Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Freitag, 30. Juni bis Sonntag, 2. Juli 1815 (Nr. 4)
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- 1815-07-03: von Weber
An Mademoiselle
Sängerin und Schauspielerin
des Ständ. Theaters
zu
Gegen Recipisse
Liebe theure Lina!
Indem ich diese Zeilen schreibe hoffe ich zu Gott daß meine Briefe vom 20t und 26t in deinen Händen sind, und du nicht ungerechten Verdacht gegen den faßen mögest, der wahrlich nur dich denkt, und dem dieser eine Gedanke alle übrigen verschlingt. mit inniger Freude habe ich deinen lieben Brief vom 23t gestern erhalten mit Apitzens Einschluß, besonders da lezterer auch mich deiner wiederkehrenden Ruhe und Gesundheit versichert, denn – sey nicht böse – deinen Versicherungen allein, traute ich in diesem Punkte immer nicht recht. aber Mager darfst du mir auch nicht werden, rund und fett will ich mir meine Lina denken, so recht sich erholend wie eine lange vom Sturme niedergebeugte Blume, beym ruhigen Sonnenlichte. ich bin auch gesund, und was das Arbeiten betrifft so könnte ich wohl mehr thun, da ich Zeit genug dazu habe, wenn mein Kopf nicht so zerstreut und Gedanken los wäre; manchmal glaube ich beynah alles Schöpfungsvermögen verlohren zu haben. das wäre denn doch hart wenn ich so als totales Nichts in der Welt stehen sollte. ist es denn nicht genug in mir und für mich vernichtet zu sein? – doch, pfuy, da wäre ich bald ins Klagen gekomen, und das soll nicht sein. ich hoffe ja wieder für Dich, und dann ist auch mir wohl.
Ich bin froh daß es mit Liebich beßer geht, habe ihm auch vorgestern geschrieben. auch thut es mir leid daß die Pyramiden nicht gefallen haben*, wann wird er nur wieder einmal eine gute ZugOper bekommen. Da Mad. Schmitt schön aussieht, so wird sie auch den Pragern gefallen*.
Ich kann nicht genug sagen wie wehe es mir thut, daß Apitz Prag verlaßen hat, ich habe mir so oft ihn als deine Stüzze gedacht, habe gedacht wie ihr von mir sprechen mochtet, – er ist wirklich eine gute brave Seele. du willst wißen wie es der Carl geht? das ist schwer zu beantworten. ich habe sie erst einmal und daß nur im Fluge gesprochen, wo sie mich versicherte, sie sey sehr glüklich und zufrieden. hört man aber dagegen in der Stadt die Urtheile über die Gemeinheit und Roheit Ihres Mannes, und die Art wie er sich bey seiner Verheyrathung über sie selbst in den Kaffeehäusern äußerte, so kann man das schwerlich glauben. ich habe sie Gestern spielen sehen, das KammerMädchen in der Mitternachtsstunde von Danzi. recht brav, auch ziemlich gesungen*. habe ihr aber deinen Gruß nicht ausrichten können, da ich nicht aufs Theater gieng, sondern mit Poisl und Bärmann ruhig im Parterre saß.
Nun zum Tagebuch. d: 26t wo ich an Dich geschrieben hatte, blieb ich den ganzen Tag zu Hause, und gieng gegen Abend spazieren. d: 27t auch zu Hause, und sang Abends mit Poisl seine Oper /: die neuste :/ Der Wettkampf zu Olimpia, — durch. d: 28t kamen Wiebekings wegen des elenden Wetters von ihrer Reise zurük, und ich speißte mit Bärmann da. Abends war zum Benefice der Sessi 2 Nichten für eine, bis auf Wohlbrük, sehr schlecht gegeben, und dann ein Monodram Ero und Leander, herzlich schlecht gesungen von Mlle: Sessi*. Gestern als d: 29t gieng ich um 11 Uhr aus und gratulirte dem Winter und Legrand zum Namenstag, dann in den Hofgarten s[p]azieren, Mittag bey dem HofBanquier Seligmann, jezt | Baron Eichthal. wo ich viel Auskunft über Lämmel geben mußte, der seine Tochter heyrathet. dann gieng ich aufs Museum, und las ein paar Zeitungen, dann nach Hause, wo ich Deinen lieben Brief fand, und in ihm die freudige Stimmung, die man haben muß ein Kunstwerk zu genießen, da ich die‡ in die Oper von Danzi gieng. die mich aber so weich machte, daß ich Noth hatte mich zu faßen, ich dachte mir die Oper bey uns, und dich in der Rolle des KammerMädchens*. — — . heute ist wieder sehr trübes Wetter, mir lieb, so kann ich zu Hause bleiben. Was magst du jetzt machen, bist du in der Probe? — ich küße Dich in Gedanken.
[Kußsymbol] Morgen ein mehreres.
Guten Morgen meine theure geliebte Lina.
Wie hast du geschlafen? ich habe sehr viel von dir geträumt, wie ich das unaufhörlich wachend und schlafend thue. es ist ordentlich unbegreifflich wie und auf welche Art sich der Gedanke an ein geliebtes Wesen sich in alles mengt; immer die vorherrschende Farbe ist, immer der Maasstab zu allem, kurz wie ein in das Lebensgewebe gewirkter Faden sich mit allen Krümungen Freuden und Leiden deßelben vereinigt. Auch heute habe ich wie immer den Tag mit dir begonnen, drum soll auch dir einen heiteren Tag zu wünschen mein erstes Geschäft sein. möge er dich mit Frohsinn umschweben. – ich war Gestern bey der Ziehung der Güter Walchern und Lizelburg in Bayern*. es war ein intereßanter Moment, diese Feyerlichkeit, und die gespannte Erwartung aller Anwesenden, das Wogen und Lärmen, und die Todtenstille vor dem Ruf, der Trompeten Jubel hinter drein, und die getäuschte Hoffnung auf allen Gesichtern zu sehen*. Heute ist die Ziehung in Wien von Ciak, Chalowitz pp*
Der Himmel segne deinen Glüksstern.
Dann gieng ich ins Theater, sah blinde Liebe, mittelmäßig geben, und dann Der neue Gutsherr, was wirklich manche sehr niedliche Musikstükke hat. auch hier sah ich dich wieder*. Was es mir übrigens sonderbar vorkomt, so von 6 – ½ 10 Uhr ruhig im Parterre zu sizzen und zuzusehen, kann ich nicht genug sagen. habe mich auch herzlich dabey gelangeweilt. Nun gehts zur Arbeit. Das Wetter ist sehr schlecht, ich habe also die beste Ausrede vor Tische nicht auszugehen.
Guten guten Tag.
Gestern erfuhr ich noch daß die Königin in 14 Tagen nach Baden reist ich schrieb also an die Gräfin Taxis wegen meinem ConcertT und schikte den Brief per Express hinaus nach Nymphenburg. arbeitete den übrigen Theil des Morgens, speiste Mittags mit Bärmann im Englischen Garten bey einem H: Straßburger, Banquier, und brachte den Abend bis 9 Uhr, bey Wiebekings mit Klavier spielen zu. Hoffentlich hat mein Mukkerl eine beßere Nacht gehabt als ich, ich kann immer so lange nicht einschlafen, und dann habe ich des Morgens beim Erwachen, einen so | schweren Kopf, daß beinahe [eine]‡ Stunde vergeht, ehe ich recht ordentlich denken, sehen und hören kann. es mag an dem höchst schlechten Wetter und dem daher komenden vielen Sizzen liegen. Heute hoffe ich einen Brief von meiner theuren Lina zu erhalten. in einer Stunde geht dieser an dich ab. könnte ich ihm Sprache, Leben verleihen, meine geliebte Seele, mit jeder Stunde fühle ich mehr wie theuer du meinem Herzen bist. und das soll und darf ich dir nur noch auf diesem Wege sagen, diese mir sonst so todt scheinenden Buchstaben, sind mir also jezt lebender als mein Leben, und wenn ich aufhören muß an dich zu schreiben, endet auch das Aussprechen meiner Liebe für dich. ich kann mir jene Zeit noch nicht recht denken, ich bin nicht im Stande mir ein ordentliches Bild zu verschaffen, es ist als wenn eine Ewigkeit dazwischen läge. –
Nun lebe wohl mein geliebtes Leben, sey heiter und froh, und schone Deine theure Gesundheit. Grüße wen Du willst, es meint es ja doch niemand ehrlich oder gut mit mir — denke zuweilen Deines Carls und glaube daß du kein treueres für Dein Wohl schlagendes Herz mehr finden wirst als das seine. lebe wohl theure liebe Lina. Carl.
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über Unternehmungen in München (u.a. Opernbesuche)
Incipit
„Indem ich diese Zeilen schreibe hoffe ich“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 54Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest u. -loch
- PSt: a) MÜNCHEN | 2 JUL. 1815.; b) Chargé
- Auf Bl. 1r oben links Ergänzung von Jähns: „No 4. (1815.)“
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Bartlitz (Muks), S. 135–140 (Nr. 21)
-
tV: MMW I, S. 484 (nur Auszug vom 30. 6.)
Themenkommentare
Textkonstitution
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„die“durchgestrichen
-
„… schweren Kopf, daß beinahe eine“Textverlust durch Siegelloch, vermutliche Ergänzung
Einzelstellenerläuterung
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„… sie auch den Pragern gefallen“Auguste Schmidt gastierte vom 22. Juni bis 20. Juli 1815 am Prager StändetheaterT.
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„… recht brav, auch ziemlich gesungen“Zu den Mitwirkenden gehörten u. a. J. Lanius (Don Gusmann), A. von Neumann (Julie), C. Lanius (Cecilia Duenna), M. Carl (Laura), H. Augusti (Mathias), K. A. Bader (Don Fernando) und J. Staudacher (Bastian).
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„… schlecht gesungen von Mlle: Sessi“Aufführung im Hof- und Nationaltheater; auch der Korrespondent der AmZ, Jg. 17, Nr. 35 (30. August 1815), Sp. 596 urteilte bezogen auf Generalis Monodram: „Ungeachtet grosser Anstrengung blieb das Ganze ohne besondere Wirkung: Seele und Ausdruck fehlten.“
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„… in der Rolle des KammerMädchens“Die Rolle des Kammermädchens Laura spielte in der EA am Isarthortheater am 29. Juni 1815, wie bereits oben erwähnt, Margarethe Carl.
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„… Walchern und Lizelburg in Bayern“Verlosung der Herrschaften Walchen und Litzelberg; vgl. u. a. Münchener Politische Zeitung, Jg. 16, Nr. 140 (16. Juni 1815), S. 628.
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„… auf allen Gesichtern zu sehen“In der Baierischen National-Zeitung, München, Nr. 147 vom 24. Juni 1815, S. 624 wurde angekündigt: „Die Loose der allergnädigst bewilligten Lotterie für die Herrschaften Walchern und Lützelberg sind nunmehr, durch die niedergesezte Königliche Kommission in das Glücksrad eingelegt, und die Ziehung wird den 30. Junius Abends um vier Uhr auf dem hiesigen Rathaussaale öffentlich vor dem versammeltenn Publikum vor sich gehen. Königliche Polizei. Direktion. von Stetten, Direktor“.
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„… von Ciak , Chalowitz pp“Im Allgemeinen Intelligenzblatt zur Oesterreichisch-Kaiserlichen Wiener-Zeitung, 1815, Nr. 182 (1. Juli), S. 2 ist die „Lotterie-Loos-Revision“ bezüglich der böhmischen Güter Ziack, Kluck und Chwalowitz angezeigt.