Julius Benedict an Max Maria von Weber in Dresden
Dover, Donnerstag, 8. August 1861
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[Beilage]
[…]
Vier Stunden vor Eröffnung der Thore belagerte schon eine compacte Masse das Schauspielhaus. Mein schmächtiger, dämonisch sarkastischer Vetter Heinrich Heine, der – wie der sagte – Weber u. mir zu Liebe ausnahmsweise kindische Verse gegen Lord Byron’s Child Harold austauschen wolle, war mein Nachbar im Parterre, wo wir nach fürchterlichem Drang doch nur Stehplätze erobern konnten. In den Logen u. Sperrsitzen hatten sich die aristokratischen musikalischen u. literarischen Autoritäten Berlin’s versammelt. Nach u. nach füllten sich die Plätze im Orchester – das Herz schlug mir, als die | Musiker zu stimmen anfingen. Das Gesumme und Geräusch in dem überströmenden Haus nahm immer mehr zu – da erschallte auf einmal lautes Beifall-Klatschen im Orchester – und wurde von dem ganzen Hause aufgenommen. – Dreimal mußte der geliebte Meister grüßend und dankend sich verneigen, ehe er das Zeichen zum Anfange geben konnte. – Auf den stürmischen Empfang folgte die feierlichste Ruhe – und nun entwickelte sich das zauberische Tongemälde der Ouverture in seiner ganzen Fülle. Der Eindruck war magisch; und als nach den dumpfen unheimlichen Paukenschlägen zuletzt der gewaltige C dur-Akkord, und dann der hinreißende Schluß folgte – da brach ein solcher Sturm des Beifalls, ein solch ungestümes Da Capo-rufen los, daß dem Verlangen des Publikums Folge geleistet und das Ganze mit wo möglich gesteigertem Enthusiasmus wiederholt werden mußte. – Die erste Szene, reizend gruppirt, und so voll von Feuer u. Leben, machte einen außerordentlichen Effect; aber Kilians Spott-Arie und Chor, obwohl mit merkwürdigem Verständniß gesungen, wurde nicht gleich im Anfang so günstig empfangen, als in dem darauf folgenden Terzett die Stelle: "O laß Hoffnung dich beleben und vertraue dem Geschick!", welche, sei es durch den trefflichen Vortrag des Chors, sei es durch die Erinnerung an die Ouverture, die Herzen wunderbar ergriff und stürmischen Applaus erregte. – "Nun lasset die Hörner erschallen" und der sich nach u. nach verlierende Walzer waren vorüber, die Szene verdüsterte sich, und die Aufmerksamkeit des Publikums war bei der Szene von Max "Nein, länger trag’ ich nicht die Qualen" auf den höchsten Grad gesteigert. Die reizende Melodie "Durch die Wälder mit Stümer’s künsterlischem und doch so einfachen Vortrage – ging bei der allgemeinen Spannung ohne Beifallszeichen vorüber, | und bei dem unerwarteten Eintritt Samiel’s in rothen Mantel wehte es wie ein Schauer durch das ganze Haus, und nur der Lichtblick in Sturmesnacht "Jetzt ist wohl ihr Fenster offen" verwischte theilweise den unheimlichen Eindruck der Erscheinung, welcher im letzten Allegro noch erhöht wiederkehrte. Rauschender Beifall krönte den Schluß der Arie – Kaspars Trinklied – so ganz der gewöhnlichen Form entzogen, wurde am ersten Abend nicht verstanden und Blume wollte in seiner Scene nicht recht heraus. – Der Vorhang fiel mit einem Anticlimax; der Beifall war lau, und der lange Entreact gab Veranlassung zu überaus lebhaften, ja sogar heftigen Discussionen. Die Spontinianer in Masse rieben sich die Hände und fragten spöttisch: "Ist das die Musik, welche die Vestalin, Cortez, u. Olimpia vergessen machen soll? Wozu der große Lärm für ein einfaches Singspiel oder eigentlich nur Melodram? – Was bedeutet eine Viertelstunde langweiliger Dialog zwischen den beiden Hauptpersonen, und wie monoton ist so ein ganzer Act ohne eine weibliche Stimme, u. s. w. –"
Während des Tumultes war der verehrte Meister fast unbemerkt auf seinen Platz zurückgekehrt! – Der Vorhang ging auf; eine Salve von Beifall empfing Agathe u. Ännchen, und das zaubrische Duett so neu in Form u. Behandlung, Ännchens frische Ariette „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ erhielt noch entschiedener die Zustimmung des ganzen Publikums – aber der Glanzpunkt der ersten Vorstellung war unstreitig der Madame Seidler große Szene: „Wie nahte mir der Schlummer“. – Die Opposition verschwand, sie selbst war überrascht, hingerissen, und mußte dem allgemeinen Zuge folgen. Orchester, Parterrre, Logen und Gallerie fühlten den Duft der „schönen Nacht“, beteten „Leise, leise“ mit Agathen, hörten das Rauschen der Bäume, den Ruf aus der Ferne, sie sahen Max mit dem „Blumenstrauß“ und | Herzen und Hände wallten ihm „ungestüm entgegen“. Es wollte kein Ende nehmen mit dem sich immer wieder erneuernden Applaus. Schien es doch, als wollten sie Alle dem großen Meister Abbitte thun. Von diesem Augenblicke an war der Erfolg der Oper gesichert. – Das Terzett fand die aufmerksamsten und ergebensten Zuhörer. – Die Wolfsschlucht mit ihrem abenteuerlichen Zubehör, mit ihren noch nie dagewesenen Instrumental-Effecten, und in welche Gropius so recht in dem Geist des Dichters u. Componisten eingedrungen war, beschloß den zweiten Act auf eine triumphirende Weise; war das Getümmel nach dem ersten Act schon groß gewesen, so wurde es jetzt überwältigend. „Wundervoll! Herrlich! Zart u. Kräftig! Neu u. schön – vortrefflich!“ hörte man von allen Seiten.
Nach dem Entreact, mit Frische u. Energie vom Orchester vorgetragen, wurden Agathens Gebet, welches sich mehr der älteren Cavatinen-Form näherte, so wie Ännchens „Kreideweise Nase“ mit der obligaten Viola u. dem halb-tändelnden, halb zärtlichen Allegro überaus günstig aufgenommen. Das Volslied „Wir winden dir den Jungfernkranz“, so durch u. durch deutsch gefühlt u. componirt, obwohl von einer unbedeutenden Choristin, welche wie Espenlaub zitterte, gesungen, mußte auf allgemeines Verlangen wiederholt werden. Der Jägerchor, mit donnerndem Erfolg empfangen, wurde doch erst nach 10 oder 12 Vorstellungen so populär, daß man ihn jeden Abend Da Capo verlangte. Fürst Ottokar (Rebenstein) gab das Zeichen zum Schuß auf die Taube, und das zwar etwas lange, aber fast immer interessante Finale brachte die Oper auf eine würdige Weise zu Ende. – Niemand hatte das Theater verlassen. Der Ruf nach Weber war allgemein u. nach langer Zeit erschien endlich der gefeierte Meister mit Mad. Seidler u. Mlle. Eunicke | und wurde mit Kränzen, Bändern u. Gedichten bedeckt.
Solch ein Erfolg für ein neues Werk war beispiellos. Keine Oper, seit dem Anfang des Jahrhunderts hatte, in Berlin wenigstens, so allgemein angesprochen. Kritiker u. Dilettanten waren zum erstenmale einstimmig. Ich stand, unbeweglich, (halb betäubt u. stumm und doch zugleich stolz u. glücklich, der Schüler eines solchen Mannes zu sein) ich stand noch immer auf meinem Platz im Parterre; Heine hatte mich schon vor dem Schluß der Oper verlassen; da klopfte mich eine freundliche Hand auf die Schulter – es war Gubitz – „Kommen Sie mit zu Jagor’s. Heinrich und Wilhelm Beer u. andere Freunde wollen, daß Sie den Triumpf Ihres verehrten Meisters mit-feiern – u. Herr von Weber giebt Ihnen die Erlaubniß, die Einladung annehmen zu dürfen.–“ Ich war außer mir vor Freude, und als ich in dem festlich erleuchteten Saale von Weber umarmt, und Allen von ihm als der jüngste Gast und Musiker vorgestellt wurde, da füllten Thränen meine Augen u. ich konnte kaum Worte des Dankes finden. Außer der Beer’schen Familie waren noch die bei der Oper betheiligten Künstler, Lichtenstein’s, Wollank, Hellwig (der Regisseur aus Dresden), Wolf’s, Rellstab, Gubitz u. E. T. A. Hoffmann zugegen. Meinen Platz neben dem Letzteren verdanke ich Frau von Weber, welche mich mit dem Verfasser meines Lieblingsbuches „Klein Zaches, genannt Zinnober“ bekannt machen wollte. – Nach dem glänzenden Souper las Gubitz ein für die Gelegenheit improvisirtes Sonett, und auf einmal war mein Nachbar, E. T. A. Hoffmann, unter den Tisch verschwunden, tauchte aber gegenüber zwischen Webers und Wilh. Beer’s Gemalin, mit einem Lorbeer-Kranze auf, mit welchem er den Componisten des Freischützen krönte und dabei laut ausrief: „Sieht er nicht dem Tasso wie aus den Augen geschnitten ähnlich?“ – Selbst diese für den | Kriminalrath außerordentliche Aufmerksamkeit konnte mich mit seinen während des ganzen Abends fortwährenden bissigen Bemerkungen über die taktmäßig die Augen öffnende und schließende Eule der Wolfsschlucht, über den, dem "Stralower-(Fischzug)-Feuerwerk entlehnten Wagen, den Bierbrauer Wauer (Kuno), den aus den Wolken gefallenen Eremiten, u. s. w. nicht versohnen, und als er mich zuweilen mit seinen kleinen, aber stechenden Augen fesselte, mußte ich unwillkürlich an Koppelius, den Sandmann, denken. – Daß er Weber’s oft bewährte Freundschaft seinem neuen Idol Spontini auf eine unwürdige Weise aufopferte, war am besten durch einen in der Vossischen Zeitung erschienenen ausführlichen Bericht erwiesen, in welchem man seinen Styl nicht verkennen konnte und der, sehr schmeichelhaft für die ersten Sänger, den Dichter u. Componisten des Freischützen fürchterlich mitnahm. – Der Artikel erschien erst nach Weber’s Abreise von Berlin. – Die Wiederholungen der Oper am 20. u. 22. (Juni) brachten ungeheure Einnahmen, und Sperrsitze wie Logen wurden bis zur 10ten oder 12ten Vorstellung besprochen.
[…]
Apparat
Zusammenfassung
in diesem Brief kündigt B. die Aufzeichnungen über die UA der Euryanthe an, es folgt aber ebenfalls in Abschrift von Jähns die Aufzeichnung über Freischütz in Berlin, diejenige über Euryanthe liegt in Mappe XIX, Cl. V, Abt. 5. B., Nr. 65.A.
Incipit
„Hier endlich vermag ich Ihnen meine sehr unvollkommene Skizze über Euryanthe“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Veit, Joachim
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. V (Mappe XIX), Abt. 5A, Nr. 5a, S. 13–24 sowie Abt. 5B, Nr. 65a, S. 1–16Quellenbeschreibung
- Konvolute mit Briefkopien von Friedrich Wilhelm Jähns zum Freischütz (darin S. 13–24) sowie zur Euryanthe (darin S. 1–16), mit Randnotizen von Jähns