Friedrich Wilhelm Jähns an Georg Goltermann in Frankfurt am Main
Berlin, Freitag, 11. Oktober 1872

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Mein hochgeehrter Freund.

Verzeihung, daß ich erst heut auf Ihren lieben Brief antworte, den ich am 6. erhielt.

Zuerst der erwähnten Gdur-Messe wegen. – Es ist seltsam, daß, wo man eine der Messen Weber’s aufführt immer zur G dur greift. Weber schrieb 2; diese G dur ist in jedem Betracht die zweite, obwohl sie in der gestochenen Partitur* falscherweise No I genannt wird. Diese Partitur sende ich Ihnen nun mit Vergnügen, wenn Sie dieselbe bestimmt wünschen. Aber warum wollen Sie nicht die prachtvolle Es dur Messe No I aufführen? Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus sind ächt-Webersche Perlen, Gloria und Sanctus Brillanten. Die Messe ist freilich strengstens vom Chor zu studiren und namentlich ist das Credo durch die Eigenthümlichkeit | seines Textes hier mehr als gewöhnlich ein Stück, in dem alle seine große Schönheiten, die es enthält, durch eine Bewegung und einen feinen Wechsel im Tempo erst eigentlich zu Geltung kommen können, wenn eben diese Eigenthümlichkeit vom Director in ihrem ganzen Umfange erfaßt und da dadurch jener Vortrag in Bezug auf Bewegung und feinen Wechsel des Tempos ermöglicht worden ist. Ich habe die Messe mehrfach aufgeführt, das Credo vielleicht 30–40 mal in meinem Verein singen lassen; bei der Gelegenheit bin ich dahinter gekommen, was es heißt, diese Messe leiten. Sein Sie mir nicht böse, daß Sie diesen Sermon hier finden, dessen Sie | nicht bedürfen. Aber um Ihnen Zeit zu sparen, habe ich meine Erfahrungen an der Messe, namentlich dem Credo hieher gesetzt. Es ist eben nicht mit den Metronomisationen, die ich der Messe beigesetzt*, abgemacht; innerhalb derselben ist noch so viel feiner Wechsel zu geben nach Bedeutung des Wortes und dem, wie grade die Musik gestellt ist, daß dem Dirigenten noch ein tüchtig Stück Arbeit bleibt; das möchte ich Ihnen gern verkürzen durch meine Andeutungen. Ich habe einen Clav. Auszug von der Es dur Messe* gemacht; der steht Ihnen zu Dienste, daraus können Sie vorläufig ungefähr sehen, was sie ist. Die Partitur würde ich Ihnen von | Fürstenau aus der Privat-Bibliothek des Königs von Sachsen zu Dresden verschaffen können. Schreiben Sie mir nur, was Sie haben wollen, G oder Es. Ich rathe nur zu Es! – Lesen Sie doch mal, bitte, nach, was ich in meinem Buche über beide Messen sage; über Es unter No 224 (pag 239) über G unter No 251 (pag 272.) Da werden Sie orientiert sein über Alles. – Sonst möchte ich Ihnen „Kampf und Sieg“ dringendst vorschlagen. Davon istsind eine sehr schöne Partitur, wie ein Clav. Auszug beide sehr billig, hier bei Schlesinger (Lienau) vor Kurzem erst erschienen. Das Werk ist überaus herrlich u. großartig; der Text, ursprünglich | zur Feier der Schlacht von Belle Alliance bestimmt, ist mit sehr geringen Änderungen zeitmäßig für heut umgeändert. – Dazu rathe ich sehr. Aber ebenfalls Liebe u. Begeisterung zur Sache müssen die Ausführenden haben. Es ist ein eigenthümlicher Geist, dieser Weber, und kann einem Werk von dieser Bedeutung nicht genug daran gemacht werden, sich bei seiner Einstudierung dessen stets recht bewußt zu bleiben, so unschwer eben die Ausführung auch erscheinen will gegen die anderer Werke. Dieses Mittheilen oder Erwecken des Verständnisses des spezifisch Weberschen Geistes ist eine der mühevollsten Arbeiten des Dirigenten bei der Einstudierung. Doch genug! Wozu sage ich Ihnen das, was Sie in gleicher Weise wie mich erfüllt?! – Verzeihen Sie mir drum. | Sie kennen mich nun schon als eine Art Plaudertasche. –

Was Ihre Güte in Bezug auf die Besprechung meines Buches in der Frankfurter Zeitung anlangt, so kann ich nur meinen allerherzlichsten Dank dafür aussprechen*. Wenn ich Ihnen Eins oder das Andre nächstens zusende, nachdem Sie mir geschrieben, was, – dann sende ich auch das Exemplar für den Hrn. Wilh. Meyer mit. – Für heut nehmen Sie nochmals meinen innigsten Dank wie die verehrungswerten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin.

Treu der IhreF.W. Jähns.

Apparat

Zusammenfassung

großes Plädoyer für Webers Es-Dur-Messe, die er G. anstelle der G-Dur-Messe zur Aufführung nahelegt, schlägt des weiteren Kampf und Sieg vor, dankt für Vermittlung eines Rezensenten für die Frankfurter Zeitung

Incipit

Verzeihung, daß ich erst heut auf Ihren lieben Brief antworte

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Solveig Schreiter; Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. Jähns, F. W. 9

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl., 1 Bl. (6 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Schreiter, Solveig, „Geben Sie mir nur öfters Auftrege, dieselben werden jederzeit gern und prompt besorgt werden“. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Jähns und Georg Eduard Goltermann, in: Weberiana 15 (2005), S. 79f. (Auszug)

Textkonstitution

  • „vorläufig“unter der Zeile hinzugefügt
  • „… Ich rathe nur zu Es“dreifach unterstrichen
  • „ist“durchgestrichen
  • „sind“über der Zeile hinzugefügt
  • „ein“über der Zeile hinzugefügt
  • „vor Kurzem erst“über der Zeile hinzugefügt
  • „dessen“über der Zeile hinzugefügt
  • dieüber der Zeile hinzugefügt
  • E„e“ überschrieben mit „E

Einzelstellenerläuterung

  • „… sie in der gestochenen Partitur“Partiturausgabe (ohne Offertorium) 1835 bei Haslinger in Wien (VN: 6750).
  • „… die ich der Messe beigesetzt“Zu seiner Metronomisierung einiger Weberscher Werke schreibt Jähns, er sei „ferne davon, dieselben etwa für unbedingt maassgebend darbieten zu wollen; nur Beachtung dürfen und sollen sie für sich in Anspruch nehmen, insofern sie aus der allgemeinen Kenntniss und Durchdringung des Meisters, wie der speciellen des jedesmal vorliegenden Stückes hervorgegangen sind““; vgl. Jähns (Werke), S. 13. Metronomangaben zur Messe in Es-Dur ebd., S. 239f.
  • „… Auszug von der Es dur Messe“Jähns’ Klavierauszug, 1842 an Haslinger in Wien verkauft, blieb ungedruckt; dort erschien 1848 lediglich ein Arrangement der Messe für Klavier zu vier Händen (VN: 10.696). Eine autographe Niederschrift des Jähnsschen Klavierauszugs, datiert mit Oktober 1841, ist dem Partitur-Exemplar der Messe in D-B, Weberiana Cl. IV A, Bd. 13, Nr. 14 unterlegt.
  • „… meinen allerherzlichsten Dank dafür aussprechen“Vgl. dazu auch Goltermanns Brief an Jähns vom 26. Februar 1873.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.