Korrespondenz-Nachrichten aus Darmstadt (Juni und Juli 1811)
Darmstadt.
Das hiesige großherzoglich-hessische Hoftheater* nähert sich mit schnellen Schritten einer bedeutenden Stufe von Vollkommenheit. Die größten und schwersten Opern werden mit einer Kraft und Präcision gegeben, welche Bewunderung erregt. Vierzig Choristen und ein Orchester von beynahe 50 Personen haben sich seit einem Jahre, größtentheils aus Innländern, gebildet. Die Oper Samori* von Vogler wurde am 30sten Juny, unter des Componisten eigener Direktion, mit einem Pomp und mit so vieler Energie aufgeführt, daß nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Madame Fischer*, ehemals Chatinka Krebs, vom Mannheimer Theater, war als prima Donna ganz vortreflich; weniger vortheilhaft nahm sich Madame Schönberger aus in der Tenorpartie des Samori, besonders da, wo der Tenor in seinen höchsten Tönen gab durch ensembles durchdringen soll, was denn eben diese Töne, welche der Altistin gelassene Mitteltöne sind, bey Madame Schönberger nicht zu thun vermögen. Im Uebrigen war ihr Anfang schön, ihr Portament vortreflich, ihre seltne Altstimme, wie immer, voll und klingend. Von den übrigen Solo-Sängern ist weniger Gutes zu sagen. Die Decorationen von Herrn Schönberger übertreffen beynahe alles, was Referent in diesem genre noch gesehen hat, besonders ein Wald und ein Sonnen-Aufgang*. – Der große Name Vogler zog eine Menge Fremden nach Darmstadt, und der einstimmige lauteste Beyfall krönte den Componisten.
Weniger Gutes läßt sich von dem Schauspiele sagen, wo eigentlich nur Herr Wohlbrück, ehemals vom Hamburger, und Madame Haßloch, vom Mannheimer Theater, sich auszeichnen.
Demoiselle Louise Franck, von Manheim, welche seit einiger Zeit in Berlin so ausgezeichneten Beyfall geerndtet hatte, giebt jetzt hier Gastrollen*, und wird in wenigen Tagen nach Manheim zur Wiedereröffnung des bisher wegen der Landestrauer geschlossenen Hoftheaters* zurück erwartet.
– Auch in Wisbaden wird ein Nassau-Usingsches Hoftheater* organisirt, von welchem sich bey der ausgezeichneten Kunstliebe des Fürsten viel Gutes erwarten läßt.
Apparat
Generalvermerk
Zuschreibung: Der Text enthält eine Zusammenstellung verschiedenster Fakten, die mit dem Harmonischen Verein in Verbindung stehen: Kritik an den Tenorrollen von Marianne Schönberger (bei gleichzeitigem Lob ihrer Altstimme) hatte G. Weber in 1811-V-10 geübt, ebenso hatte er mehrfach über die Gastspiele von Luise Frank berichtet (vor allem in 1811-V-26) und nach der Auseinandersetzung über den Mannheimer Kunstzustand (vgl. 1811-V-34) immer wieder die Leistungen ehemaliger Mannheimer Künstler hervorgehoben. Auch über die Gründung des Theaters in Wiesbaden wußte G. Weber Bescheid (vgl. die Briefe von C. M. v. Weber an G. Weber vom 8. und 19. Juli sowie 2. und 16. August 1811). Über das Darmstädter Theater hatte C. M. v. Weber berichtet (1811-V-24) – ein Text, den G. Weber kannte (vgl. die Briefe von C. M. v. Weber an G. Weber vom 27. Februar, 30. April, 15. Mai und 6. Juni 1811) – und Johann Gottfried Wohlbrück wurde vom Verein, besonders von Meyerbeer und G. Weber (vgl. Kom. 1810-V-26), protegiert.
Kommentar: G. Weber hatte bereits zuvor eine Besprechung des Samori im Badischen Magazin veröffentlicht (1811-V-40), wo auch eine Kritik der dritten Vorstellung erschien (1811-V-47).
Entstehung
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Überlieferung
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Textzeuge: Privilegirte gemeinnützige Unterhaltungs-Blätter, Bd. 6, Heft 44 (20. Juli 1811), Sp. 351
Themenkommentare
Einzelstellenerläuterung
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„Samori“Zur Aufführung des Samori von Georg Joseph Vogler am 30. Juni 1811 in Darmstadt vgl. den Theaterzettel, Faksimile in: Katalog Darmstadt 1997, S. 45.
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„Madame Fischer“Kathinka Fischer trat als Maha auf.
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„Louise Franck , … jetzt hier Gastrollen“Zu Luise Franks Gastspiel in Berlin vgl. Kom. zu 1811-V-26; in Darmstadt trat sie am 2. Juli 1811 als Gurli in Die Indianer in England von August von Kotzebue und am 9. Juli als Fanchon in der gleichnamigen Oper von Friedrich Heinrich Himmel auf. Sie kehrte am 10. Juli 1811 nach Mannheim zurück und sang erstmals wieder am 14. Juli die Rolle der Emmeline in Weigls Schweizerfamilie; vgl. 1811-V-44.
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„wegen der Landestrauer geschlossenen Hoftheaters“Aufgrund der Landestrauer um Großherzog Karl Friedrich von Baden war das Theater vom 10. Juni bis 10. Juli 1811 geschlossen.
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„Nassau-Usingsches Hoftheater“Nach dem Weggang Karl Döbbelins Ende April 1811 sollte in Wiesbaden ein wirkliches Hoftheater entstehen, für das der Intendant Freiherr Wilhelm von Ungern-Sternberg C. M. v. Weber als Kapellmeister engagieren wollte; vgl. Otto Weddigen, Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, Wiesbaden 1894, S. 7–8. T.