Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 24. Februar 1825
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S. Wohlgebohren
dem Herrn Profeßor
Director des zoologischen Museums
pp
Ohne eben veranlaßt zu sein, mein geliebter Bruder, drängt es mich mit dir zu plaudern da eine 4tel Stunde die meine ist, mir nicht beßer verfließen kann, als wenn ich sie mit dir theile. Ich bin nehmlich seit Vorgestern Arrestant meines Arztes, der meinen heftigen Husten und eine häßliche Heiserkeit nicht leichthin genommen wißen will. da habe ich denn Proben und Kirchendienst erspart, einen umständlichen Vortrag über einen neuen KapellEtat ausgearbeitet, einige schreyende Briefe beschwichtigt*, und erhole mich nun bei dir.
Kannst nicht glauben was wir für Freude hatten daß auch bei dir zur selben Zeit, und eben so glüklich der HimmelsSeegen eintrat*. Seitdem ist bei uns einiges Leiden nicht ausgeblieben. das Stillen gieng nicht ferner pp denn meine Frau war unglaublich gereizt. Es mußte also eine Wendische Amme aus Bautzen geholt werdenT. davor hatte ich große Angst, aber der kleine Alexander gedeiht sichtlich, und auch die Mutter hat sich recht erholt. Laße mich doch ja bald, wenn auch nur mit 2 Worten wißen, wie es bei Euch geht. daß du mir über den Erfolg der Jessonda* nichts schreibst, hätte mich fast ängstlich gemacht, aber Gottlob Jordan versicherte mich ihr wäret alle wohl. das gebe Gott, sagen wir dazu aus HerzensGrunde.
Du hast wohl Recht, lieber Bruder, daß man, gehörig angeregt, auch in kurzer Zeit was tüchtiges und umfangreiches liefern kann; aber — da muß man weder an einen Herren noch an eine Frau gebunden sein. Wer kann die 1000 nichtswürdigen Kleinigkeiten verhindern, oder so stark sein sich nicht von ihnen irren oder verstimmen zu laßen, die in diesen beiden Diensten vorkommen. also beßer Zeit genommen, und so wenigstens das Gewißen salvirt, daß man sich nicht übereilt habe. d: 1t Februar habe ich nun endlich mit dem 3t Akte den ganzen Oberon erhalten. Sehr schön, aber auch voll englichscher‡ Ungezogenheiten. Mit der Sprache bin ich so weit, daß ich mich mit Leichtigkeit darin beim componiren bewege. das ist genug vor der Hand. Mr Kemble hält aber auch recht hinterm Berge, will kein Gebot thun, will ich solle, fodern, und hat mir auf meinen Vorschlag wegen Vertagung der Oper zu nächstem Winter noch nicht geantwortet.
Unterdeßen hat mir der LegationsSekr: Chev: Cussy aus Paris einen Text von Desaugier mit gebracht, le Colère d’AchilleT. da er mir ihn aber vorlesen will, so kenne ich ihn noch nicht, da ich dazu noch keine Zeit fand. in Schottland ist auch der Freyschütz gegeben*. Man hat mir schottische Lieder geschikt, zu denen ich das accompagnement setzen soll. Wie es früher Joseph Haydn gethan. ich habe es übernommen, weil es mich ehrt und rührt dem großen Manne in Etwas Nachfolger sein zu dürfen.
Den Sommer über werde ich nun wohl still sizzen. Könnten wir uns denn gar nicht einmal wieder zu sehen bekommen? nach Berlin kann ich nicht so lange der Popanz da ist. das Blatt ist voll, und die Suppe ruft. Innige Grüße von Frau an Frau, und Mann und Frau.
Ewig dein
CMvWeber
Dresden d: 24t Februar
1825.
Apparat
Zusammenfassung
erwähnt Krankheit; Freude über Geburt bei Lichtenstein und Webers; hat 3. Akt Oberon erhalten und äußert sich unzufrieden über Kembles Verhalten; aus Paris liegt ein Operntext von Desaugier vor, ferner Texte für Schottische Lieder, für die er nach Haydns Vorbild Begleitungen komponieren will; hofft auf Wiedersehen in Berlin, wenn Spontini weg ist
Incipit
„Ohne eben veranlaßt zu sein, mein geliebter Bruder“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Signatur: PB 37 (Nr. 69)Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr.)
- PSt: DRESDEN | 24. Feb. 25
- Papiersiegelrest
- Einriss
Dazugehörige Textwiedergaben
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Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 387–388
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Rudorff 1900, S. 224–226
Themenkommentare
Textkonstitution
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„englichscher“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… ausgearbeitet, einige schreyende Briefe beschwichtigt“Zu weiteren Briefen Webers vgl. auch den Tagebucheintrag vom 24. Februar 1825.
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„… so glüklich der HimmelsSeegen eintrat“Lichtensteins Sohn Ernst August Wilhelm war am 10. Januar 1825, vier Tage nach Webers Sohn Alexander, geboren worden.
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„… über den Erfolg der Jessonda“Zur Berliner Erstaufführung der Oper unter Spohrs Leitung am 14. Februar 1825 vgl. u. a. den Bericht in der AmZ, Jg. 27, Nr. 11 (16. März 1825), Sp. 185f.
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„… ist auch der Freyschütz gegeben“Erstaufführung in Edinburgh in der englischen Fassung von W. McGregor Logan am 29. Dezember 1824.