Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mannheim
Prag, Donnerstag, 3. bis Mittwoch, 16. November 1814
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1814-11-08: an Rochlitz
- 1814-11-12: von Schlesinger
Folgend
- 1814-11-20: an Kotzebue
- 1814-11-26: von Lichtenstein
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1814-05-11: an Weber
- 1814-06-01: von Weber
Folgend
- 1815-01-30: an Weber
- 1814-12-01: von Weber
Ich weiß daß mit jedem Tage, den ich ohne deinen Brief vom 1t Juny 1814 zu beantworten vorbeygehen ließ, ein gerechter Grund zu neuem Unwillen in dir entsteht, daß je länger ich warte je größer die Kluft und die Spannung werden möchte die leider Gottes sich so elend zwischen uns eingedrängt hat. Kein Tag ist vergangen an dem ich dieß nicht schmerzlichst gefühlt hätte, und doch hatte ich nie Kraft genug mich dran zu wagen, und die brandig verharrschte Wunde mit Gewalt aufzureißen zu neuer ächter Heilung. du hast mir in deinem Brief, wehe, recht im Innersten wehe gethan. — ich hatte dir in meinem vom 5t May so ehrlich, ausführlich und wahr geschrieben wie mir zu Muthe, welch fürchterliche Stimmung mich damals beherrschte, ich hatte so ganz im Gefühle meiner Schuld gegen dich geschrieben, und hoffte nun auf einen vergebenden versöhnten Ton, – und erhalte indem ich mit der innigsten Freude und Hoffnung den Brief öffne, das Gegentheil davon mit einer Bitterkeit, die du selbst gewiß jezt nicht billigen würdest. –
Im Anfange war ich tief gekränkt, auch etwas böse, das leztere hat sich bei ruhigerem Durchlesen verlohren. Ich sehe ein daß du ein vollkommenes Recht hast mit uns allen Unzufrieden zu sein. du hast viel, recht viel gethan. ich vor allem, habe dir nicht nur den grösten Theil meines Bekanntwerdens in der Welt gröstentheils zu verdanken, sondern auch Hauptsächlich die Gründung meines Rufes. ich werde das nie vergeßen, und ein Schuft erster Größe müste ich sein, könnte ich das. daß es dir mit der Anzeige deiner Sachen immer so wiederlich und schwer gegangen, muß freilich endlich Unwillen in dir erregen, aber wenn du alle Umstände durch Beers und Gänsb: Nachläßigkeit herbeygeführt erwägst, so wirst du auch gerecht genug sein deinen Verdruß nicht an mir auszulaßen, da ich mir glaube nichts weiter vorwerfen zu können, als damals die Rezens: des Te deums nicht abgeschikt zu haben. Wie dieß zusammen hängt werde ich dir sagen, sehe es aber als keine Entschuldigung an, denn du hast Recht daß sich eigentlich nichts entschuldigen läßt was nur halb Unrecht ist. – Hast du seit Jahr und Tag etwas über Prag in der Mus: Z: gelesen? Nein! Warum? Seit Jahr und Tag habe ich Rochliz versprochen eine getreue Relation deßen was hier geleistet, und aufgeführt worden zu schreiben. Seit Jahr und Tag habe ich weder Stimmung noch Zeit dazu finden können, so schob und häuffte sich das einzelne zum Ganzen nach und nach auf, und nun muß ich doch endlich beginnen wenn nicht Prag keine vollkommne Null in der KunstWelt sein soll, und ich Rochliz nicht soll umsonst so lange hingehalten haben. Ich glaube daß dadurch der Vorwurf der Selbstsucht und des nur an sich denkens, der recht hell in deinem Briefe an mich durchschimmert, – gehoben ist.
So lange ich hier bin, habe ich nichts von mir gegeben, ausgenommen | in denen Concerten die ich vor meiner Anstellung als Reisender gab. ich habe Beers Oratorium aufgeführt, dein Te Deum, und Gänsbachers Requiem*. Jedes bey vorzüglichen Gelegenheiten und starker außergewöhnlicher Besezzung. da ich selbst weis wie wohl es thut seine Sachen gepflegt zu sehen, so ist es auch mir eine wahrhaft große Freude fremde Arbeiten mit möglichster Vollendung zu geben, ja, ich sezze meinen Stolz darein. um wie viel mehr muß es mir also Freude sein, von denen etwas zu geben, die mir theuer sind, die ich liebe, und denen ich Dank schuldig bin. Schreib etwas für die Bühne und du sollst es sogleich aufgeführt sehen. Da du das Locale hier nicht kennst, so wähnst du Böhmen als ein so Musikbegieriges Volk, als es /: weis Gott wodurch :/ gewöhnlich beschrieen wird, du glaubst vielleicht die Kirchen Musik im Flor, oder beachtet? Nichts weniger. Niemand führt etwas auf, und geschieht es, so bekümmert sich kein Mensch darum. Ich habe Beer um seine Jephta gebeten, Er hat mir nicht geantwortet.
Was dein Te Deum betrifft so gebe ich dir mein Wort, daß es unter dieser Gestalt nicht mehr gegeben werden soll. die große MusikGesellschaft hat es auf Ihre Kosten damals ausschreiben laßen aber ich mache es zu meinem Eigenthum*. der Beweiß den du davon forderst ist zu unbeweisend als daß ich ihn für nöthig fände und /: verzeih das harte Wort :/ noch jezt empört mich der Hohn und Grimm mit dem du ihn verlangtest. die neue Partitur werde ich mir zu verschaffen wißen. –
Lieber Bruder! Wie kann man 3 Seiten lang so hart, bitter und aufs höchste kränkend sein, und dann doch wieder einen herzlichen Funken zeigen. - Ja, könnten wir uns sehen, sprechen. - Es wäre doch bey Gott schändlich, wenn ein so schön geschloßener Bund, wo so recht Kopf und Herz mit einander Hand in Hand giengen wegen ein paar erbärmlichen Empfindlichkeiten sich langsam selbst zernagen sollte. Nein wahrlich das soll er nicht. und wenn du auch noch 1000 mal bittrer wirst, und gar nichts mehr von mir wißen willst, so werde doch ich nie deine Liebe, deine Hülfe, deine Treue und deinen Rath vergeßen. du glaubst nicht wie es mich ergreifft wenn ich daran denke daß du mich nicht mehr lieb hast. ich stehe ja ohnedieß so allein in der Welt. - ich kann nicht mehr. Gute Nacht. - |
Es sind nun schon 8 Tage her, daß ich nicht wieder dazu kommen konnte, meinen Brief zu vollenden, doch fühle ich mich beruhigter nur durch den Gedanken daß ich endlich einmal wieder frisch weg aus dem Herzen mit dir gesprochen habe, es ist mir als müstest du es jezt schon wißen, schon versöhnter, und freundlicher an mich denken. Ich ziehe dir hier in Kürze meine Fata zusammen.
Das Ende May und der Juni vergiengen in GeschäftsArbeiten die von meinem ewigen Kopfwehe begleitet waren, und Anstalten zu meiner Reise, die ich d: 8t July ins Baad Liebwerda antrat! wo ich eine förmliche Baad und Trinkkur gebrauchte, die mir nebst der Ruhe große Dienste that. d: 31t reiste ich nach Berlin ab, wo ich d: 2t August ankam. Hier war ein ganz andres Leben und Weben als vor 2 Jahren, alle Menschen voll guten Muths und frohen Sinnes, und hier wurde denn auch mein erschlafftter Geist wieder gewekt, und Lust und Liebe zur Arbeit erwachten in dem Kreise von wahren Kunstfreunden und angefeuert durch ein theilnehmendes Publikum. Ich sah alle damaligen Festlichkeiten* und genoß des angenehmsten Umgangs, machte Geschäfte mit Schleßinger gab d: 26t mein ConcertT das sich durch ein volles Haus und Beyfall auszeichnete. das zusammentreffen mit den beyden Rombergs, und Rhode, trug auch nicht wenig zur lebendigen Unterhaltung bey, und du kannst denken daß wir was ehrliches gemusikt haben.
d: 5t Sept: wurde Silvana bey brechend vollem Hause gegeben, und dieselbe Nacht noch reiste ich nach Leipzig ab. In Berlin wurden mir Anträge von vielerley Art gemacht da zu bleiben, und es wäre wohl möglich daß in der Zukunft sich etwas davon realisirt doch steht es noch in weitem Felde, und hätte auch wenn gleich viel reizendes und beglükendes für mich als Comp: doch manches unangenehme als KapellMster. wegen der Nähe und denen QuerZügen meines H: Vetters Anselm.
In Leipzig war nichts für mich zu thun da alle Säle noch unbrauchbar von den Lazarethen her waren*. ich blieb also blos 2 Tage da um mit Rochliz manches abzusprechen, und kam d: 9t in Weimar an. Auch hier traf mich der Unstern die Großfürstin gerade im Begriffe abreisen zu wollen, zu treffen, und ich muste also blos mit einer freundlichen Audienz abgespeißt nach Gotha trollen, wo ich den Herzog auf dem Lustschloße Tonna besuchte und bis den 18t da blieb mit aller Liebe und Güte gepflegt wurde, und mir wohl sein ließ.
d: 18t giengs nach Gotha zurük wo ich Abends im HofConcert spielte welches d: 20t wiederholt wurde, hier fand ich nun die dringendsten Briefe von meiner Direktion zurük zu kommen die auch so wichtige Gründe enthielten daß ich guter Esel mich entschloß noch vor gänzlichem Ablauf meines Urlaubes zurükzugehen, und mein Concert in Leipzig welches ich auf die Rükreise d: 4t 8ber bestimmt*, – aufzugeben und im Stiche zu laßen. Ich reiste also Hals über Kopf den | 21t schon ab, gab im Durchfluge d: 23t in Altenburg ConcertT, und kam den 25t endlich glüklich wieder im StandtQuartiere an, wo ich seitdem kaum Zeit zum Athemholen habe erhaschen können. Ich fand hier Mad: Werner die Gastrollen mit vielem Beyfall gab*, erkundigte mich nach dir, Sie konnte mir aber gar wenig von dir sagen, als daß Sie glaube du seist nach Mainz gereiset. da Sie noch Umwege machte gab ich keinen Brief mit, hätte es aber doch thun sollen den[n] dieser kömt nun doch nicht früher hin. so weit meine Fata.
Comp: habe ich fast gar nichts als 9 Lieder von Körner* und Variat über ein rußisches Lied. Beers Oper /: Wirth und Gast :/ ist in Wien nur einmal gegeben* und Total durchgefallen, welches mich unendlich ärgert, warum giebt der Kerl seine Sachen nicht hieher. Sie haben ihm gewiß unendliche Kabalen gemacht, und sind doch viele Stimmen die den Werth der Musik anerkennen. ich werde ihm darüber schreiben.
Gegenwärtig ist Andreas Romberg hier und giebt Concert*. Fidelio von Beethoven studire ich jezt ein, hat herrliche Kraftstükke. Gänsbacher sizt in Mantua und langweilt sich, weil Er lieber in Trient war, ich hoffe doch daß er beym Militär bleibt. Von Ritters Opern, kann ich deiner Liste gemäß, nichts brauchen, und das thut mir leid, ich hätte ihm gerne bewiesen daß ich anderst denke als Er. Wegen der Verlaßenschafts Angelegenheit, werde ich wohl das übrige noch bezahlen müßen, und dir nebst dem dir schuldigen noch meinen Benefize überschikken. damit die Sache einmal ein Ende nimmtT.
Es ist unbegreifflich daß Vogler gar nichts über seine Werke disponirt hatte, und Gott weis wie sie jezt werden verschleudert werden.* Sein Te Deum habe ich, dir steht es natürlich zu Diensten. aber sonst auch Niemand.*
Aechte Türkische Bekken, wirst du nun wohl nicht mehr brauchen damals waren keine da. jezt kostet das Paar 100ƒ –
Lieber, alter Gottfried, könnt ich dich doch mir gegenüber sehen, und dich so recht innig an meine Brust drükken, wie bald würdest du sehen daß ich noch ganz der Alte für dich bin, und wie schnell würde dein Groll schwinden. Sey nun aber auch barmherzig und schreibe mir bald nur 2 Zeilen wieder, damit ich endlich ein bischen ruhiger werde. Deine liebe Gustel grüße Tausendmal und Sie soll für mich bitten. Könntet ihr euch nur 2 mal 24 Stunden in meine Laage denken, ihr würdet gewiß anderst urtheilen und fühlen. ich könnte mich oft selbst prügeln. noch 2 Jahre habe ich hier auszuharren, und Gott gebe nur daß ich nicht endlich gar dieß trokne fortEseln gewohnt werde und zulezt nicht mehr fühle wie Geist tödtend es ist.
Lebe wohl, recht wohl mein theurer Bruder, und laße bald ein Wort des Trostes hören, deinen dich gewiß ewig unverändert liebenden Bruder Weber. d: 16t 9ber —
Apparat
Zusammenfassung
betrifft Verstimmung Gottfried Webers; berichtet Fata seit Mai d.J.; neue Kompositionen und Aufführungen; Meyerbeer, Vogler und Gänsbacher betr.; erwähnt Verlassenschafts-Angelegenheiten (F. A. von Weber)
Incipit
„Ich weiß daß mit jedem Tage, den ich ohne Deinen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation
Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
- Beantwortungsvermerk Gottfried Webers am Briefkopf: „beantw. 1t Decbr“
Provenienz
- Stargardt Kat. 630 (1983), Nr. 1005, mit Faks. der Seite 1 (S. 307)
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Bollert/Lemke 1972, S. 63–65
Themenkommentare
Einzelstellenerläuterung
-
„… Deum , und Gänsbachers Requiem“Zu den Aufführungen am 25. Dezember 1813 (Gott und die Natur), 4. Juli 1813 (Te Deum) und 25. Februar 1814 (Requiem) vgl. u. a. die Tagebuchnotizen, allerdings war Weber nur bei Meyerbeers und Gänsbachers Werk tatsächlich als Dirigent beteiligt, beim Te Deum dürfte er lediglich den Anstoß zur Aufführung gegeben haben, wie sein Brief an Gänsbacher vom 5. März 1814 nahelegt.
-
„… mache es zu meinem Eigenthum“In Prag wurde das Werk offenbar in der Urfassung von 1808, nicht in der überarbeiteten Fassung von 1812 gegeben; zu den Fassungen vgl. Weberiana 21 (2011), S. 102f.
-
„… d: 4 t 8ber bestimmt“Zu Webers Hoffnungen auf ein Konzert in Leipzig vgl. den Kommentar zum Brief an Carl Christoph Schultze vom 16. August 1814.
-
„… als 9 Lieder von Körner“Weber komponierte erst nach den 6 vierstimmigen Gesängen vier (nicht drei) Sololieder.
-
„… in Wien nur einmal gegeben“Vorstellung an der Hofoper (Kärntnertortheater) am 20. Oktober 1814.
-
„… Romberg hier und giebt Concert“Das Konzert des Violinisten Romberg war am 23. November 1814 im Redoutensaal und bestand vorwiegend aus eigenen Kompositionen, vgl. Der Sammler, Jg. 7, Nr. 15 (4. Februar 1815), S. 68.
-
„… sie jezt werden verschleudert werden.“Sein Nachlass wurde noch im selben Jahr versteigert, vgl. Verzeichniß der von Vogler nachgelassenen, größtentheils noch nicht bekannten praktischen und theoretischen, im Manuscript vorhandenen Werke, sowie seiner im Druck erschienenen und mehrerer fremden Musikalien (Auktionskatalog 29.Sept.1814), Darmstadt 1814.
-
„… aber sonst auch Niemand .“Ungewiss, welches Weber besaß, von Vogler gibt es mehrere Te Deum-Kompositionen, vgl. Karl Emil von Schafhäutl, Vogler, Nr. 127, 163, 228, 262, 263.