Aufführungsbesprechung Prag; Badsaal: Konzert von Carl Maria von Weber und Heinrich Baermann am 20. Dezember 1811

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Prag, d. 21sten Dec. Gestern gaben Hr. Carl Maria von Weber und Hr. Heinr. Bärmann*, königl. bayrischer erster Klarinettist, ein Concert im Baadsaale. Der vorausgegangene Ruf* beyder Künstler liess schon Bedeutendes erwarten: hier hat sich aber die Ueberzeugung weit über den Ruf erhoben. v. Webers genialischer Geist, der in allen aufgeführten Stücken seiner eigenen Schöpfung sich mit Würde und Anmuth aussprach, und auch in seinem kraft- und ausdrucksvollen Spiele sich äusserte; und dann Bärmanns unübertroffener Ton und Vortrag, gewährten, durch die vortreffliche Mitwirkung des Orchesters unterstützt, allen Freunden der Tonkunst einen geist- und empfindungsreichen Abend. – Die eben so tief gedachte, als durch eine glühende Phantasie erzeugte Ouverture zur Oper: die Beherrscher der Geister, von C. M. v. Weber, riss mit immer steigender Gewalt jedes Gefühl, erschütternd, bis zum Enthusiasmus fort. Schon aus der ganzen Anlage des Plans erkennt man den denkenden Componisten. Jeder Haupt-Gedanke erscheint wieder in contrapunctischer Verarbeitung mit andern, durch die glücklichste Instrumentation mehr und mehr gehoben. Ein Strahl ächter Genialität schien Ref. jene Stelle, wo Anfangs der Mittelsatz allein von Blech-Instrumenten (man erlaube das Wort, um die Sache zu bezeichnen,) vorgetragen wird, dann die übrigen blasenden mit einstimmen, alle streichenden zugleich unisono, die Massen durchbrechend, hineinstürzen*, und unaufhaltsam immer gedrängter, immer feuriger den Sieg verfolgend, der Vollendung entgegen eilen. Bärmann zeigte in seinem Concert* durch die leichteste Ueberwindung der schwierigsten Passagen, durch einen Ton und Gesang, der sich aller Herzen bemeisterte, durch die Beobachtung des schönsten Verhältnisses in der Verbindung der hohen Töne mit den mittlern und tiefen, und durch die mannigfaltigste Nüancirung derselben, den seltenen Künstler seiner Art. Die Composition selbst, von C. M. v. Weber, ist in einem edeln, brillanten Styl, und in einer ganz eignen, von den gewöhnlichen Concerten abweichenden Form verfasst, worin Componist und Concertist um den Lorbeer wetteifernd sich darstellen. In dem Adagio glaubte Ref. ein wahrhaft poetisches Gemüth an dem Componisten zu entdecken. Klagende Liebe mit tröstender Hoffnung drückten sich so natürlich aus, dass man weder in dem dabey vorkommenden Recitativ*, noch im übrigen Adagio, die Worte zu vermissen meynt. Welcher Instrumental-Sänger vermag aber auch so hinreissend zu declamiren, wie Bärmann? – Nicht weniger hat Hr. v. Weber sein Klavier-Concert* mit den reichhaltigsten Harmonien, einer effectvollen Instrumentation, und contrapunctischer Verwendung der Sätze ausgestattet, und mit einem genialen Spiel vorgetragen. Besonders gefiel Ref. das einfache, schwärmerische, fast nur von drey Violoncellen begleitete Adagio, worin das erste V.cell, durch seinen immer leidenschaftlichen, steigenden Gesang, in dieser Hinsicht die Unvollkommenheit des Klaviers ersetzte, das manchmal nur mit flüchtigen Passagen die überraschenden Harmonien bestrahlte. Das Crescendo am Schlusse dieses Satzes war von einer eigenen Wirkung, und blos der ausgezeichneten Achtung des Hrn. Kleinwächter gegen v. Webers Talent verdanken wir den Genuss seines Streicher’schen Instruments*, das durch Silberklang und Fülle, und die meisterhafte Behandlung, allgemeinen, ausgezeichneten Beyfall fand. – Den Schluss des Concerts machte der erste Ton, Gedicht von Friedr. Rochlitz, mit Musik zur Declamation und einem Finalchor. Eine majestätische Haltung herrscht durch das Ganze. Vom Chaos bis zur Erzeugung des ersten Tons führte uns Hr. v. Weber durch die Macht seiner und des Dichters Schöpfung in dem weiten Reich der Natur, bald erstaunt, bald entzückt umher, und krönte mit einer kräftigen Fuge sein Meisterwerk. Mad. Löwe, der Liebling des Publicums, verbreitete durch ihre vortreffliche, der Composition würdige Declamation über den Genuss des Werks ein doppeltes Interesse; nur können wir den Wunsch nicht bergen, dass sie, um ihr Talent mehr zu entwickeln, an manchen Stellen durch die Musik nicht so schnell auf einander unterbrochen; und an Einer, durch eine schwächere Instrumentation begleitet worden wäre. – Das Orchester hat diesmal mit Auszeichnung seinen alten Ruhm bewährt. Es spielte allgemein con amore, und bewies, was durch eine einsichtsvolle, ruhige, bescheidene Anführung geleistet werden kann! – Die Chorsänger allein entsprachen der Erwartung nicht. Indessen lässt sich von der rühmlichen Einrichtung unsers Conservatoriums* nach und nach Abhülfe dieses Mangels hoffen. – Beyde Künstler reisen von hier nach Dresden, Leipzig, Berlin* etc. – v. Weber hat der hiesigen Theater-Direction zwey seiner Opern, die Sylvana und Abbu Hassan, überlassen*. Alle Kunstliebhaber nehmen daran lebhaften Antheil, und das um so mehr, da sie hoffen dürfen, dass künftiges Jahr beyde Opern unter v. W.s eigener Direction einstudirt* werden, und er, aufgefordert, für das hiesige Personale eine Oper schreiben wird, falls die Zeitumstände ihn an der Ausführung seiner grössern Reise* nach Copenhagen, Stockholm, Petersburg etc. hindern sollten.

Triole.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Prag: Konzert von Heinrich Joseph Baermann und Carl Maria von Weber am 20. Dezember 1811, darin u. a. 2. Konzert für Klarinette (WeV N.13), Ouvertüre zum „Beherrscher der Geister“ (WeV M.5), 1. Klavierkonzert (WeV N.9) und Kantate „Der erste Ton“ (WeV B.2) von Carl Maria von Weber

Generalvermerk

Zuschreibung nach Sigle.

Kommentar: C. M. v. Weber hatte von München aus Gänsbacher beauftragt, Werbung für das bevorstehende Konzert in Prag zu machen, was dieser tat; vgl. 1811-V-97 und 1811-V-81. Die vorliegende Kritik über das Konzert entstand sicherlich ebenfalls auf Webers Bitte hin, der damit einen Kontakt zwischen Gänsbacher und der AMZ anknüpfte. Vermutlich schickte Gänsbacher die Kritik selbst an die AMZ, worauf Webers Frage in seinem Brief vom 31. Dezember 1811 an Gänsbacher hindeutet (Hast du die Aufsäze Spedirt?), denkbar ist jedoch auch, daß Weber sie selbst an Friedrich Rochlitz oder Gottfried Christoph Härtel, die er in Leipzig besuchte (vgl. TB, 28. Dezember 1811), weiterleitete.
Möglicherweise ist Gänsbacher auch der Autor einer Kritik in der Prager Oberpostamtszeitung (vgl. Anhang 2, Weber-Studien, Bd. 4/1, S. 273).
In der Besprechung des Konzerts, das Weber und Baermann am 14. Januar 1812 in Leipzig gaben, wird auf Gänsbachers Bericht aus Prag verwiesen; vgl. AMZ, Jg. 14, Nr. 5 (29. Januar 1812), Sp. 79: Wir würden über das Spiel beyder, aus Verpflichtung und Erkenntlichkeit, recht ausführlich sprechen, wenn uns nicht ein achtungswürdiger Kenner aus Prag, in einem Aufsatze, der erst vor zwey Wochen in diesen Blättern gedruckt worden ist, hierin zuvorgekommen, oder unsre Ueberzeugung mit der seinigen nicht vollkommen übereinstimmend wäre

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 14, Nr. 3 (15. Januar 1812), Sp. 45–47

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