Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 26. bis 29. Juli 1817 (Teil 1 von 4)
Am 26sten Julius. Im Hoftheater: Cosi fan tutte, von Mozart. Ein anmuthiges Fest war uns heute durch diese herrliche Oper bereitet, denn sie wurde mit Lust und Kraft, mit hinreißendem Feuer und strenger Deutlichkeit vor einem empfänglichen, theilnehmenden Publikum ausgeführt. Der hohe Meister wußte diesen an sich undankbaren Stoff durch ein so reiches Gewebe der innigsten und lieblichsten Tondichtung so zahlreich zu schmücken, daß wir entzückt in diese Lustwellen der süßesten und kunstreichsten Harmonien tauchen. Alles ist hier Scherz, Spiel und Täschung; welche schwere Aufgabe für den Compositeur, der hier die Tiefe und leidenschaftliche Kraft seiner Kunst nicht einmal anwenden darf! Wunderbar sinnig spricht es sich in der Haltung aus, welche die Musik diesen Charakteren giebt, daß es hier den Männern, die nach dem Dauernden, Festbestehenden prüfend streben, doch immer mit dem Ausdruck des Momentes kein Ernst ist, und wie hingegen diese Frauen, des Augeblicks Blume pflegend, glühend, rein und ganz fühlen, was ihnen die wechselnde Welle der Zeit bringt, und so, wie die Musik selbst, einzig und rücksichtslos in der Gegenwart leben, und diese nur durch Sehnsucht mit Vergangenheit und Zukunft zu verbinden wissen. Wie interessant ist dabei die Verschiedenheit der zarter und tiefer fühlenden Fiordiligi von der fröhlichern, leichtsinnigern Dorabella gezeichnet. Gegen diese gaukelnde Mädchen, welche eigentlich nur die Liebe lieben und das Leben, ohne weder ihr eignes Herz, noch ihre Umgebungen ergründen zu wollen, bilden die Charaktere des lustigen alten Menschkenners und des schalkhaften intriganten Kammermädchens einen reizenden Contrast; köstlich durchgeführt sind alle diese Nuancen in der zarten Sprache der Klänge, welche den ganz trivialen Stoff in eine liebliche Dichtung verwandelte. Voll Laune und Grazie ist diese Composition, und dabei voll ächter herrlicher Kunst, die sich besonders in den schönverwebten Quintetts und Sextetts zeigt. Unsere liebliche Sandrini gab die Fiordiligi trefflich, mit reizender Gewandheit; ihr Gesang zeichnete sich besonders bei der ersten großen Arie: Come scoglio immoto resta, durch kühne Kraft und großen Styl, und bei der zweiten: Per pietà, Ben mio, durch den zarten seelenvollen Vortrag aus. Mit meisterhaf ¦ ter Rundung und Weichheit des Tones sang Benelli; einen süßern Farbenschmelz kann man sich nicht denken, als er in der Arie: Un aura amorosa, zu bringen wußte. Auch Signora Mieksch und Mlle. Hunt gaben ihre Rollen recht brav, mit Geist und muthwilliger Laune; die letztere zeichnete sich als Despina in der allerliebsten Ariette: Di pasta simile, recht vorttheilhaft aus. Wenn wir die Freude haben, diese Oper bald wieder zu hören, so behalten wir es uns vor, da den Charakter der einzelnen Musikstücke noch genauer durchzugehen, nach den Hauptzügen, die wir heute bezeichneten.
Am 27. Juli. Auf dem Linkeschen Bade: Faust. Trauerspiel in 5 Akten, von A. Klingemann. Schon beurtheilt.
Am 29. Juli. Im Theater neben dem Linkeschen Bade. Zum erstenmale: Shakspeare als Liebhaber, in einem Akt nach Duval frei bearbeitet von F. A. v. Kurländer. Herrn v. K. dramatische Arbeiten sind in 6 Jahrgängen eines eigenen von ihm herausgegebenen dramatischen Almanachs erschienen und zum Theil auch außer Wien mit Beifall aufgeführt worden. Die Posse: Der Lügner und sein Sohn, die auch bei uns gespielt worden ist, darf schwerlich zum Maaßstab seines dramatischen Verdienstes genommen werden, da sie offenbar nur auf einen bestimmten Schauspieler berechnet und also blos persönlich ist. Man muß ihm vielmehr das Lob ertheilen, daß er bei seinen Nachbildungen nach französischen Originalen sich als einen Dichter erprobt, der dem deutschen Publikum an den Puls gegriffen und sehr wohl erkannt hat, daß wir außer der augenblicklichen Belustigung auch durch tiefer eingehende Charakterzeichnung und gemüthlichere Motiven unterhalten seyn wollen. Dies zu erreichen, ist ihm bei mehrern seiner freien Bearbeitungen recht wohl gelungen, wovon wir hier nur die Ideale und den Schauspielerstand anführen wollen. Auch in dem heute auf die Bühne gebrachten kleinen Lustspiel erscheint sein Talent, am rechten Ort zu veredeln und zu motiviren, im vortheilhaften Lichte. Man darf, um sich davon zu überzeugen, nur eine zweite Bearbeitung des Duval’schen Shakspeare amoureux von Carl Lebrun, die vorige Messe in einer Sammlung seiner kleinen Lustspiele und Possen (Mainz, bei Kupferberg) erschien, mit der von Kurländer ganz unbefangen vergleichen
(Die Fortsetzung folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: „Cosi fan tutte“ von Mozart am 26. Juli 1817 / Linkesches Bad: „Faust“ von Ernst August Friedrich Klingemann am 27. Juli 1817 / Theater neben dem Linkeschen Bad: Shakespeare als Liebhaber nach Alexandre-Vincent-Pineau Duval am 29. Juli 1817
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 188 (7. August 1817), Bl. 2v