Neu: Klavierauszug zu Oberon (WeGA, Serie VIII, Bd. 5) – eine editorische Herausforderung
Ebenfalls neu: Auslagerung ausgewählter Verzeichnisse in eine Online-Version
Während die Editionen von Webers Klavierauszügen zu Silvana (WeV C.5a, Serie VIII, Bd. 1) und Freischütz (WeV C.7a, Serie VIII, Bd. 3) mangels authentischer handschriftlicher Quellen nur auf der Grundlage der Erstdrucke erstellt werden konnten (beim Freischütz bestand eine zusätzliche Schwierigkeit darin, ein Exemplar des tatsächlichen Erstdrucks zu ermitteln, also eines, das durchgängig Abzüge der ursprünglichen Druckplatten enthielt), stand bei Abu Hassan (WeV C.6a, Serie VIII, Bd. 2) immerhin ein Teilautograph zur Verfügung. Dabei handelte es sich um einen für Webers Verfahren der Herstellung von Klavierauszügen typischen Fall: Die Singstimmen wurden vom Kopisten (in diesem Falle von der mit Weber befreundeten Friedrike Koch) nach der Partitur ausgeschrieben und durch ein leer gelassenes Klaviersystem ergänzt, in das Weber dann anschließend die Klavierstimme eintrug. In derselben Weise begann Weber noch in Dresden mit der Vorbereitung des Klavierauszugs zum Oberon, indem er offensichtlich seine beiden Hauptkopisten Kretzschmar und Lauterbach mit dem Ausschreiben entsprechender „Lückentexte“ beauftragte. Eigentlich also wiederum ideale Voraussetzungen für eine Edition, wäre a) Weber noch in Dresden mit der Komposition fertig geworden und wären b) uns diese (und andere) handschriftliche Quellen erhalten geblieben. Blickt man in dem neuen Band in die beiden von Salome Obert erstellten Stemmata auf S. 335 und 336, sieht man aber eine eher verwirrende Quellenlage mit einer Mischung aus erhaltenen (teils unvollständigen) und zahlreichen leider verlorenen bzw. verschollenen Quellen. Zugleich wird aus diesen Übersichten deutlich, dass es unterschiedliche Ausgangslagen für den englischen und den deutschen Erstdruck des Klavierauszugs gibt.
Dabei mag es für die traditionelle Sicht auf Webers Klavierauszug seines „Schwanengesangs“ überraschend sein, dass innerhalb der Gesamtausgabe, die ja gewissermaßen Webers Autorisation als Richtschnur für die Veröffentlichungswürdigkeit der in Serie VIII publizierten „Bearbeitungen“ nimmt, auch der postum bei Schlesinger erschienene deutsche Klavierauszug und nicht nur der eigentliche Londoner Erstdruck im Verlag Welsh & Hawes berücksichtigt wurde. Hier zeigt die – wenn auch fragmentarische – Überlieferung eindeutig, dass Weber beide Versionen noch selbst mit vorbereitet hat, wenn er auch das Erscheinen des deutschen Auszugs dann nicht mehr erleben konnte. Da er u. a. für den Sänger John Braham zur Londoner Uraufführung eine Arie neu komponieren musste, seine ursprüngliche aber deutlich besser fand und daher in den deutschen Auszug integrieren wollte, unterscheidet sich also auch die Gestalt beider Editionen. Schließlich bat Weber seinen Berliner Verleger, noch auf eine Überarbeitung des Chors Nr. 21 zu warten, den er ursprünglich für gemischte Stimmen komponiert hatte, was aber offensichtlich bei den Proben in London als für einen Harems-Chor unpassend empfunden wurde, so dass er in beiden gedruckten Klavierauszügen die Männer- durch Frauenstimmen ersetzte...

Trotz dieser Unterschiede war dann bei den Vorarbeiten zum Band festzustellen, dass der Klaviersatz beider Auszüge im wesentlichen (zumindest was die primäre Schicht des Notentextes betrifft) identisch ist. Schon im Rahmen der Partituredition (die die englische Version wiedergibt) war beschlossen worden, im Klavierauszug die bislang vernachlässigte, aber autorisierte deutsche Version in den Mittelpunkt zu stellen. Andererseits war auch der englische Erstdruck zu dokumentieren. Um eine kostspielige Doppeledition zu vermeiden, sollten beide Versionen in einem gemeinsamen Edierten Text wiedergegeben werden. Noch nicht klar war zu diesem Zeitpunkt, welche Probleme die komplexe Quellenlage diesem quasi hybriden Editionsplan bereiten würde.
Da die eingangs erwähnten, von Weber vervollständigten „Lückentext“-Vorlagen, die in dem Manuskript aus der Mugar Memorial Library der University of Boston erhalten sind, nur die noch in Dresden fertiggestellten Nummern umfassen, und da ferner die davon angefertigten Stichvorlagen für den englischen Druck sowie Webers erst in London arrangierte Auszüge der dort nachkomponierten Nummern (bis auf die Ouvertüre und zwei Fragmente) komplett verschollen sind, außerdem von der deutschen Stichvorlage ebenfalls nur Akt II und eine Seite des I. Akts erhalten blieben, wurde ausgiebig über die Frage diskutiert, was in diesem Fall als Hauptquelle herangezogen werden sollte. Die einfachste Lösung, die beiden Erstdrucke für die Hybridedition zu nutzen, hätte bedeutet, dass viele Informationen, die aus den dem Bearbeitungsprozess noch nahestehenden Handschriften zu gewinnen sind, als sekundäre nur mühsam aus dem Lesartenverzeichnis hätten entnommen werden müssen. Außerdem war für den deutschen Auszug anhand der erhaltenen Teile der separaten Stichvorlagen festzustellen, dass vor der Drucklegung im Verlag noch zahlreiche Korrekturen oder Ergänzungen vorgenommen wurden – diese für die nicht erhaltenen Teile zu identifizieren, ist kaum möglich.
Eine weitere Schwierigkeit resultierte aus den Vorbereitungen für den deutschen Auszug: Weber ließ seinen Begleiter Anton Bernhard Fürstenau Kopien der in London neu entstandenen (vermutlich komplett autographen) Teile seiner englischen Stichvorlage zur Übersendung nach Deutschland abschreiben. Da Fürstenau des Englischen nicht mächtig war, trug Weber dabei die englische Textunterlegung selbst ein. Diese Kopien gingen dann aus Kostengründen „scheibchenweise“ als Teile von Briefen an den Übersetzer Karl Theodor Winkler nach Dresden, der fertigte die Übersetzung an und sandte diese dann in einer neuen Kopie als Stichvorlage an Schlesinger. Von diesem ganzen Prozess sind aber leider nur Bruchstücke erhalten geblieben.
Trotz all dieser Imponderabilien entschloss sich das Team der Editorinnen und Editoren des Bandes (Solveig Schreiter für Akt I und die Dialogtexte, Salome Obert für Akt II, Andreas Friesenhagen für die Ouvertüre und Akt III, Frank Ziegler für die Genese und zusammen mit Solveig Schreiter hauptverantwortlich für die umfangreiche Dokumentation der Quellen) schließlich dazu, die Aussagekraft der dem Kompositionsprozess nahestehenderen Quellen höher zu bewerten als die editorische Forderung nach einer einheitlichen Quellenbasis. Dadurch wurden dort, wo die Bostoner Quelle (die den Ausgangspunkt beider Stichvorlagen bildet) komplette Nummern enthält, diese als Editionsgrundlage gewählt, bei den übrigen aber wegen fragmentarischer Überlieferung der englische Erstdruck bzw. bei der Ouvertüre als einzigem Fall die komplett erhaltene englische Stichvorlage. Angesichts der ohnehin notwendigen Kompromisse bei der Wiedergabe beider Versionen innerhalb einer hybriden Editionsform schien diese zusätzliche Besonderheit vertretbar.
Die Möglichkeit, anhand der – wenn auch sehr lückenhaften – Quellenlage interessante Aspekte der Genese beider Klavierauszüge zu verdeutlichen, führte zu einer Ausweitung des Lesartenverzeichnisses, wobei sich die Frage stellte, welche Varianten und Lesarten sinnvollerweise ausgelagert werden sollten, da sie in einer thematisch eingeschränkten, separierten Zusammenstellung besser zu überblicken sind. Darüber hinaus dienen etliche Informationen auch nur einem sehr spezifischen Erkenntnisinteresse, so dass sie in der gedruckten Version eher nicht berücksichtigt werden sollten. Dies führte dann zu folgenden Lösungen:
In den Band aufgenommen wurde als spezielles Verzeichnis (über die Angaben in der jeweiligen Quellenbeschreibung und in den Varianten und Lesarten hinausgehend):
- S. 417–424: Ein Verzeichnis der Textkorrekturen in der deutschen Textunterlegung der Hauptquelle (AK-kl): Die von Winkler in dieser Quelle unterhalb des englischen Textes eingetragene deutsche Fassung weist an vielen Stellen nachträgliche Eingriffe von seiner oder von Webers Hand auf. Gelegentlich waren auch Stellen zunächst freigelassen und sind erst nachträglich ergänzt. Die Verwendung von Bleistift und Tinte und etliche Überschreibungen spiegeln die Genese dieser Textfassung wider. Das separate Verzeichnis erlaubt nun ein gezieltes Nachvollziehen der sich offensichtlich für die beiden Autoren ergebenden Probleme (durch die deutsche Textunterlegung notwendige Korrekturen Webers in der rhythmischen Gestalt der Singstimme(n) sind im regulären Lesartenverzeichnis vermerkt).
Auf die Website der WeGA unter den Addenda zum Band wurden dagegen aufgenommen:
- A120012: Die Lesarten zum deutschen Text im Librettodruck von Karl Theodor Winkler (D-tx2).
- A120013: Ein Verzeichnis der Schreibfehlerkorrekturen im unterlegten englischen Text mit der Angabe, wonach korrigiert wurde.
- A120014: Die zahlreichen Varianten und Lesarten der sekundären Textschicht (Interpunktion, Groß- und Kleinschreibung, Grammatik).
Apparat
Überlieferung
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