Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher in Trient
Prag, Samstag, 5. März 1814

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Liebster theurer alter Hans!

Schimpfe, lärme, tobe, nenne mich einen Hund, alles was du willst, glaube alles, nur das nicht daß ich einen Augenblik hätte aufhören können mit der innigsten alten Liebe an dir zu hängen denn das kann nur mit meinem Leben endigen. Mein langes Stillschweigen hat wirklich keinen anderen Grund als daß ich wirklich keine Zeit hatte dir ordentlich zu schreiben, mit ein paar Zeilen wollte ich dich nicht abspeisen, und so wurde es von einem Tage zu dem andern verschoben. du weißt ja wie es geht. Mit der grösten Theilnahme bin ich dir im Geiste bey allen deinen Unternehmungen gefolgt, und freue mich herzlichst deiner solideren Anstellung. Wie kannst du glauben daß ich dein Handeln mißbillige? rieth ich nicht selbst obwohl mit schwerem Herzen dazu? ich stehe so ganz allein. ich bin in einer stets sehr traurigen Stimmung, und meine große Beschäftigung ist daher noch ein wahres Glükk. An Gottfried habe ich geschrieben und Briefe erhalten. auch Er begreifft mein Stillschweigen nicht. ich bin wirklich ein sehr lederner Kerl geworden, so recht trübe in mich hinein gescheucht. Arbeiten kann ich vollends gar nichts. du erhältst hiebey alte Briefe, die ich dir aber doch nicht vorenthalten wollte. Ich würde dir überhaupt schon längst geschrieben haben, wenn nicht die F: mit Gewalt immer hätte meine Briefe in Ihre einschließen wollen. erst vor 3 Tagen erhielt ich deine Adresse, und zugleich ein Verzeichniß von deinen Sachen die ich nach Bozen schikken soll, welches geschehen wird sobald sie abgeschrieben sind.

Was ich bisher geleistet habe, werde ich dir erzählen. an Opern habe ich einstudirt: 1 Cortez 2 die vornehmen Wirthe 3 Joseph. 4 Vestalin. 5 Wasserträger. 6 Uthal. 7 Faniska. 8. Lotterieloos. 9 Carlo Fioras. 10. Aschenbrödel. 11. Joh: von Paris 12) Don Juan. 13. Die Dorfsängerinnen. 14. Adolph und Klara. 15t das HausGesinde. 16 die Verwandlungen. 17. Sargines*. 18. Titus*. | d: 25t Dec: gab ich für die WittwenSocietät im Theater, das Orat. von Meyer Beer. Gott und NaturT. ich hatte es höllisch probirt* und es gieng gut. Mein armer braver Tenorist Mohrhardt starb am Nervenfieber, und da hab ich ihm d: 25t Februar um 9 Uhr bei St: Galli dein Requiem aufgeführt. es gieng gut und ich war im Geiste bey dir. es ist ein treffliches Werk Herr Bruder. ich hätte dich dafür küßen mögen. d: 28t Febr: gab ich die Schöpfung für die HausarmenT. sie gieng vortrefflich. überhaupt würde dir das Herz im Leibe wakkeln vor Freude wenn du mein Orchester jezt hörtest. diese Kraft, Feuer, und Zartheit. ich bin sehr zufrieden, und ist dieß meine einzige Freude. übrigens lebe ich wie ein Hund. gleich nach dem Theater nach Hause. und keine Seele die Antheil nähme oder mit der ich über die Kunst sprechen könnte. Silvana ist in Weimar zum Geburtstag der Großfürstin am 16t und 19t Februar mit Beyfall gegeben*. nun hast du alles Neue das ich weiß und nun zur Beantwortung deiner Briefe.

Mit Dölle ist es nichts mehrT, Er hat uns zu lange bey der Nase herumgezogen, und jezt können wir ihn nicht mehr brauchen. Jung hat viel zu thun. hat ein kleines Mädchen unterdeßen bekommen ist ihm aber vor 3 Tagen wieder gestorben* du kannst dir den Jammer denken. Bey Kleinwächters und Liebichs ist alles beym alten. den Don Juan habe ich zu meinem Benefiçe gegeben und 1200 ƒ eingenommen die sogleich nach Stuttgart spaziert sind*. in Jahr und Tag hoffe ich auch diese Last los zu sein und für mich zu arbeitenT.

Deinen Brief vom 19t Februar mit dem Chor habe ich Gestern erhalten. heute eße ich bey Firmian. da werde ich davon erzählen was ich für gut finde.

Die Overture die du in Botzen von mir hörtest* wird wohl die aus Es dur sein dem weiland König von Westphalen dedicirt, | das Webersche Tedeum habe ich im Wallensteinischen Garten aufführen laßen. im Sommer*. deine Kreuzfahrer Overture werde ich abschreiben und gelegentlich nach Mannheim schikken. der Jörgl in Paris ist wirklich ein Gedanke der mir viele Freude macht. Gott schüze dich und erhalte dich mir und der Kunst. der Chor ist recht schön, und will ich ihn nächstens einmal wenn auch nur für mich loslaßen.

D moll ist hier und hat viel Verdruß wegen den ErbschaftsAngelegenheiten. ich sehe Sie von 14 – 14 Tagen, da ich unmöglich öfter Zeit habe. du bist dann an der TagesOrdnung ich werde ihr deine Adresse geben, und Sie wird dir gewiß schreiben. Du lebst im Kriegsgetümmel und opferst den Musen, ich kazbalge mich den ganzen Tag in ihrem Dienst und thue nichts. eine neue Sonate in As dur habe ich angefangen. deine Lieder besonders das in F moll sind meine wahre Erquikung und ich kann Sie ganz auswendig. im Clamschen Hause ist alles beym Alten, ich eße oft da und Pepi erkundigt sich dann fleißig nach dir. Schlicks haben mir deine Lection angetragen, ich habe es ihnen aber rundweg abgeschlagenT. d: 4t Aprill gebe ich Concert.T da will ich lauter böhmische Componisten loslaßen, und etwas von Tomaschek Wittasek und Weber aufführen. auch einige Kleinigkeiten von Vogler und Gluk dazwischen werfen. von mir nichts. Stelle dir vor Polawsky wird die Schechtizky heyrathen. – Wenn du wieder kömst wirst du ein paar hübsche Mädchen mehr beym Theater finden. Mlle Brandt und Mlle Bach.

Ach Bruder, ich kann mir die Freude gar nicht denken einmal ordentlich wieder mit dir schwazzen zu können. Jezt gehts in die Probe und ich muß schließen. ich drükke dich innigst an mein Herz, in Gedanken, und reiche dir den BruderHandschlag aus der Ferne, bis das Schiksal dich wieder vereint mit deinem dich ewig liebenden unveränderten Bruder Weber. |

Ich studire jetzt Samori ein*. Wie wird dir?

Alle Bekannten grüßen dich herzlichst.

Apparat

Zusammenfassung

gratuliert zu Gänsbachers militärischer Anstellung; berichtet über Prager Bühne; Liste aufgeführter Opern; Prager Konzerte betr.; Notizen zu beider Bekanntenkreis

Incipit

Schimpfe, lärme, tobe, nenne mich einen Hund, alles was

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Prag (CZ), Pamatník narodního písemnictví (Strahov) (CZ-Ps)
    Signatur: Morawetz I 4025, Regal 11/D/14

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • am unteren Rand Bl. 2v Echheitsbestätigung von F. W. Jähns : „Eigenhändig von C. M. v. Weber
    • Format 22,5 x 19 cm

    Provenienz

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Nohl 1867, S. 233–236 (Nr. 30)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… die Verwandlungen . 17. Sargines“Premieren (in Reihenfolge der Nennung) am 9., 19. und 26. September, 3., 17. und 19. Oktober, 7. und 21. November, 19. Dezember 1813 sowie 1., 8., 15. und 30. Januar, 6. und 13. Februar, 12. und 7. März 1814; vgl. die SpielpläneTT.
    • „… 17. Sargines . 18. Titus“Die Prager Neueinstudierung des Titus hatte erst am 25. Oktober 1814 Premiere; vgl. den SpielplanT.
    • „… ich hatte es höllisch probirt“Vgl. die Tagebuchnotizen vom 22., 23. und 24. Dezember 1813.
    • „… t Februar mit Beyfall gegeben“Die Aufführungen fanden am 17. (nicht 16.) und 19. Februar 1814 statt. Die dritte und letzte Vorstellung zu Webers Lebzeiten gab es in Weimar am 26. März 1814; vgl. die Theaterzettel im Landesarchiv Thüringen, Bestand Kunst und Wissenschaft – Hofwesen Nr. A 10419/2, Blatt 76, 77 und 93.
    • „… vor 3 Tagen wieder gestorben“Die Tochter war laut Tagebuch am 8. Dezember 1813 geboren.
    • „… sogleich nach Stuttgart spaziert sind“Ein Teil der Einnahme der Vorstellung am 15. Januar 1814 wurde von Weber laut Tagebuch am 18. Januar zum Erwerb eines Wechsels genutzt, der am Folgetag zwecks Verringerung der Schuldenmasse an die Stadtschreiberei in Stuttgart gesandt wurde.
    • „… in Botzen von mir hörtest“Gänsbacher hielt sich im Herbst/Winter 1813/14 mehrfach kurzzeitig in Bozen auf; vgl. Denkwürdigkeiten, S. 59 und 62.
    • „… Garten aufführen laßen. im Sommer“Laut Tagebuch am 4. Juli 1813.
    • „… Ich studire jetzt Samori ein“Das Werk kam in Prag während Webers Amtszeit als Musikdirektor nicht zur Aufführung, das handschriftliche Stimmenmaterial lag 1816 laut Notizen-Buch allerdings in Teilen bereits vor.

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