Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 29. Juli 1817 (Teil 4 von 4)
(Beschluß.)
Unser heut weniger nach den Köpfen als nach den Augen zu zählendes Publikum war ungemein zufrieden, und ein allgemeiner Frohsinn, der nicht klatscht, sondern wahrhaft genießt, zeigte sich in regsamster Wechselwirkung. Die schwerste, aber, wenn die Schwierigkeiten besiegt sind, auch dankbarste Rolle des 40jährigen, heut um 25 Jahr verjüngten, zwei unter seiner Abwesenheit großgewordenen Kindern eine blutjunge Französin, ein Winzermädchen aus Languedok, zuzuführenden, im eignen Schlosse blinde Kuh spielenden, und dabei doch gar nicht geckenhaften Grafen Albrechts, spielte Herr Hellwig mit allem Aufgebot von Kunst und Laune, die doppelt verdienstlich war, da er vorher schon als verliebter Shakspeare geglänzt hatte, und sich doch etwas erschöpft haben mußte. Man muß so etwas sehen. Es entwickeln wollen, heißt den Champagnerschaum analysiren, womit man aber keineswegs gemeint seyn kann zu behaupten, daß so ein Spiel bloß Naturgewächs seyn muß. Immer war er neu in den stets wiederkehrenden, durch die lächerlichsten Unterbrechungen zurückgedrängten, Geständnißversuchen und – wenn das Wort erlaubt ist – Scham=Paroxysmen, wodurch er abgehalten wird, seinen zwei Kindern den hübschen Schwarzkopf als Mama vorzustellen. Den Umriß zum ganzen hier auszuführenden Gemälde enthalten die Worte zu Leonoren gleich vorn in der zweiten Scene:
Den hier gegriffenen Ton, das hier angefangene Spiel hielt nun der wackere Künstler bis zum endlichen Nothschrei: Denkt an was ihr wollt, Manon ist meine Frau, so fest und lebendig aufrecht, daß alles aus einem Guß dastand. – Auch die jüngern zwei Liebhaber in halber und ganzer Verkleidung Graf Fritz und Jäger Franz vergaßen nie, daß sie einem höhern Kreise angehörig zwar ihren Stand verläugnen aber nicht abläugnen konnten. Herr Wilhelmi gab den Fritz bei allem scheinbaren Leichtsinn doch mit durchschimmernder Gutmüthigkeit, ohne welche die ganze Mummerei unausstehlich wäre, und Herr Kanow als Franz spielte wirklich im Spiel nur den Jäger, war und blieb aber in Ton und Bewegung der Kapitän und der Mann von Ehre. Nur dadurch kann diesem Stücke der unverweigerliche Eintritt auf unsrer Bühne werden, die nie der Sittlichkeit gefährlich werden darf. Wir erinnern dabei an das Wort des französischen Commentators zu Aristoteles Poetik: Herkules muß auch in der Spinnstube der Omphale noch die Schulter zeigen, worauf die Löwenhaut ruhte. Das ist nun aber nicht eben jedermanns Sache! Mit großer Wahrheit und Behaglichkeit zugleich gab er den komischen Moment, wo er dem Grafen anräth, selbst hinanzugehn und seinen Sohn zu rufen. Eine leise Verstärkung des Tons und der Miene; und, was nur augenblickliche Selbstvergessenheit war, hätte als Impertinenz empören müssen.
Unter den drei weiblichen Rollen ist die des südlandischen Winzermädchens, die nun als Gräfin hier imponiren soll, gewiß die schwierigste. Diese Manon wurde von Mad. Hartwig mit allem Feuer und jener muntern, neckenden, reizbaren Beweglichkeit ausgestat ¦ tet, die unstreitig einen Hauptzug im Charakter dieser lieblichen Erscheinung macht. Ihr Eintritt im Wettlauf um den Blumenstraus mit Lina, und die Scene, wo Amor au colinmaillard spielt, gelang ihr untadelhaft, nur hätten wir sie noch mehr als Eingebung eines augenblicklichen Muthwillens, wie das bein einem solchen Wesen (aus Thümmels ’Reisen) gedenkbar ist, eingeleitet gewünscht. Auch wo sie am Schluß sich ohne Perlen und Schmuck blos selbst giebt, wurde, was wir ihr gern danken, das Naive nicht zur falschen Sentimentalität verkrüppelt, oder – weil das nun einmal unsere alte Schwäche ist – umgedeutscht. Eine Klippe, woran diese Darstellung leichter scheitern kann, ist, daß diese bis zur Lustigkeit aufgeregte Scherzhaftigkeit und Ausgelassenheit zu wenig von der Tiefe des Gefühls und der alles aufopfernden Hingebung an den von ihr wahrhaft geliebten Gegenstand durchschimmern läßt. Die Manon liebt nicht den Grafen, sondern ihren theuren Pflegling aus innigster stets überfließender Herzensfülle. Auch möchten wir wohl anfragen, ob nicht beim Declamiren dieser Rolle hie und da in Manons Aussprache noch etwas fremdartiges anklingen könnte, ohne darum der raschen Munterkeit und Reinheit der Declamation einigen Abbruch zu thun. Manon hat doch nur aus inniger Liebe zum Grafen so gut deutsch gelernt. Hie und da klingt selbst noch eine französische Phrase durch. Fein genommen wäre eine leise Schattirung in der Aussprache, als Bezeichnung, daß die Sprecherin eine erst erlernte Sprache rede, der Täuschung eher förderlich als nachtheilig geworden.
Lina’s Rolle, von Mad. Schirmer gespielt, scheint weit leichter, und doch will sie sehr fein gespielt seyn. Sie ist naiv, arglos, zutraulich, aber die Liebe hat auch dieß kindliche Wesen schon früher berührt, und – mündig gemacht. In zarter Erfassung und Andeutung eines solchen Charakters ist die Künstlerin unübertroffen, und in gewissen weichern, gutmüthigern, herzlichern Tönen, wie in dem behüte! als der Vater fragt, ob es wohl spaßhaft sey, wenn er sich zum zweitenmale vermähle, oder in den vertraulichen Worten zu Leonoren von der Gouvernante: ich glaube sie ist zu jung! oder: es ist ein Unglück, daß ich ihn habe kennenlernen, wird sie nie verfehlen, den bezweckten Eindruck zu machen. Vorzüglich gefiel dießmal ihr Spiel, wo sie doch endlich aufgeregt gegen Bruder Fritz in kindlicher Empfindlichkeit ausruft: ja Grafen sieht man jetzt mit Zofen sich vermählen, und dann ihr Sitzen im Sessel, wenn sie vor Ungeduld brennt, auch ihr Angebinde an den Mann zu bringen. Das von steigender Angst ausgepreßte: Nein, nein, nein! ward trefflich abgestuft. Ihr Mienenspiel ist stets auch beim stummen Zuspiel ein Spiegel der Scene, hier aber war es mit der reinsten Unbefangenheit ganz kindlich.
Die Rolle der Leonore wurde von Mlle. E. Zucker mit weit mehr Wärme und Empfindung vorgetragen, als wir sie früher bei einer andern Schauspielerin bemerkt hatten; besonders glückte ihr das Rührende in der Porträtscene. – Alles übrige wurde wenigstens in gutem Einklang zum Ganzen unschuldig gegeben. – Es herrschte nach dem Schluß der Vorstellung allgemeine Heiterkeit und volle Zufriedenheit bei den Zuschauern, die bei der zahlreichen Anwesenheit von Fremden in dieser Jahreszeit sich fast aus allen Gegenden des nördlichen Deutschlands hier eingefunden hatten.
B.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden Beschluß: „Die großen Kinder“ von Adolph Müllner am 29. Juli 1817
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 191 (11. August 1817), Bl. 2v