erst als ich vor 3 Jahren die Idee zu meinem Werke über Weber faßte | machte ich die Sache zu meinem Studium, worauf ich dann 1863 im‡ Juli in Prag die dortige 1ste Bearbeitung fand und aus der Einsicht in die hiesige Weiglsche Partitur die Ansicht gewann, daß mein Original-Manuscript in Berlin 1816 geschrieben sein müsse, um der Braut Webers das Auftreten möglichst wirkungsvoll zu machen, denn die übrigen Sachen in der Operette sind unbedeutend. Daß ich aber zu der Annahme oder besser‡ dem Gedanken gekommen bin, die Arie sei von Weigl, hat seinen Grund in dem merkwürdigen Umstande, daß in der Berliner Weigl’schen Partitur als ursprünglich zu derselben gehörig, (also auch von derselben CopistenHand geschrieben wie die ganze Partitur) auch‡ das Duett No 4 „Ein jeder Geck sucht zu gefallen“ enthalten ist, was sich in der Prager Fischerschen Partitur ebenfalls von Webers Hand nur‡ umgearbeitet u. anders instrumentirt vorgefunden hat, als ich 1863 dort war. Hier ist ein Zusammenhang u. liegt vielleicht der Magnet, | der noch vielleicht auf die richtige Fährte führt*. Woher die Arie floß, daher floß wohl auch das Duett*. Die‡ Weigl’sche Duett ist in der Hauptsache mit Webers Bearbeitung gleich, nur ist bei Weber z. B. gleich Anfangs ein 2/4 Tact wo bei Weigl ein [alla breve-Zeichen], dann allerlei Zugaben u. Weglassungen von Tacten pp. Den Anfang des Duetts schreibe ich noch auf das Exemplar der mitkommenden Arie. –
Bis hieher geht meine ganze Wissenschaft über diese Angelegenheit. Möchte deren Mittheilung ein Fingerzeig für Erklärung derselben werden. Ich habe durch 2 Jahre eifrigen Suchens nichts finden können dafür. Da aber Webers Wittwe gerade ihre Laufbahn in Frankfurt begann, wenigstens ihre bedeutendere, so hoffe ich immer noch, daß von daher Licht kommen kann. – Und so sei denn die Sache nochmals Ihrer bewährten Güte empfohlen, da Sie Sich so überaus freundlich unaufgefordert derselben annahmen.
– In Bezug auf Ihre Anfrage wegen eines Clarinettisten u. Fötisten kann ich | Ihnen heut noch nichts Bestimmtes melden: ich habe wieder meine Hundertschaften ausgesandt und noch keine Nachricht; so wie ich etwas Bestimmtes erfahren, so schreibe ich Ihnen augenblicklich! –
Herrn Kapellmeister Lachner, dem ich mich gerne ganz ergebenst zu empfehlen bitte, hatte ich gebeten mich gefälligst wissen zu lassen, wo ungefähr in Stuttgart der Antiquar damals gewohnt hat, bei dem er die Schmoll Partitur gekauft; vielleicht theilt er Ihnen darüber eine Notiz mit, um die ich Sie dann schönstens wieder bitte. Wollen Sie ihm‡ außerdem meine besten Wünsche für seine Wiederherstellung gefälligst ausdrücken.
Und nun das herzlichste LebewohlIhresIhnen innigst verpflichteten
F. W. Jähns.
‡In der Arien Angelegenheit habe ich vor einiger Zeit an den noch lebenden Bruder der Wittwe C. M. v. Webers, den pens. Großherz. Hofschauspieler Brandt in Mannheim geschrieben, aber bis jetzt keine Antwort erhalten. | Meine Copie der Arie pp bedarf ich nicht zurück; eine sonstige freie Disposition darüber habe ich jedoch nicht. Verzeihen Sie meine durch Überlast von Arbeit veranlaßte höchst ungraziöse Copie. | Daß Weber mein Original-Manuscript (ohne Worte, weshalb ich welche dazu machte) hat er‡ laut seines Tagebuch instrumentirt (oder aufgeschrieben) am 6. Nov. 1816. Wörtlich sagt das Tagebuch: „Das Lied in die Verwandlungen aufgesetzt“ die dann am 9. Nov. in Berlin mit seiner Braut aufgeführt wurden. 1814 den 24. Febr. bemerkt er über die 1ste (Prager) Instrumentirung im Tageb: „Arie in die Verwandlungen instrumentirt.“ –
Apparat
Zusammenfassung
es geht um die Einlage-Arien in Fischers bzw. Weigl Verwandlungen
Incipit
„Zu meiner Beschämung fast haben Sie mir aufs Neue“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Solveig Schreiter; Frank Ziegler
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. Jähns, F. W. 13Quellenbeschreibung
- 2 DBl. (8 b. S. o. Adr.)
Dazugehörige Textwiedergaben
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Schreiter, Solveig, „Geben Sie mir nur öfters Auftrege, dieselben werden jederzeit gern und prompt besorgt werden“. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Jähns und Georg Eduard Goltermann, in: Weberiana 15 (2005), S. 72f. u. 75f. (Auszug)
Textkonstitution
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„hat“über der Zeile hinzugefügt
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„über“über der Zeile hinzugefügt
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„Weigl“sic!
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„Liebes-“über der Zeile hinzugefügt
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„Webers spätere Gattin“über der Zeile hinzugefügt
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„wo“durchgestrichen
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„ob“durchgestrichen
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„die Arie als Einlage bezeichnet und“über der Zeile hinzugefügt
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„Weber“durchgestrichen
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„Oper“sic!
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„C. M. v.“über der Zeile hinzugefügt
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„dort“über der Zeile hinzugefügt
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„vollständigen“über der Zeile hinzugefügt
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„vo“durchgestrichen
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„aber“über der Zeile hinzugefügt
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„vielen“über der Zeile hinzugefügt
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„es zu“über der Zeile hinzugefügt
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„… so daß es zu einer“korr. aus eine
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„… daß es zu einer speciellen“korr. aus specielle
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„nicht“durchgestrichen
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„u. weil“über der Zeile hinzugefügt
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„im“in der Zeile hinzugefügt
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„besser“über der Zeile hinzugefügt
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„auch“am Rand hinzugefügt
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„nur“unter der Zeile hinzugefügt
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„Die“sic!
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„ihm“über der Zeile hinzugefügt
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„… “Nachschrift quer zur Schreibrichtung am Seitenrand von Bl. 4v, 4r und 3v:
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„er“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… außerdem fehlte in meinem Exemplar“Kopie in D-B, Weberiana Cl. III, Bd. 2, Nr. 36 u. 37.
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„… nach der Eigenthümlichkeit derselben unterlegt“Klavierauszug der Nummer von Jähns mit dem genannten Text in D-B, Weberiana, Cl. IX, Kasten 1, Nr. 6.
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„… Webers Hand in Prag auffand“Die in Prag aufgefundene Quelle gibt die frühere Bearbeitung wieder.
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„… hat entschieden ein Copist geschrieben“Das beschriebene Teilautograph befindet sich heute in D-B, Mus. ms. autogr C. M. v. Weber WFN 5 (1).
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„… in dem Prager Exemplar stehen“Hier irrt Jähns: Die originalen hohen Noten sind im Prager Manuskrpt vom Kopisten der Singstimme geschrieben und von Weber geändert. Abweichungen im Berliner Manuskript beruhen vermutlich auf Erinnerungsfehlern bei der zweiten Bearbeitung.
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„… Berliner-Partitur der Weigl ’schen Verwandlungen“D-B, Mus. ms. 22935; Weigl fälschlich unterschoben.
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„… das vollständige Original-Manuscript dieser Berliner-Bearbeitung“D-B, Weberiana I, 11.
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„… auf die richtige Fährte führt“Zur Auflösung dieser Fragen (und den verschiedenen Versionen von Fischers Verwandlungen) vgl. WeGA, Bd. VIII/12, S. 196–204.
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„… floß wohl auch das Duett“Inzwischen ist als Autor der Arie Julius Miller gesichert, während als Autor des Duetts Fischer lediglich zu vermuten ist.