Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mannheim
Darmstadt, Donnerstag, 1. November 1810

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Liebster Bruder Giusto.

Deinen Brief ohne Datum nebst Sonaten* habe ich d: 27t 8ber richtig in Frankfurt erhalten, und zwar spät in der Nacht als ich von einer langweiligen Gesellschaft nach Hause kam*. du kannst dir daher vorstellen mit welcher verdoppelten Freude ich Ihn verschlang, 2 mal laß ich ihn durch, legte mich dann ins Bett und verzehrte ihn da gemächlichst noch einmal. das nenne ich noch einen Brief der für einiges Warten entschädigt, denn lebendig stundest du alter Ehrlicher Kerl vor mir als ich ihn las und innigst rührte mich deine wahre gerade Liebe. Nein, es ist bey Gott unmöglich daß uns je etwas trennen oder kälter machen könnte, und selbst bei dem vortrefflichen Glauben den mir die Hundeseelen von Menschen mit Gewalt aufgeprügelt haben, durch meine bitteren Erfahrungen, glaube ich freudig bey dir eine Ausnahme machen zu können.      Sieh, ich möchte dir so gerne nun zum Danke auch etwas erfreuliches schreiben, aber es geht nicht, und so nim denn den WermuthsKelch auch mit an, der sich mir überall darbietet. ich habe dir unter 23t 8b von Frankfurt aus geschrieben, daß ich zu einer unglüklichen Epoche da eintraff, doch konnte man die ersten paar Tage nicht recht absehen ob die Geschichte lang oder kurz dauern würde, und ich beschloß daher es ein Tager 8 mit anzusehen.      Gieng den 24: nach Offenbach, um mit André zu sprechen wegen denen verfluchten 6 Sonaten die ich ihm endlich im Schweiße meines Angesichts fertig gemacht* und den 18t geschikt hatte, — und traf ihn nicht, denn er war verreist.

in Frankfurt* trieb ich mich Langweilig herum und lernte nach 8 Tagen einsehen, daß vor der Hand bey der entsezlichen Confusion und dem allgemeinen Jammer an nichts zu denken sey, So etwas kann nur mir begegnen, denn nachdem ich nun so lange dies Concert verschoben, hatte, alle Umstände günstig waren, Zeit Bekanntschaften Ruf pp so führt das Donnerwetter einen Diabolus ex machina herbey der mir die ganze Sauce verdirbt. — d: 29t gieng ich nochmals zu André und hatte da Gelegenheit mich weidlich zu ärgern. der Kerl hatte mir meine Sonaten zurükgeschikt, unter dem vortrefflichen Grunde, — Sie seyen zu gut, das müste viel platter seyn, die Violine nicht obligat pp: kurz wie die von Demar*. /: nun so was schlechtes giebts gar nicht mehr auf [der] Welt als diese sind :/ ich erklärte ihm, kurz und bündig daß ich solchen Drekk nicht schreiben könnte, nie schreiben würde, und somit giengen wir ziemlich verdrießlich auseinander. der Simmrok ist auch so ein langsamer Seehund*, es geht gar nichts vorwärts. d: 30t reiste ich hieher zurük, und werde nun wohl nicht lange mehr hier | verweilen, will noch einen Versuch zu einem Concert machen* und geht das nicht, so gehe ich.      Mit meiner Liebschaft ists aus, ich hatte Sie versäumt, und nun hat sie einen alten Kerl geheirathet. dieses Mittel bey euch zu leben ist also beym Teufel, wenn ich nur irgend wüßte was ich in Mannheim verdienen sollte, so käme ich doch aufs Frühjahr wenn der Krieg mit Rußland losbrechen sollte*, zu euch; wir könnten gar zu herrliches Zeug zusammen schmieden.      die Statuten sind fertig ich bin aber zu faul sie heute abzuschreiben, daher bekomst du sie in ein paar Tagen. von Beer alles Schöne, er sagt er hätte an dich geschrieben*, und so viel ich mich errinnere ist das auch wahr. auch Vogler grüßt dich. auf deine kuriose Bestellung* hin, kann ich dir nichts schikken. — im Reichsanzeiger* sollen ja die Choräle von Kühnel* angezeigt sein, sieh doch einmal nach, und wezze deine Feder*, denn ich glaube die Bachianer werden mir ganz verflucht zu Felle steigen. von Gänsbacher habe ich heute einen Brief gekriegt er ist jezt in Wien und wird große Freude haben wenn du ihm dahin schreibst, seine Adreße ist an Johann Gänsbacher zu Wien, abzugeben bey der Fräulein Therese von Paradies im Schabenrößel im 4t Stokk. es geht ihm auch nicht recht mit seinem Öperchen, Treitschke ist außer conexion pp: glaube ja nicht daß ich dir im mindesten zu nahe treten wollte als ich Gänsbacher so erhob, ich habe das gut in ganz anderm Sinn verstanden. ich kenne dich, und kein Satan soll dir einen als Beßeren vor die Nase sezen.      Giebt denn Dusch gar kein Zeichen des Lebens von sich? der Strik meint wohl ich soll ihm zuerst schreiben das würde ich auch recht gerne thun, wenn ich wüste daß er Antwortete. Frey gratulire in meinem Nahmen bestens, es freut mich sehr für den guten Jungen aber er soll sich dadurch ja nicht abhalten laßen einen kleinen Ausflug zu machen, aber später, jezt ists noch nichts.      was machen denn Houts. davon hast du mir nichts geschrieben. und Solomés? pp. deinen jungen Componisten /: apropos wie heißt denn der Kerl? :/ umarme in meinem Nahmen zärtlichst, und sage ihm daß ich schon ein DoppelConcert für ihn und mich unter der Feder habe.

nun lebe wohl lieber Bruder alles Liebe an dein Frauchen, und vergieß nicht mir bald wieder zu schreiben, und dadurch zu erquikken, deinen auf der Menschlichen Sandbank befindlichen treusten Bruder Weber.

eben bringt Beer einen Brief geschleppt*

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über seinen Aufenthalt in Frankfurt; betrifft Auseinandersetzung mit André wegen der Six Sonates; Pläne, Darmstadt zu verlassen

Incipit

Deinen Brief ohne Datum nebst Sonaten habe ich den 27ten 8ber richtig

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: verschollen

    Provenienz

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Bollert/Lemke 1972, S. 19–20
  • 2. Textzeuge: Caecilia Bd. 15 (1833), S. 53–57 (mit Faks., zwischen S. 56 und S. 57)

Textkonstitution

  • „selbst“über der Zeile hinzugefügt
  • „ich“über der Zeile hinzugefügt
  • z„ß“ überschrieben mit „z
  • „… nicht schreiben könnte , nie“dreifach unterstrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… Brief ohne Datum nebst Sonaten“ Fraglich, welche Sonaten gemeint, wohl keine Exemplare von Gottfried Webers Klaviersonate op. 15, die Weber bereits zuvor erhalten hatte; vgl. den Brief Webers an Gottfried Weber vom 23. September 1810.
  • „langweiligen Gesellschaft nach Hause kam“Vgl. Tagebuch 27. Oktober „Abends im Augsburger Hof“.
  • „6 Sonaten die … Angesichts fertig gemacht“ Vgl. auch die Briefe Webers an Gottfried Weber vom 8. und 12. Oktober 1810. Am 13. (vgl. Tagebuch „Sonate in A.“) und 16. Oktober (vgl. Tagebuch „Siciliano A.“) hatte Weber die letzte Sonate in A-Dur komponiert, am 17. Oktober den letzten Satz zur Sonate in C-Dur (vgl. Tagebuch „meine 6 Sonaten vollendet. Pollacca in C.“).
  • „in Frankfurt“ Laut Tagebuch kehrte Weber noch am 24. Oktober zurück.
  • „Demar“Johann Sebastian Demar, Trois sonates progressives pour piano forté avec accompagnement de violon ... oeuvre 47. Offenbach, Johann André No. 2424 [RISM D 1582], später nochmals als No. 2717 [RISM D 1583]. In der AmZ, Jg. 9, Nr. 46 (12. August 1807), Sp. 740 heißt es zu dem Werk: „Musik für Dilettanten, und noch mehr für Dilettantinnen, die nicht weit über die leichtern Uebungsstücke hinaus sind und etwas spielen wollen, das denn doch schon ziemlich nach etwas klingt. Viele, oder bedeutende, oder gar neue Gedanken wird man hier so wenig suchen, als über das ganz Gewöhnliche hinausgehende Bearbeitung des gegebenen; es hat jedoch alles einen ziemlich melodiösen Fluss, einen leichten Zusammenhang und eine gewisse Munterkeit, um welcher Eigenschaften willen wol auch Leute, die weiter sind und stärkere Speise lieben, die Sätzchen einmal gern mit anhören. Das Aeussere des Werkchens ist schön“.
  • „der Simmrok ist … ein langsamer Seehund“Weber wartete noch immer auf die Korrekturen seines Klavierquartetts und des Ersten Tones.
  • „Versuch zu einem Concert machen“ Schon im Brief Webers an Gottfried Weber vom 21. August 1810 hatte Weber – allerdings zunächst erfolglose – Pläne zu einem Konzert in Darmstadt erwähnt. Erst nach dem Ausräumen diverser Hindernisse fand schließlich am 6. Februar 1811 dieses Konzert statt (vgl. auch Brief Webers an Gottfried Weber vom 30. Januar 1811).
  • „Krieg mit Rußland losbrechen sollte“ Trotz des neuerlichen Treffens zwischen Napoleon und Zar Alexander I. im Oktober 1808 in Erfurt, kam der 1807 mit dem Frieden von Tilsit geschlossene Freundschaftsbund zwischen Frankreich und Russland zunehmend ins Wanken. Man erwartete allgemein den Bruch dieses Bundes und damit eine Kriegserklärung beider Seiten. Wie sehr die Spannungen zugenommen hatten, zeigt die Aufkündigung des Systems der Kontinentalsperre durch Russland Ende 1810. Dennoch zogen sich die Kriegsvorbereitungen ein Jahr länger hin als von Weber hier erwartet, denn erst im Frühjahr 1812 begann Napoleon seinen Russlandfeldzug.
  • „Beer alles Schöne, … an dich geschrieben“Fehlt bei Becker (Meyerbeer), nicht ermittelt.
  • „kuriose Bestellung“Bezieht sich warscheinlich auf die im Brief Webers an Gottfried Weber vom 8. Oktober 1810 mitgeteilte Liste der Voglerschen Werke?
  • „im Reichsanzeiger“ Allgemeiner Anzeiger | der | Deutschen. | Oder | Allgemeines | Intelligenz-Blatt | zum Behuf | der Jusitz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe | in den deutschen Staaten, | wie auch | zur öffentlichen Unterhaltung der Leser | über | gemeinnützige Gegenstände | aller Art, meist als Reichs-Anzeiger abgekürzt. In Nr. 288 (24. Oktober 1810), Sp. 2137 sind unter den neuen Muskalien, die bei Kühnel erschienen, angezeigt: „Vogler, 12 Choräle von Seb. Bach, umgearbeitet von Vogler, zergliedert von C. M. von Weber. 20 gl.“
  • „Choräle von Kühnel“ Zwölf | Choräle | von | SEBASTIAN BACH, | umgearbeitet | von | Vogler, | zergliedert von Carl Maria von Weber, | Leipzig, bei A. Kühnel, | (Bureau de Musique.), PN 843 (vgl. Brief Webers an Kühnel vom 30. August 1810 sowie Einleitung von Weber unter Weberschriften).
  • „wezze deine Feder“ Eine Rezension der 12 Choräle durch Gottfried Weber erschien im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen (Reichsanzeiger), Nr. 183 (12. Juli 1811), Sp. 2025–2027: (Gelehrte Sachen): Zwölf Choräle von Sebast. Bach, umgearbeitet von Vogler, zergliedert von Carl Maria von Weber. Eine weitere, ungezeichnete Rezension erschien in der Zeitung für die elegante Welt, Jg. 11, Nr. 388 (22. Februar 1811), Sp. 302–303.
  • „Beer einen Brief geschleppt“Von Meyerbeer an Gottfried Weber oder von Gottfried Weber an Carl Maria von Weber, im Tagebuch ist nur der Brief von Gänsbacher erwähnt.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.