Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mainz
Prag, Montag, 30. Januar 1815

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S: Wohlgebohren

Herrn Gottfried Weber

Tribunal Rath

zu

Mainz

Geliebtes altes treues Herz!

Dein so lieber Brief vom 1t Dec: 1814 traf mich im Krankenbette, und sein Inhalt, und die alte herzliche Liebe die daraus sprach, trug nicht wenig zu meiner Genesung bey. Ja es bleibt beim Alten, und diese Ueberzeugung ist mir innig wohlthuend, da ich täglich und stündlich mehr fühle daß ich mich von den Menschen mehr und mehr entferne, und es gar zu viele Hundeseelen auf der Welt giebt.      das Böhmerland ist ein wahres Spital für mich geworden, ich, der ich mich sonst der besten Gesundheit erfreute, bin nun seit 2 Jahren zum 4ten male bedeutend krank gewesen*. dießmal hatte mich wieder ein reumattisches Fieber gepakt, welches es besonders immer auf meinen armen Kopf münzt, der dadurch solche Schmerzen leidet, und so empfindlich ist, das ich die längste Zeit weder Schreiben noch lesen darf. ich bin nun beynahe schon 4 Wochen aus dem Bette, und doch ist dieß der erste Brief den ich seit 2 Monaten schreibe, und auf den ich mich so lange freute, um dich meiner ewig unveränderlichen Bruderliebe, und der großen Freude dich eben noch so zu wißen, versichern zu können.

Nun zu deinem Brief.      daß du in Mainz angestellt bist, dazu sollte ich dir wohl eigentlich gratuliren, aber es ist mir gar nicht recht, dich von Manh: entfernt zu wißen, ich kann mich jezt gar nicht zu dir denken. sonst wuste ich beinahe in jeder TagesZeit wo du sizzen, arbeiten, singen pp würdest. – nun kann Mannheim lange stehen ehe es mich wieder zu sehen bekömt.

Von deinem TeDeum schikke nur immer 2 Exemplare ich werde das Porto nicht scheuen.      Gratulire von Herzen H: Bruder zu der Medaille es ist Zeit daß du auch einmal etwas ärndtest*. — Wirth und Gast kenne ich gar nicht, ich bin aber überzeugt daß es gut ist. es hat sich ein Streit über die Aufführung* in der Wiener Theater Zeitung erhoben*, nach Beers Abreise, der 8 Tage nach der Vorstellung nach Paris abgereißt ist. dieß alles weis ich natürlich nicht von ihm, sondern von Fremden, und Wiener Briefen. Von Gänsbacher habe ich vor einigen Tagen einen Brief erhalten von Padua aus*.      seine sichere Adresse ist aber folgende.

An den Kais: Königl: Oberlieutenant Joh: G: vom 2t Battaillon des löbl: Fennerschen Tyroler Jäger Corps. unter couvert an H: Joseph von Gumer, zu Botzen in Tyrol. der besorgt seine Briefe und weis immer wo er ist. – der gute Junge weis selbst nicht recht was er thun soll. Meiner Meynung nach soll er in dieser einmal so brillant begonnenen Carriere bleiben*, da er immer dabey Zeit genug hat, als Componist etwas zu leisten.

Es ist das traurigste auf der Welt, Niemand um sich zu haben, mit dem man über seine Arbeiten sich besprechen kann, es lähmt alle Lust und Kraft, du must dieß jezt leider auch empfinden, und wirst alle Anstrengung. nöthig haben nicht ganz unthätig zu werden. ein Requiem von 10 Minuten ist etwas sehr kurz, aber ich verdenke dirs nicht; der Text | hat mich auch immer coujonirt, und diese Kürze ist vielleicht einer großen Menge willkommen, da die andern Requiems um das doppelte zu lang sind. ich möchte es wohl sehen. vielleicht bekomme ich es von Berlin, wo man ohnedieß manchmal Sendungen für unser Theater hieher macht.      Für die übersandten Rezeptbücher* danke bestens, obwohl sie mir einen sehr unangenehmen Tag machten, ich wartete nehmlich mit der grösten Sehnsucht auf einen Brief von dir, und nun kamen die Bücher, und auch nicht eine Zeile dabey, –  ich glaubte also daß du unversöhnlich seyst, — bis Gott sei Dank, den andern Tag dein lieber Brief ankam. Wie gerne möchte ich dir meine Schuld abtragen, und auch die übrigen ⅔tel. des Vaters bezahlen, wenn nicht unser Geld gar zu schlecht im Cours stünde, und es mir also vor der Hand unmöglich istT. von Friz habe ich Gestern einen Brief erhalten, wo er auch fürchtet bald wieder brodlos zu sein. löst sich denn die Denglerische Gesellschaft auf?* wenn ich kann, lege ich dir einige Worte an ihn bey*.      Von meiner Berliner Anstellung ist alles stille.T ich habe in langer Zeit keine Nachrichten von daher, und das ist ganz natürlich denn ich habe auch so lange nicht hin schreiben können. die Zeitungen sprechen von Spontini* — — item wie der Himmel will vor der Hand sizze ich noch beinah 2 Jahre hier fest.

So ist denn der schöne Kreis ganz zerrißen. — die arme Tonel Gott schenke ihr Frieden der guten Seele.

Es ist himmelschreyend wie des guten Voglers Mspte. verschleudert worden sind*. ist das das Ende eines so wahrhaft großen Geistes, und handelt so, ein so kunstliebend wollender Fürst?      die ganze Welt ist doch wahrhaftig so elend und erbärmlich, daß man oft über seinen eigenen Wahnsinn erstaunt, noch etwas anderes zu thun als Kartoffeln zu säen. Es ergreifft mich oft eine ungemeine Bitterkeit wenn ich das alles so mit ansehe und überdenke.      ich begreiffe jezt das verschloßene, schwer zugängliche Wesen großer Männer, die auch von dem Welt Geschmeiß so nie sich zurükgescheucht, nur selten sich aufschließen, und in ihr Inneres offen und warm darlegen.      Mein jeziger Aufenthalte trägt nicht wenig dazu bey mich so mürrisch zu machen, und du würdest mich kaum mehr erkennen, so eine finster ernste Farbe hat sich über mein ganz Wesen verbreitet.

Mit der Chronometer Bezeichnung ist es so eine Sache. ein gutes Gefühl wird ein Tempo nie ganz vergreiffen, und es sich immer aneignen – wenn auch vielleicht etwas rascher oder langsamer nach der Individualität. Auch ist man selbst besonders bey eigenen Comp: nicht immer gleich in der Bewegung.      doch ist es auf jeden Fall eine schöne Erfindung um so manchem rein musikalischen Rindvieh den rechten Weg zu zeigen, und wenn ich einen hätte würde ich es gerne meinen Arbeiten beysezzen. Seit Jahr und Tag habe ich nichts gelesen. da ausländische Zeitungen bey uns gar nicht zu bezahlen sind. ich erhalte aber in diesen Tagen die Musik: Z: da will ich deinen Aufsaz nachlesen und dir bestimmter meine Meynung darüber sagen.*

Die Körnerschen Lieder sind meine lezte Arbeit ich habe 11 davon comp: 6–4 stimig für Männerstimmen. 4, für 1 Stimme am Klavier, und das Gedicht an den Prinzen Louis, selbstständig für sich mit eingewebten | Stellen aus seinen Werken. ich habe 3 davon mit 16 Männerstimmen in meinem Concert Anfangs dieses Monates aufgeführt, die Furore machten und Da Capo gerufen wurdenT, etwas hier in einem Concerte unerhörtes.      Schleßinger verlegt sie. ich habe aber Streit mit ihm deßhalb. Stelle dir vor, der Esel hat mit Gewalt 12 daraus machen wollen, da es einer VerlegerSeele unbegreifflich ist, daß wenn einen 11 Lieder angesprochen haben, nicht auch das 12t noch könne gemacht werden. hat also in Hoffnung deßen die 4 stimmigen und 1 stimmigen durcheinander geworfen um 3 Hefte zu formiren und so die ganze Folge gestört, die ich immer so vorsichtig berechne. ich habe ihm darüber noch aus dem Bette einige derbe Zeilen geschrieben, und daß ich die Lieder zurüknähme, wenn er sie nicht so stäche, wie ich es wollte*. Er hat mir bis jezt nicht geantwortet. ’s ist ein Jammer mit diesen Hunden.

Berner hat mir endlich auch geschrieben und versprochen dem Cent[rum]* zu referiren. — Gott wie zerstreut ist dieser schöne Verein. wir sind Ver – ein – zelt.

Nun lebe wohl mein geliebter theurer Bruder, ich bin wahrlich kein Weltkind geworden, ich hänge treu und fest an den wenigen Menschen, die mich lieben, und nur der Tod kann meine Liebe mit ins Grab nehmen. Grüße deine theure Gustel aufs herzlichste von mir, schreib bald wieder und behalte lieb deinen ewig unveränderlich treusten Bruder W:

Apparat

Zusammenfassung

klagt über Krankheit und Einsamkeit in Prag; betr. Anstellungsverhandlungen für Berlin; betr. den Verkauf des Vogler-Nachlasses; äußert sich über Chronometer-Bezeichnung; teilt mit, dass er 11 Lieder nach Körner für versch. Besetzungen komponiert habe; berichtet über Ärger mit Schlesinger wegen Verlags dieser Lieder

Incipit

Dein so lieber Brief vom 1. December 1814 traf mich

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest
    • Vermerk von Gottfried Weber am Briefkopf: „Erhalten 7tFebr. 1815. beantw. 7t & 9ten

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Bollert/Lemke 1972, S. 66–67 (unter dem 7. Januar 1815)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… ten male bedeutend krank gewesen“Im Brief an H. Lichtenstein vom 31. Januar und 4. Februar 1815 datiert Weber den Beginn seiner Krankheit mit 3. Dezember 1814 (Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit liegen nicht vor).
    • „… du auch einmal etwas ärndtest“Nach Erscheinen des Erstdrucks übersandte Gottfried Weber ein Exemplar dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. und erhielt von diesem „ein huldvolles Schreiben und eine Medaille mit dem königl. Bildnis geschmückt“, vgl. AmZ, Jg. 16, Nr. 52 (28. November 1814), Sp. 882.
    • „… ein Streit über die Aufführung“Die Aufführung mit dem Titel Die beiden Kalifen fand am 20. Oktober 1814 erfolglos im Kärntnertortheater statt.
    • „… der Wiener Theater Zeitung erhoben“Vgl. die Berichte in: Theater-Zeitung, Wien, Jg. 7, Nr. 116 (27. Oktober 1814), S. 461f. und Nr. 126 (22. November 1814), S. 501–503.
    • „… Brief erhalten von Padua aus“Gänsbacher war am 13. Dezember 1814 mit dem Fennerschen Corps in Padua eingetroffen; vgl. Denkwürdigkeiten, S. 69.
    • „… so brillant begonnenen Carriere bleiben“Gänsbacher gehörte seit März 1814 als Oberleutnant dem Fenner-Corps an; vgl. Denkwürdigkeiten, S. 62. Er blieb bis zu seinem Wechsel als Domkapellmeister nach Wien 1824 im aktiven Militärdienst.
    • „… macht. Für die übersandten Rezeptbücher“Vgl. Webers Briefe an Gottfried Weber vom 29. Januar und 10. Mai 1814.
    • „… die Dengler ische Gesellschaft auf?“Fridolin von Weber verließ die Dengler’sche Gesellschaft und wurde im Januar 1815 durch den Musikdirektor Friedrich Uber ersetzt; vgl. Hermann, Maas, Das Mainzer Theater vom Beginn der zweiten Franzosenherrschaft bis zur Einweihung des Neuen Schauspielhauses (1798–1833), Diss. Gießen 1928, S. 50 (dort fälschlich als A. von Weber).
    • „… einige Worte an ihn bey“Im Tagebuch ist erst am 8. Februar 1815 (also nach Absenden des Briefes an Gottfried Weber) ein Brief an den Halbbruder Fridolin von Weber erwähnt.
    • „… die Zeitungen sprechen von Spontini“Vgl. dazu auch den Brief vom Intendanten Brühl an den Staatskanzler Hardenberg. Die Anstellung Spontinis kam 1815 nicht zustande; er kam erst im Frühjahr 1820 nach Berlin.
    • „… Voglers Mspte. verschleudert worden sind“Sein Nachlass wurde 1814 versteigert, vgl. Verzeichniß der von Vogler nachgelassenen, größtentheils noch nicht bekannten praktischen und theoretischen, im Manuscript vorhandenen Werke, sowie seiner im Druck erschienenen und mehrerer fremden Musikalien (Auktionskatalog 29. Sept. 1814), Darmstadt 1814.
    • „… bestimmter meine Meynung darüber sagen.“Weber nimmt Bezug auf Gottfried Webers Aufsatz Ueber die jetzt bevorstehende wirkliche Einführung des Taktmessers, in: AmZ, Jg. 16, Nr. 27 (6. Juli 1814), Sp. 445–449 und Nr. 28 (13. Juli 1814), Sp. 461–465.
    • „… stäche, wie ich es wollte“Die Vorschläge Schlesingers zur Umgruppierung der Hefte können frühestens in dessen Brief vom 6. Dezember 1814 enthalten gewesen sein. Webers entsprechender Antwortbrief entstand noch während seiner Erkrankung im Dezember 1814.
    • „… und versprochen dem Cent rum“Gemeint ist Gottfried Weber in Mannheim.

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