Carl Maria von Weber an Franz Danzi in Karlsruhe
Prag, Samstag, 16. März 1816
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Mein theurer, lieber Freund!
Wohl habe ich mir vorzuwerfen, daß ich Ihnen nicht fleißiger geschrieben habe; aber geantwortet habe ich Ihnen unmittelbar nach Empfang Ihres lieben Briefes vom 5t Sept. 1815*. Da nun diese Antwort verloren scheint, so werde ich sie hier in Kürze wiederholen müssen, u. zugleich Ihr letztes Schreiben vom 5t März beantworten, was mir viele Freude machte. Es ist so wohlthätig im Andenken guter Menschen zu leben, u. wahrlich, die Stunden, die wir in Stuttgart mit einander verlebten, gehören zu den liebsten Erinnerungen meines Lebens. Ich hätte recht viel mit Ihnen zu plaudern, könnte Folianten voll schreiben, u. leider ist meine Zeit so kurz zugemessen. Bei einem Theater, wo in der Woche 3 – 4 – 5 Opern sind, giebt es alle Hände voll zu thun, eine Probe folgt der andern u. erzeugt eine solche Abspannung, daß ich seit den 3 Jahren meines Aufenthaltes hier beinahe gar nichts geschrieben habe. Doch stille davon, damit ich nicht in Jeremiaden versinke; lassen Sie mich lieber meine innige Theilnahme an Ihrer wiederhergestellten Gesundheit an den Tag legen. Gott erhalte Ihnen jetzt dieses herrliche Gut, ohne welches der Geist auch zum siechen Wesen herabsinkt. Auch ich kann Ihnen da als Leidensbruder die Hand reichen; aber ich hoffe doch auf bessere Zeiten.
Von Ihren Opern bitte ich ergebenst mir die Bücher zuzusenden*, mit Bemerkungen des Tenors, Bass pp. damit ich sehe was für unser Personal zu besetzen ist. Bestimmen Sie mir auch zugleich die Preise, aber bedenken Sie unser trauriges Papiergeld. – Es sollte mich innigst freuen, ein Werk von Ihnen mit der Sorgfalt u. Liebe zu geben, die sie verdienen u. die ich gewiß auf jedes vorzügliche Werk wende*. Es ist die schönste Seite u. Pflicht meines Postens, das Publikum mit allem Guten u. Neuen bekannt zu machen, wozu ich unter andern einen neuen eigenen‡ Weg eingeschlagen habe, den ich Ihnen in meinem nächsten Briefe deutlicher angeben werde, da ich heute nur das Nothwendigste berühren kann.
Um der Welt zu beweisen, daß die Anerkennung u. Verbreitung fremden Verdienstes mir mehr am Herzen liegt als mein Eigenes, so habe ich noch keine Oper von mir gegeben.
Ich komme nun auf den Theil Ihres Briefes, der Mad. Gervais betrifft. Sehr unrecht würde ich haben das schöne Talent derselben nicht anzuerkennen, u. ich kann kaum glauben, daß ich, der alle vorlauten, absprechenden Urtheile haßt, nachtheilig von ihr gesprochen haben könnte. Daß ich u. mancher fremde Künstler nicht Ursache hatte, die Gefälligkeit der Mad. Gervais zu prüfen, daß ich sie oft ihren Gesang überladen u. detoniren hörte, ist wahr, aber dergleichen Fehler sind oft nur durch temporäre Ursachen erzeugt, lassen sich ablegen u. berechtigen zu keinem ungünstigen Urtheil im allgemeinen bei den übrigens ausgezeichneten Vorzügen dieser Künstlerin. Ich glaube Ihnen keinen bessern Beweiß geben zu können, daß ich der Mad. Gervais Talent achte u. ehre, als daß ich ihr hiermit durch Sie eine Reihe von 10 – 12 Gastrollen auf unserer Bühne antrage, wo ich ihr zugleich zu beweisen suchen werde, wie sehr ich Talent u. Fleiß zu schätzen weiß. In der Hälfte des Monats Mai aber müssen wir das Vernügen haben Mad. Gervais bei uns zu sehen*, u. ich erwarte mit umgehender Post hierüber eine gefällige Antwort von Ihnen oder Mad: Gervais selbst, weil ich in andern Falle anderweitige Einleitung treffen werde. Empfehlen Sie mich der geachteten Künstlerin auf das Freundlichste.
Die Verheirathung Ihres guten Lenchen wußte ich schon. Gott gebe seinen Segen dazu, der bei den Theaterverhältnissen 3 fach kommen darf.
Nun muß ich leider für heute schließen, obwohl ich noch Manches zu sagen hätte. Doch rechne ich auf unsern fortdauernden Briefwechsel, u. vielleicht in Jahr u. Tag auf die Freude Sie selbst umarmen zu können.
Gott erhalte Sie froh u. gesund u. gedenken Sie in
Liebe Ihres unveränderlichen alten
Freundes
Weber.
Prag, d. 16 März 1816.
Apparat
Zusammenfassung
klagt wegen Überlastung in Prag; möchte eine Oper Danzis in Prag aufführen und bittet deshalb um Zusendung der Textbücher; erwähnt „Dramatisch-musikalische Notizen“; betr. Engagement der Gervais nach Prag
Incipit
„Wohl habe ich mir vorzuwerfen, dass ich Ihnen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Kopie: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II B c, Nr. 2, S. 78–80Quellenbeschreibung
- Abschrift Ida Jähns
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Reipschläger, Erich: Schubaur, Danzi und Poissl als Opernkomponisten. Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der deutschen Oper auf Münchener Boden. (Diss.) Rostock 1911, S. 100–102
-
Franz Danzi. Briefwechsel (1785–1826), hg. u. kommentiert von Volkmar von Pechstaedt, Tutzing 1997, S. 171–173 (Nr. 108)
Themenkommentare
Textkonstitution
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„eigenen“über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
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„… Briefes vom 5t Sept. 1815“Laut TB am 14. September 1815 eingetroffen, jedoch bis Ende September kein abgesendeter Brief von Weber notiert.
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„… ergebenst mir die Bücher zuzusenden“Vermutlich die 1813 und 1814 in Karlsruhe erst- bzw. uraufgeführten Opern Der Berggeist oder Schicksal und Treue, romant. Oper 2 A, Libretto: Karl Philipp von Lohbauer und Malvina, Singspiel 3 A., Libretto: Georg Christian Römer.