Korrespondenz-Nachrichten aus Mannheim (September 1811)

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Aus Mannheim.

Bei Ifflands letzter Kunstreise durch Deutschland sahen auch wir den Hochgefeierten wieder, und er verweilte gern ein Paar Tage in der Stadt, die er seine Vaterstadt* zu nennen pflegt. Er gab uns kurz nach einander vier Vorstellungen: Fridolin, Nathan, die Versöhnung und den gutmüthigen Polterer*. In einer Woche drängte sich der Genuß zusammen, mit dem wir gern eine längere Zeit ausgefüllt hätten. Das Schauspielhaus war jedes Mal zu klein die Menge zu fassen, die ihn zu sehen sich herbei drängte; bei jeder Vorstellung wurde er heraus gerufen.

Zu gleicher Zeit mit Iffland besuchte auch unser Landsmann*, Capellmeister Bernhard Anselm Weber, jetzt Königl. Preußischer Capellmeister, unsre Stadt, und ließ uns in einem am 28ten September gegebenen Conzerte mehrere seiner Compositionen* hören.

Um nicht zu weitläuftig zu werden, übergehe ich zwei im Gluckschen Stile geschriebne Ouvertüren* (aus Deodata und zu Wilhelm Tell) und berichte Ihnen nur über das, was am allgemeinsten ansprach, – die schon so vielgerühmte Composition zu Schillers Ballade, der Gang nach dem Eisenhammer, als musikalisches Deklamatorium behandelt, durch welches sich Herr Weber vorzüglich als denkenden und vielseitig gebildeten, nicht blos musikalisch geschickten Componisten bewährt. Als solchen erkennt man ihn schon aus der Anlage des Ganzen. So wie der verständige Schauspieler sich am sichersten durch den Gesichtspunkt bewährt, aus welchem er das Ganze seiner Rolle auffasset, nicht aus den bei dieser oder jener Szene gebrauchten Minen, Accenten, Stellungen u. dgl., so beurkundet sich der verständige Tonsetzer auch vorzüglich durch die Intentionen, welche er seiner Composition zum Grunde legt, nicht durch die gebrauchten einzelnen Tonphrasen. Weber hat bei seiner Composition es sich zur Hauptintention gemacht, die verschiednen Charaktere der vier Hauptpersonen zu individualisiren; vorzüglich gelungen ist ihm dieses in Ansehung der zwei sanftern Charaktere, – der Gräfin und Fridolin’s – weniger treffend ist Robert aufgefasset, dessen Heuchelei zu oft durch blos sanfte, gar zu wenig an Tücke erinnernde, man möchte sagen, zu unschuldige Tonphrasen ausgedrückt ist. Viel gelungner ist der Charakter des Grafen, woran nur dieses auszustellen seyn möchte, daß der Comp. ihn schon zu frühe auffahrend werden läßt – Bei Roberts Worten:

„Wie seyd ihr glücklich edler Graf– –Denn ihr besitzt ein edles WeibEs gürtet Scham den keuschen Leib ec.“*

darf der Graf nur etwa erst aufmerksam werden, gewiß aber noch nicht stürmen. Dieses letztere passet erst von der Stelle an:

„Was? –Redst du von einem der da lebet?“*

Doch lasset auch uns nicht an Einzelnheiten haften; halten wir uns an das Ganze, welches sinnvoll aufgefaßt und wieder gegeben ist. – Neben der Schilderung der Charaktere der Hauptpersonen, sucht der Componist vorzüglich die der jedesmaligen Situation entsprechende Empfindung zu unterstützen und zu nähren; – so das wunderbare Grausen, das der Anblick der gewaltigen Feueresse zu erwecken pflegt, – so die Empfindung des frommen Fridolin beim Eintritt in die Kirche. Diese letzte Situation ist ohne Vergleich die gelungenste unter allen. Eine leise Tonmalerei*, auf das Präludiren des Organisten vor dem Gottesdienste anspielend, erweckt durch zweckmäßiges Harmonienspiel, und vorzüglich durch eine wirkungsvolle enharmonische Wendung nach E dur das Interesse des Zuhörers für die Reihe von gottesdienstlichen Ceremonien, welche Schiller so patriarchalisch schön mit homerischer Ausführlichkeit, gleich Bildern einer Zauberlaterne, vor unsern Augen vorüber führt. – Im Verfolge läßt Weber aus der Ferne einen wirklichen Chor von Singstimmen hören, welche die Worte: Sanctus, Sanctus dominus deus Sabaoth etc. absingen. Freilich ein offenbares Abspringen vom erzählenden Stile* in den dramatischen, und ich würde mich sehr versucht fühlen, manche Einwendung gegen diese Einschaltung zu machen, hätte nicht der Erfolg gezeigt, daß gerade dieser überraschende Moment wie ein Zauberschlag auf das Publikum wirkte, und den ausgezeichneten Beifall, der dem Componisten hier zu Theil wurde, großentheils mit erobern half.

Wie der Text vorgetragen wurde, bedarf nicht erst einer besondern Anrühmung, da Iffland es war, der ihn sprach. – Ganz eigne Effekte brachte er heute hervor, durch absichtliche Monotonie bei manchen Stellen, wodurch er dem schönen verweilenden Gange des Epos trefflich entsprach, und dagegen andre Stellen des Gedichtes, worin lebendigere Schilderung herrscht, oder gar Personen redend eingeführt werden, mit dem ganzen Zauber seiner an Modulation so reichen Stimme ausstattete, und im Contraste gegen jene nur desto mehr hob, durch lebhafteres Colorit der Accentuation, wie z. B. vorzüglich:

Unglücklicher! wo kommst du her?Vom Eisenhammer. – Nimmermehr!So hast du dich im Lauf verspätet? – Herr nur so lang, bis ich gebetet u. s. w.*

Die Ausführung der Instrumental-Partieen von Seiten des Orchesters war sehr treu und korrekt.

Der berühmte Ferdinand Fränzl, Sohn unsers großen, kürzlich verstorbenen I. Fränzl*, spielte ein Violinkonzert* von seiner Composition mit allgemeinem Beifall.

Madame Beck* erntete in einer alten Arie von Prati*, neue und wirklich höchst verdiente Lorbeern.

Das Haus war voll, und die Einnahme reichlich.

Gottfried Weber.

Apparat

Generalvermerk

namentlich gezeichnet

Kommentar:
In einem Brief vom 4. Oktober 1811 an Meyerbeer äußerte sich G. Weber ausführlich über Bernhard Anselm Weber: Deine Schildrung von ihm [B. A. Weber] trift ganz zu, eitle egoistische Kanaille, denkender Musiker, ob er immer recht denkt mögte ein andre Frage sein: wenigstens hatte ich unmassgeblich manches im „Eisenhammer“ anderst gedacht, und in der […] Ouvertüre hatte ich gedacht man müsse den Gluk doch nicht so deutlich abschreiben. Indeß hat er mich aufs höflichste genöthigt etwas über seinen „Eisenhammer“ zu schreiben, was denn auch heute noch abgeht in Eleg. mit meiner NahmensUnterschrift, folgl. viel Lobens enthaltend. im gleichen Brief heißt es: Über W[e]bers Conc[ert] sagen wir nichts [im Badischen Magazin] weil ich unter eigenem Nahmen wie gesagt etwas ins Eleg[ante] Blatt schike. – Hörst Du, wenn Dus zu lesen bekommst, ließ es doch aufmerksam, u sag mir ob Du meinst daß er sich dadurch geschmeichelt […] halten wird, und ob man sich vorkommenden Falles auf einen Gegendienst von ihm verstehen kann. (ich meine den B[ernh. Anselm] W[eber]) u ob er der Mann dazu ist: ich glaube kaum. Kann er schreiben?, u schreibt er? viel? anonim? – Freilich habe ichs nicht lassen können ihm hie und da kleine Hiebe zu geben! S’ ist aber auch hol […] mich der Teufel gar vieles schofle […] in dem „Eisenhammer; vgl. Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 123 und 124–125. Meyerbeers Kommentar zu dieser Rezension ist nicht erhalten, C. M. v. Weber teilte G. Weber am 15. November 1811 mit: deine Rez:[ension] vom Eisenha:[mmer] habe gelesen im Elegans. C. M. v. Weber hörte den Eisenhammer selbst am 5. April 1812 in Berlin und verfaßte (in Hinblick auf die bevorstehende Aufführung der Silvana, d. h. ebenfalls aus diplomatischen Gründen) eine wohlwollende Besprechung für die AMZ, die jedoch nicht erschien (1812-V-18).

Dusch berichtete über das Mannheimer Konzert von Bernhard Anselm Weber in den Unterhaltungs-Blättern (1811-V-82) und im Morgenblatt (1811-V-70), wobei er G. Webers Urteile (Gluckscher Stil) übernahm. Ifflands Gastspiel wurde von Dusch ausführlich im Badischen Magazin besprochen (1811-V-68).

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 11, Nr. 212 (24. Oktober 1811), Sp. 1695–1696

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