Friedrich Wilhelm Jähns an Moritz Fürstenau im Dresden
Berlin, Freitag, 25. Oktober 1872
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Endlich erhalten Sie die versprochenen Notizen Carl Maria von Weber’s über sein Lehrerverhältniß zur Prinzeß Amalia von Sachsen. Es sind doch deren mehr, als ich erwartet. Wie ich darunter bemerkt, sind sie genau‡ nach dem Tagebuche Weber’s von mir copirt. Doch muß ich bemerken, daß sie eigentlich die genaue Copie meiner früher genau gemachten Copie nach Weber’s Original sind. Am Schlusse jener früheren Copie war ich aber so sehr mit Arbeit überladen, daß ich den Schluß der Copie – das Jahr 1826, von 1. Janr. bis 3. Juni d. J. (am 5. Juni starb er in London) – daß ich mit der Copie dieses Schlusses damals meine Frau beauftragte, die Webers Hand vortrefflich liest. Aber dennoch fällt grade am 20. Janr. dieser Copie der seltsame Passus [auf]:
„Um 5 Uhr den Oberon (!) der Prinzeß Amalia aufgeführt. ging sehr gut.“
Sollte wirklich die Prinzessin auch einen Oberon damals componirt haben, wo grade Weber mit seinem Oberon beinahe zu Ende war?* | Das ist doch sehr auffallend. Vielleicht hat sich doch dabei meine Frau verschrieben u. es soll heißen:
„Um 5 Uhr die Oper der Prinzeß A. pp.“
Ich werde deshalb an Max von Weber schreiben, damit er das Tagebuch nachliest und er mir dann melde, was er gefunden, wovon ich Sie dann sofort benachrichtigen werde.
Für Ihr freundliches Erbieten, mir „L’Accoglienza“ hieher zur‡ senden, um meinen italienischen Text [zu] corrigiren, danke ich herzlich. Nicht unwahrscheinlich aber komme ich noch im November nach Dresden, wohin ich dann meine Copie von L’Accoglienza mitbringen würde, um die Correctur bei Ihnen dann auszuführen. Würde aus der Reise nichts, dann würde ich Ihre Güte um Hiehersendung des Stückes dennoch zu beanspruchen so frei sein.
Für den Moment möchte ich aber dieselbe einer andern Sache wegen anrufen. Mein Freund, der Kapellmeister Georg Goltermann, in Frankfurt am Main, | der mit Kapellmeister Vincenz‡ Lachner die beiden Dirigenten-Stellen am dortigen Stadttheater inne hat*, will, in Gemeinschaft mit diesem Herrn, zum Oster-Concert im nächsten Jahre die Es dur Messe No I von Weber aufführen. Er hat mich um eine Partitur derselben zu diesem Zwecke gebeten. Sie werden es verstehen, daß ich mein Autograph* dieser Messe nicht dazu hergeben möchte. Nun frage ich an: Würde[n] Sie die Copie* aus Ihrer Bibliothek den beiden Herren gestatten? Wenn es möglich wäre, so könnten Sie Ihnen ja die Bedingung stellen, sich sofort davon eine Abschrift in Frankfurt oder in Dresden anfertigen zu lassen. Vielleicht schreiben Sie mir darüber. Bis zur Aufführung Ostern k. J.‡ werden Sie natürlich die Partitur nicht entbehren können; aber vielleicht die Stimmen? — Ich bitte dieserhalb um ein Paar Worte von Ihnen! – Es ist übrigens immer erfreulich, wenn so etwas | gewünscht wird. Man kann es darum wohl begünstigen, so weit dies angeht.
Verzeihung meinem neuen Anliegen!
Mit herzlichsten Freundesgruß
Ihr
treu ergebener
F. W. Jähns. |
[beiliegende Kopie mit Tagebuch-Auszügen von Jähns:]
Aus
Carl Maria von Weber’s Tagebuch.
Betreffs Ihrer Königl. Hoheit der Prinzessin
Amalia von Sachsen
als Componistin.
1821.
23. Dezember. – Abends der Prinzessin Amalie ihre Oper Elmira‡* (?) gehört. Über meine Erwartung gut*.
1823.
20. Febr. – Zur Prinzeß Amalie.
2. Aug. – Zur Prinzessin Amalie eingeladen. Ihre Oper Ernesto ed Elisa* wurde aufgeführt. Ein schönes Talent und bewunderungswürdiger Fleiß.
1824.
4. April. Zu Prinzeß Amalia. Probe und Aufführung Ihres Stabat mater*. Gut. Kapelle u. Sänger soupirten.
10. Juni. – Um 3 Uhr Erste Lection der Prinzessin Amalia, bis ½ 6 Uhr!!!
15. Juni. – 2te (Lection an Prinzessin) Am(alia)
21. Juni. – Dritte Lection an Pr. Amal.
2. Sept. – Zu Prinzeß Amalia.
6. Sept.– 5te Lection (bei Prinzessin) Amalia. 3 – ½ 6.
15.‡ Sept. – Um 3 Uhr zu Prinz. Amalie. 6te Lection.
22. Sept. – 3 Uhr Lection Prinz. Amalia 6te bis ½ 6. (Muß heißen 7te Lection)
28. Sept. – 8te Lection Prinz. Amalia. Von Ihr einen Busennadel-Kranz in Brillanten erhalten.
1. Oct. – Abschied von der Prinz. Amalia genommen.
|1825.
21. Juni. – Prinzeß Amalia. 1ste Lection.
28. Juni. – Lection Prinzeß Amalia.
14. Oct. – Prinz. Amalia 2te Lection
20. Oct. – 3 bis 5. 3te Lection. Prinß. Amalia.
26. Oct. – 3 - ½ 6. zur Prinß. Amalia.
28. Nov. – 3 - 6. Przß. Amalia Lection.
1826.
4. Janr. – zur Princeß Amalie.
17. Janr. – von 10 - ½ 4 Correctur-Pr(obe) von der Prinzeß Amalie Oper.
19. Janr. – 10 - 2 Uhr Generalpr(obe) Prinzeß A. Oper.
20. Janr. – Um 5 Uhr der Oberon der Prinzeß Amalia aufgeführt. ging sehr gut*.
23. Janr. – Diner bei der Prinzeß Amalie.
10. Febr. – Lection Prinzeß Amalie.
(Den 16. Febr. 1826 reiste Weber nach London.
✝ daselbst am 5. Juni.)
Sämmtliche obige Notizen genau nach seinem eigenhändig niedergeschriebenen Tagebuch copirt
von
F. W. Jähns.
Königl: Preuß:
Professor der Musik
u. königl. Musik-Director
zu Berlin.
25. Oct. 1872.
Apparat
Zusammenfassung
schickt ihm einen Auszug aus Webers Tagebuch in Kopie den Unterricht der Prinzessin Amalie betreffend; dankt für in Aussicht gestellte Ausleihe der L’Accoglienza-Handschrift; fragt, ob er die Es-Dur-Messen-Kopie für eine Aufführung nach Frankfurt leihen würde
Incipit
„Endlich erhalten Sie die versprochenen Notizen“
Überlieferung
-
Textzeuge: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
Signatur: Mscr.Dresd.h47, Nr. 23Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.) u. 1 Bl. Beilage (1 b. S.)
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Ortrun Landmann, Eveline Bartlitz, Frank Ziegler, Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelm Jähns – Moritz Fürstenau. Eine Auswahl von Briefen und Mitteilungen der Jahre 1863–1885, in: Weber-Studien, Bd. 3, S. 131–133 (Nr. 43 und 43a)
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„genau“sic!
-
„zur“sic!
-
„Vincenz“sic!
-
„Elmira“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… Oberon beinahe zu Ende war?“Tatsächlich dichtete und komponierte Prinzessin Amalie eine Oper nach dem Oberon-Sujet mit dem Titel La fedeltà alla prova. Die handelnden Personen sind: Titania, Geltrude (S), Eggardo, Oberon (T), Oswaldo und Egberto (B). Das Autograph befindet sich in D-Dl unter Mus. 4822-F-12; außerdem existieren dort unter -F-15 bzw. -F-15a Dirigierpartitur und Stimmen.
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„… am dortigen Stadttheater inne hat“Georg Goltermann, angesehener Violoncellist und Komponist, war ab 1853 am Frankfurter Opernhaus als Zweiter und in der Nachfolge Lachners (ab 1875) als Erster Kapellmeister tätig. Bezüglich Lachners irrt Jähns: nicht Vincenz, sondern dessen Bruder Ignaz versah 1861-1875 die Frankfurter Erste Kapellmeisterstelle (vgl. Wolfgang Saure, Die Geschichte der Frankfurter Oper von 1792 bis 1880, Diss. Köln 1959).
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„… verstehen, daß ich mein Autograph“D-B (Weberiana Cl. I, Nr. 18).
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„… an: Würde[n] Sie die Copie“D-Dl (Mus. 4689-D-1).
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„k. J.“Abk. von „kommenden Jahres“.
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„… gehört. Über meine Erwartung gut“Bleistiftkorrekturen Fürstenaus: Elvira, Fragezeichen gestrichen.
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„… Ihre Oper Ernesto ed Elisa“Elisa ed Ernesto, Partitur und Stimmen: D-Dl (Mus. 4822-F-10 bzw. -F-10a).
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„… und Aufführung Ihres Stabat mater“Autographe Partitur ehemals: D-Dl (Mus. 4822-E-1).
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„15.“recte „16.“
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„… aufgeführt . ging sehr gut“Eintragungen von Fürstenau mit Blei: der Oberon gestrichen, dafür: die Oper; nach Amalia ein *, Auflösung unten vor der Zeile „Sämmtliche obige Notizen[...]“: La fedeltà alla prova.