Giacomo Meyerbeer an Johann Gänsbacher in Wien
Darmstadt, Donnerstag, 10. Januar 1811
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Dein herzliches Schreiben vom 12t December ist mir sehr spät zugekommen. Indeß das Gute kömmt zu jeder Zeit gelegen, und so habe ich mich auch mit Deinem lieben Briefe erstaunlich gefreut. Es ist ein wahres Labsal in meinem Darmstädtischen Trübs‡ Wermuth’sbecher welchen ich alle Tage leeren muß, wenn ich einmal etwas von Dir und Deinen Angelegenheiten zu hören bekomme, drum schreibe fleißig. Daß du von selbst auf das „Du“ unter uns verfallen bist, macht mir erstaunlich viel Freude gemacht‡, unter uns übrigen ist es schon eingeführt seitdem ich letzten’s auf ein paar Tage in Mannheim war. Dort trank ich im schwarzen Bären (den Du wohl auch kennen wirst) mit den beiden Weber, Dusch und Frey das brüderliche Schmollis. – . Was wäre es doch für ein Glück für mich wenn der Papa statts in Darmstadt, in Mannheim wohnte. Allein ich will nicht mehr klagen, da die Zeit meines hiesigen Aufenthaltes bald verflossen ist, und mir auch ohnedem noch ein sehr glückliches Ereigniß begegnete. Der Papa nämlich hat vor einigen Wochen vom Großherzog einen miserablen Text zu einer komischen Oper erhalten, mit dem Auftrage dieselbe zu komponiren*. Da hat nun Papa den glücklichen Einfall gehabt, daß ich dieselbe auch komponieren sollte*, und zwar Nummer für Nummer zu gleicher Zeit mit ihm. Denke Dir nun zu was für interessanten und lehrreichen Vergleichen das Gelegenheit giebt. Papa’s Komposition ist schon ganz fertig, und so bald sie aufgeführt wird, sollst Du gewiß von dem Erfolge Nachricht haben. – . Vor kurzen ist Kapellmeister Kreutzer aus Wien mit dem […]‡ hier gewesen und hat Konzert auf dem neuerfundenen Philarmonikon [?] und‡ Pianoforte gegeben*. Er hat Papa besucht und da ich dort hörte daß er aus Wien wäre, so habe ich ihn gleich gepackt, auf die Seite gerissen, un ihm mit Donnertönen zugerufen, in’s Teufels Namen kennen Sie den[n] auch den Gänsbacher? Ei freilich recht gut war die Antwort, worauf wir denn ein Langes und Breites von Dir schwatzten. Er fand alles was Du gemacht hattest, recht hübsch und recht scharmant, nur zu Deiner neuen Oper von der ich ihm erzählte, hatte er nicht viel Vertraun. Das recht hübsch und recht scharmant hatte mich schon verdrossen; sein Unglauben an Deiner Oper aber brachte mich vollends in Harnisch. Ich bewieß ihm also mit der zartesten Schonung daß er ein Esel sei, und daß ein Kerl der solche Messen und Kanzonetten wie Du macht, einen genugsam hohen Grad von Harmonie, Melodie, und Karakterzeichnung dokumentiert hätte, um zu verlangen, daß das Publikum einer dramatischen Kunstschöpfung von ihm mit achtunsvollem Vertraun entgegensehe. Das leuchtete ihm denn auch ein, und er ward nachher ganz zerknirscht. Leppich erzählte mir auch das Kreutzer 3 Opern komponiert hätte; „Konradin von Schwaben“, „Der Taucher“, und „Jery und Bätely“. Die letztere soll in Wien mit erstaunlichem Enthusiasmus aufgenommen worden sein. Hast Du sie vielleicht gehört, so theile mir doch Deine Meinung darüber mit, wie auch über den „Numa Pompilius“ von Drühberg, wenn Du vielleicht von Deinen Wiener Freunden etwas davon erfahren solltest. Es war übrigen’s in Kreutzer’s Konzert erstaunlich lehr‡ leer, obgleich er vielen Beifall fand. Ich habe ihn nicht bewundern können, da ich an demselben Tage in Mannheim war, Melos aber der von ihm ein Klavierkonzert gehört hat, sagt es sei nicht viel daran. Ad vocem Klavierkonzert, der Melos hat sich zu dem Adagio und Rondo des seinigen ein Allegro komponirt, daß ganz seiner würdig ist, und im mannheimer Museo mit dem größten Beifall aufgenommen wurde. An demselben Tage wurde auch der 130ste Psalm von mir aufgeführt und gleichfalls sehr günstig aufgenommen. Vielleicht hast du schon davon gelesen*. –. Neues wüßte ich Dir nichts zu melden, außer daß mein Bundesname schon seit einiger Zeit Philodikaios und auch zuweilen Julius Billig. Wir sind alle recht fleißig in Bundessachen, und bin ich jetzt jetzt eben daran ... Buch.. nebst ... B... im Morgenblatte zu recensiren‡*. Mache nur daß Du Dir auch einen Bundesnamen anschaffst und denselben fleißig gebrauchst*. — . Deinen Brief an Melos habe ich zwar befördert, allein nicht auf die Post gegeben wie du es verlangst, denn ... er ist noch hier. Ja staune nur und verwundre Dich, er ist würklich noch in Darmstadt. Eine Menge sonderbarer Schicksale (die er Dir wohl in dem heutigen Briefe* erzählen wird) haben ihn bis jetzt dazu bewogen. Sein unglückliches Geschick hat ihn wieder einmal am trügerischen Narrenseil der Hoffnung gegängelt. Indeß wird er nun wohl in 8 bis 12 Tagen gewiß von hier fort gehn. Gott gebe ihm Glück und Segen. – .
Ich schließe diesen Brief der Dir hoffentlich lang genug sein wird mit der Bitte mir künftiger‡ öfter und regelmäßiger als bisher zu schreiben. Wir müssen uns wenigsten’s alle 14 Tage oder 3 Wochen bestimmt schreiben wenn unsre Verbindung nicht relachiren soll. – . Lebe wohl geliebter Bruder. Gott erhalte Dich der Kunst, und‡ Deinen Freunden und Deinem ewig treuen Bruder Philodikaios
Gott verdamme den hundsvöttischen Darmstädtischen Goldarbeiter. Nach monatlichem Warten, hat er mir endlich erklärt, er könne meine Zeichnung zu dem Ringe nicht ausführen*; der Raum wäre zu klein und was des Geschwätzes noch mehr war. – . Du mußt Dich also so lange gedulden bis ich einmaal wieder nach Mannheim oder Darmstadt‡ Frankfurth gehen werde. –. Apropos es wäre gut wenn Du bei jedem Deiner Briefe mir das Datum anzeigtest wenn Du den Meinigen erhalten hast. Ich will es ebenso machen. Addio
Apparat
Zusammenfassung
über die Duzfreundschaft u. den Darmstadt-Aufenthalt, Voglers neue Oper, die er „mitkomponiert“, das Konzert Kreutzers u. dessen Meinung über Gänsbacher; CMvW’s Klavierkonzert; erwähnt seine Bundesnamen u. drängt ihn, auch fleißig zu sein; erwähnt einen geplanten Ring für Gänsbacher und grüßt von Vogler
Incipit
„Dein herzliches Schreiben vom 12t December“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
Textkonstitution
-
„Trübs“durchgestrichen
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„gemacht“durchgestrichen
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
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„neuerfundenen Philarmonikon [?] und“durchgestrichen
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„lehr“durchgestrichen
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„jetzt eben daran ... Buch.. nebst ... B... im Morgenblatte zu recensiren“durchgestrichen
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„er“durchgestrichen
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„und“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„… dem Auftrage dieselbe zu komponiren“„Der Admiral“, umgearbeitet zu „Der gewonnene Prozess“, 1 Akt (1811) (SCHV 212, 212a), Handschriften: D-DS (Mus.ms 1052b [RISM], Partitur: Der Admiral; Mus.ms 1052a [RISM], Kl.A. von Carl Maria von Weber: Der Admiral; Mus.ms 1116 [RISM], autographe Partitur: Der gewonnene Prozeß; Mus.ms 1116a-c [RISM], Stimmen: Der gewonnene Prozess).
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„… ich dieselbe auch komponieren sollte“Meyerbeers Komische Oper hieß etwas abgewandelt: „Der Admiral oder der verlorene Prozeß“.
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„… Philarmonikon [?] und Pianoforte gegeben“Die Angaben sind noch nach dem Bericht über den Mannheimer Auftritt zu ergänzen, ebenso die Lesart nach Konsultation des Originals.
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„… hast du schon davon gelesen“ Vgl. die Berichte in der Schreibtafel von Mannheim, Heft 37 (21. November 1810) und im Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 4, Nr. 300 (15. Dezember 1810).
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„… B... im Morgenblatte zu recensiren“Da das Original für die Übertragung noch nicht vorlag, ist zunächst die Lesung zu klären und danach die angesprochene Rezension zu ermitteln.
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„… anschaffst und denselben fleißig gebrauchst“Offensichtlich war zu diesem Zeitpunkt „Triole“ noch nicht offiziell Gänsbachers Bundesname.