Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 7. Mai – 13. August 1815
Theater zu Prag.
Da die mächtigen Ereignisse der letzten Zeit uns nicht erlaubten, diesem Gegenstande einen Raum in unsern Blättern zu widmen, so müssen wir uns begnügen, den Lesern derselben nur eine kurze Uebersicht der dramatischen Erscheinungen der letzten Monate darzubringen.
Den 7. May. Die Alpenhirten, Oper in 3 Aufzügen, von Fr. Wollanck. Mißfiel ganz, und wurde nur zweymahl, und noch dazu das zweytemahl mit beträchtlichen Abkürzungen gegeben.
Den 10. May. Die Verlobungsfeyer, oder der Schwiegersohn von Ungefähr, Lustspiel in 4 Aufzügen, von Clauren (Heun). Dieses Lustspiel ist in so vielen kritischen Blättern rezensirt worden, ja es hat sogar schon Anlaß zu einer Art von Prozeß gegeben, daß wir es für ganz überflüßig halten, über seinen Werth oder Unwerth etwas zu sagen, obschon es uns vorkommt, als verriethe dies Werk zwar einen gebildeten Geist, aber zugleich auch gar sehr den dramatischen Anfänger. Das Stück gefiel ziemlich wohl, was es unsers Bedünkens größtentheils dem vortrefflichen Spiele des Hrn Liebich, als Baron v. Besser, verdankt. Auch Hr. Polawsky und Dem. Brand, als die Söhne des Rath Brandenstein, Hr. Wilhelmi, als Wachtmeister, Hr. Seewald, als Kanzlerdirektor, und Dem. Böhler.‡ als Fräul. Besser, verdienen einer‡ vorzüglichen Erwähnung.
Den 19. May. Der häusliche Zwist, Lustspiel in 1 Aufzuge, von H. v. Kotzebue, und das übelgehütete Mädchen, Ballet von Hrn. Aumer, in die Szene gesetzt von Mad. Katharina Horschelt. Ein recht artiges Divertissement mit eingien‡ sehr interessanten Momenten, worin sich vorzüglich Dem. Horschelt die ältere als Liebhaber, und Hr. Supper, als betrogener Bräutigam, sehr zu ihren‡ Vortheil auszeichneten.
Den 23. Juny. Zum Besten des Hrn. Kainz: Babylons Pyramiden, Oper in 2 Aufzügen, fiel ganz | durch. Mad. und Dem. Kainz gaben die Priesterin und ihre Pflegetochter als Gastrollen; doch fand die erstere nur wenig Beifall.
Den 9. July. Die Piccolomini, Schauspiel in 4 Acten und den 10. Wallensteins Tod, Tragödie von Schiller. Obschon Hr. Director Liebich, welcher die Rolle Wallensteins übernommen hatte, nicht allein durch kunstmäßige Darstellung dieses Characters, sondern auch sowohl in Hinsicht auf äußern Glanz als zweckmäßige Besetzung der übrigen wichtigen Rollen, alles Mögliche aufbot, um dieses Werk würdig darzustellen, so brachte es dennoch nicht denjenigen Effect hervor, auf den ein Schillersches Meisterwerk mit vollem Rechte Anspruch machen kann. Mad. Liebich (Herzoginn) Mad. Brunetti (Gräfin Terzky) und Hr. Bayer (Max Piccolomini) gaben ihre Rollen vortrefflich, und ließen durchaus nichts zu wünschen übrig. Auch Hr. Seewald (Octavio Piccolomini) Hr. Reinecke (Gordon) und Dem. Böhler (Thekla) spielten mit Auszeichnung; Decorationen und Costumes waren neu und glänzend, und durchaus nach alten Gemählden verfertigt, und gleichwohl blieb das Publikum, welches sich doch sonst auch an der äußern Form gern erfreut, kalt.
Gastrollen.
Hr. Rosenfeld vom Pesther Theater, dessen wir schon erwähnt haben, gab nachher noch den Ostade in der Oper gleiches Namens, den Marquis von Ravannes in den vornehmen Wirthen, König Karl in Agnes Sorel, und Murney im unterbrochenen Opferfest, und ward, besonders in den beiden letzten Rollen, mit dem einstimmigen Beifalle aufgenommen.
Hr. Ehlers, Sänger vom Wiener Hoftheater, folgte ihm, und entsprach ganz den hohen Erwartungen, zu welchen sein, in ganz Teutschland anerkannter, ihm vorausgegangener Ruhm berechtigte. Schon seine erste Erscheinung als Johann von Paris zeigte die Sicherheit des Meisters, der mit derselben Präzision die Hoheit des Prinzen, als die muthwillige Lastigkeit seiner angenommenen Rolle zu zeichnen versteht. Alle Kenner, die ihn schon vor längerer Zeit kannten, und zu schätzen verstanden, kommen darin überein, daß er seit Jahren wohl an Kunststudium zugenommen, aber keineswegs an Feuer und jugendlichen Lebhaftigkeit etwas verloren habe, was leider sonst bey den meisten Künstlern in umgekehrten Verhältniß steht. Außer dieser Rolle hatten wir noch den Genuß ihn als Murney im unterbrochenen Opferfest, Marquis von Ravannes in den vornehmen Wirthen, Johann im neuen Gutsherrn – welche Oper aber im Ganzen nur sehr getheilten Beyfall erhielt – und Don Juan zu sehen, und seine Erscheinung war ein jedesmaliges Fest für alle Freunde der Kunst. Mad. Schmidt, Schauspielerin vom Pesther Theater, trat am 22. Juny als Jungfrau von Orleans zum erstenmale auf und obschon sie nicht alle Forderungen dieser Rolle zu erfüllen vermochte, so zeigte sie doch viel Studium, und erfreute sich eines großen Beyfalls. Unter den folgenden Gastrollen gelangen ihr vorzüglich: Chathinka, im Mädchen von Marienburg, Afanasia in der Verschwörung auf Kamtschatka, Bertha im verbannten Amor, Lottchen im Bruderzwist, Agnes Bernauer, und vor allen Amalie in Haß allen Weibern. Im Ganzen fand sie im Lustspiel einen ungetheiltern Beyfall als im Trauerspiele, worin sie manchmal in eine gewisse heftige Manier verfiel. Doch läßt bey der Jugend, der glücklichen Gestalt und den Talenten, womit sie die Natur ausgestattet hat, die Zukunft sehr viel erwarten.
Herr Reitzenberg, welcher schon im vorigen Herbste hier war, und als Hamlet und Abällino reichen Bey¦fall einerntete, gab bisher folgende Gastrollen: am 12. July den Grafen in Barbarey und Größe, 20. Albrecht in Agnes Bernauerin, 22. Markgraf Azzo im Schutzgeist, 27. Knud in den Räubern auf Kulm, 28. Hauptmann Klinker in Epigramm, 1. August Ritter Balduin in den teutschen Rittern vor Nizäa 5. den jungen Seemann in das Blatt hat sich gewendet, 8. Abällino am 14. Hettore Gonza in Emilia Gallotti, und am 22. Ferdinand in Kabale und Liebe. Herr Reitzenberger entsprach wie bey seiner vorigen Anwesenheit den Wünschen des kunstliebenden Publikums, und ward in den meisten dieser Rollen hervorgerufen.
Mad. Brede, einst eine der vorzüglichsten Zierden unsrer Bühne, jetzt kön. Würtembergische Hofschauspielerin, ist wenigstens als erfreulicher Gast zu uns zurückgekehrt, und hat uns einige der reichsten Kunstgenüsse gewährt. Sie betrat am 11. August als Hofräthin in der falschen Schaam zum erstenmale wieder unsre Bühne, und ward, wie es ihre frühern Verdienste erwarten konnten, mit der herzlichsten Theilnahme empfangen; als sie nach dem Schlusse des Stückes hervorgerufen wurde, erinnerte sie in einigen eben so geist- als gefühlvollen Dankesworten an die schöne Zeit, da wir sie noch unser nennen konnten. Am 14. spielte sie die Gräfin Orsina in Emilia Gallotti, am 16. Bertha im verbannten Amor, am 22. Lady Milford in Kabale und Liebe, und am 24. Wilhelmine in der Entführung von Jünger, und erfreute sich jedesmal eines ungetheilten Beyfalls.
Hr. Kobler und die beyden Dem. Johanna und Therese‡ Kobler* haben sich eine kurze Zeit hier aufgehalten, und hier 4 Divertissements gegeben, am 3. und 15. Juny die glückliche Wilde, am 4. das verliebte Gärtnermädchen, am 6. die nächtlichen Liebhaber und am 11. und 13. der Raub der Zemira. Es ist unläugbar, daß diese Familie alles, was wir seit einiger Zeit von Tänzern gesehen haben, weit verdunkelte, besonders verdient Herr Kobler unter die ersten Grotesktänzer Teuschlands‡ gezählt zu werden.
Herr Brinke vom Leopoldstädter Theater in Wien, hat auch sein Vaterland wieder besucht, und auf die glänzendste Weise dargethan, daß der Ruf sein komisches Talent nicht übertrieben habe. Er gab am 23. July als erste Gastrolle Arlequin als Apothekerjunge, welches am 24. und 29. wiederhohlt wurde, und am 4. August Perseus und Andromeda, und bewies in jeder dieser Pantomimen, wie ganz er den Charakter des Arlequins, der aus einer ewigen Beweglichkeit, Schelmerey und Muthwillen besteht, aufgefaßt habe; seine Lebendigkeit in Darstellung desselben ist so bewunderungswerth, daß wir glauben, er würde selbst in Italien, den eigentlichem Vaterlande der Pantomime, vielleicht mit rauschendern Beyfall aufgenommen werden als hier, wo man an diese Kunstgattung zu wenig gewöhnt ist, um ein Talent in derselben vollkommen würdigen zu können.
Den 13. August gab Hr. Brinke zu seinem Besten ein komisches Ballet: Der Maskenschneider Ziegenbart oder die Zusammenkunft auf der Redoute, welches ebenfalls am 15. wiederhohlt werden mußte. Sowohl in diesem Ballet als in den beyden vorhergehenden Pantomimen ward er von unserm vortrefflichen Pierrot, Hrn. Supper, der täglich neue Beweise seiner unerschöpflichen komischen Laune giebt, auf die ausgezeichneteste Weise unterstützt.
Mad. Horschelt mit ihren beyden Töchtern hat unsere Bühne verlassen, und sich nach Wien begeben, dagegen ist Mad. Sonntag seit einigen Wochen ein Eigenthum unserer Bühne geworden.
Apparat
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Charlene Jakob
Überlieferung
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Textzeuge: Kaiserlich Königlich privilegirte Prager Zeitung, Jg. 2, Nr. 242 (30. August 1815), S. 990–991