Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 29. Juli 1817 (Teil 2 von 4)
(Fortsetzung.)
Es ist bekannt, daß sich die Anekdotenliebhaberei der Franzosen auch darin erlustigt, wahre oder erdichtete Anekdoten von berühmten Männern, Dichtern, Künstlern zu dramatisiren und sie so, ohne alle Schonung ihres Charakters und der historischen Wahrheit, dem lachlustigen Publikum Preis zu geben. So hat auch Shakspeare’s Schatten sich beschwören und sich gefallen lassen müssen, die Rolle eines Inamorato furioso zu übernehmen. Denn wenn so ein Genius liebt, so muß es ja, um uns eines Bildes aus Shakspeare selbst zu bedienen, a lover sighing like furnace, ein Liebhaber seyn, der wie ein hoher Glutofen erseufzt. Der Gegenstand seiner Liebe ist hier eine höchstliebenswürdige junge Schauspielerin, Eveline, der Shakspeare selbst eine Rolle aus Richard III. einstudieren hilft und dabei, da Lord Wilson die Schöne dem Theater abspenstig zu machen und ins Brautbette zu führen gedenkt, von Eifersucht getrieben in die Rolle des Othello verfällt, seinen Nebenbuhler den Rang abläuft und – erhört wird. An etwas historische Wahrheit darf man bei diesem völlig aus der Luft gegriffenen Süjet gleich vom Anfang nicht denken. Wir wissen, der gute Shakspeare verließ seine Frau – er heirathete schon in seinem siebzehnten Jahre die 25jährige Tochter eines wohlhabenden Pächters bei Stratford – und hatte, noch ehe er selbst in London Schauspieler und Schauspieldichter wurde, schon Söhne und Töchter mit ihr. Wir wissen ferner, daß zu Shakspeare’s Zeiten alle weiblichen Rollen bloß von jungen Schauspielern mit und ohne Michbart gespielt wurden, und daß ein gleichzeitiger Schriftsteller, Prynne, in seiner Comödiantengeißel (Histriomastix) es mit Abscheu erwähnt, daß einige französische Weiber, oder vielmehr Ungeheuer, im Londner Comödienhause 1629 zu spielen versucht hatten, welches ein frecher, schamloser, unweiblicher, unzarter, ja mehr als buhlerischer (more than whorish) Versuch sey. (Vergl. Malone on the English Stage p. 129.) Da möchte also Shakspeare’s dramatische Liebe zur Schauspielerin Eveline ein gewaltiger Zeitverstoß seyn. Doch was kümmert das die Franzosen und am Ende uns selbst, wenn, was an historischer Wahrheit fehlt, durch poetische Wahrscheinlichkeit ersetzt wird. Es ist aber wenigstens unserm deutschen Bearbeiter vollkommen gelungen, ein sehr unterhaltendes und motivirtes kleines Vor= und Nachspiel daraus zuzubereiten. Natürlich mußte die eigennützige, nur durch eine Goldbörse zu gewinnende Soubrette in eine weit anständigere Verwandte der Eveline, in eine Miß Jenny verwandelt, es mußte die Scene aus Richard und Othello, die hier tragirt werden, ganz neu angelegt und unserer weit vertrauteren Bekanntschaft mit Shakspeare angepaßt, es mußten überhaupt feinere und innere Motiven erschaffen werden. Das Ausblasen des Lichts, welches ¦ beim Eintritt Shakspeare’s in der letzten Scene eine so gute Wirkung macht, gehört dem Deutschen. Und so ist, wenn besonders von vorn herein noch einiges gekürzt werden könnte, ein recht liebliches Stück für unsre deutschen Bühnen gewonnen worden, worin der Schauspieler, welchem der verliebte Shakspeare zu Theil wird, seine ganze Meisterschaft zeigen kann.
Dieß war der Fall bei Hrn. Hellwig, der diese Rolle mit wahrer Liebe und Künstlereinsicht spielte und von einem nicht zahlreichen – denn ein Volksfest rief wo anders hin und erinnerte uns an die Stelle in einem Prolog des Terenz populus studio stupidus in funambulo animum occuparat – aber erwählten Publikum mit wiederholtem Beifall anerkannt wurde. Schon die Maske und das Costüm waren mit großem Studium und Geschmack gewählt. Jedermann kennt den ächten Kopf Shakspeare’s aus der Folioausgabe seiner Werke und sonst in Kupferstichen und Büsten. Der Künstler hatte ihn mit treffender Aehlichkeit in Haarwurf, Zwickelbart u. s. w. kopirt, und das ganze zierliche Costüm war aus der Zeit der Königin Elisabeth. Sein Spiel selbt war höchst ergötzlich und bei der höchsten Lebendigkeit und Heftigkeit doch weder Champagnerschaum noch Meerschaum, weder bloßer Nebeldunst, noch ins Hochtragische, was hier alles verdorben hätte, überspringend. Nur wenige wissen, was die komische Ironie in Darstellunge tragischer Leidenschaftlichkeit bedeuten will. Shakspeare parodirt sich hier selbt. Wird die Rolle anders gegriffen, so ist die platter Unsinn. Herr Hellwig vergriff sie nirgends. Sein Spiel ist ein Vesuv. Seine Erklärungen sind Lavaausbrüche. Sie stopfen sich, der Berg bekommt Zuckungen, Bauchweh, um desto gewaltiger aufzuschäumen. Treffendes Spiel des verbissenen Aergers, das Hinabschlingen des Verbissenen, das Hervortreten der Augen, die zitternde Muskelbewegung um den Mund, das krampfhafte Zucken bis an die Fingerspitzen, das Alles könnte freilich auch im Othello oder Orosman erscheinen. Allein es hat einen Zusatz von Humor und Lächerlichkeit. Und doch ists nicht Carricatur, nicht Fratze aus dem verzerrenden Hohlspiegel. Kurz der Vortrag ist mehr rhetorisch, als pathetisch. Als den schönsten Moment möchten wir die Ungeduld bezeichnen, beim Tadel des ihm nicht leidenschaftlich genug von der declamirenden Schauspielerin vorgsprochen: ich liebe dich und beim steigenden Verdruß bei ihrer durch nichts zu störenden Sanftmuth und Unbefangenheit. Der Sturm, womit er zuletzt hereinbraust, das Licht in Jenny’s Händen ausbläßt, den Brief aufreißt, vorließt, ist in vollkommener Steigerung. Gern hätten wir nach der Intention des Dichters das Wort Rache, was er der erschrockenen Jenny zuwirft, dreimal und zwar so, daß es die beiden letztenmale wie verhallender Donner gewesen wäre, gehört. Wir vernahmen es nur zweimal mit aufwärts steigendem Affect. Doch würden Zähler hier nicht den Sylbenstecher verrathen?
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden Fortsetzung: „Shakespeare als Liebhaber“ nach Alexandre-Vincent-Pineau Duval am 29. Juli 1817
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Veit
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 189 (8. August 1817), Bl. 2v