Julius Benedict an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
London,
Montag, 13. November 1865
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13 Nov. 1865
Hochgeehrtester Herr Musik-Direktor
Schon längst hätte ich Ihr werthes Schreiben vom 4t October beantwortet wenn ich – wie ich hoffte − Ihnen günstige Nachrichten über die Weberschen Manuskripte u. s. w. zu geben im Stande gewesen wäre. – Leider haben aber meine Nachfragen im British Museum − wo ich mit meinem Freunde − Hr. Campbell Clarke − welcher Bibliothekar der musikalischen Abtheilung dieses Instituts ist − mehrere Stunden lang die dort befindlichen Ausgaben von Weber’schen Werken examinirte zu keinem erfreulichen Resultat geführt (besonders in Bezug auf die schottischen Lieder).
Ich habe Ihre Fragen seriatim beantwortet, und könnte Ihnen daher vor der Hand wenigstens nur die Szene aus Oberon verschaffen, welche für Braham hier eigends komponirt wurde. −
Wollen Sie mir gefälligst umgehend schreiben, ob Sie Partitur und gestochenen Klavierauszug von „Yes even love“ noch benützen können.
Ich würde Ihnen rathen, sich an Sir George Smart* persönlich zu wenden, der am besten davon unterrichtet sein muß, was aus den Weber’schen Autographen in England geworden ist.
Daß der vollständige – in Partitur ausgeschriebene erste Akt der „Drei Pinto’s“ welchen ich vor meiner Abreise von Dresden wenigstens sechs oder acht mahl gesehen habe − von Weber mit nach London genommen wurde, und dort nach seinem Tode auf eine unbegreifliche Weise verschwunden ist scheint mir eine nicht zu bestreitende Thatsache*. −
Noch im Jahr 1847, als ich Frau von
Weber zum letztenmal in Dresden
sah, erwähnte sie diesen Umstand aufrichtig bedauernd, daß ich Ihnen über die
betreffenden Manuskripte keinen genügenden Aufschluß verschaffen kann und mit der
Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung und Verehrung verbleibe ich
Hochgeehrtester Herr Musik
Direktor
Ihr ganz ergebenster
Julius v.
Benedict*
Ergebenste Anfragen von F. W. Jähns in Berlin
Benutzt! |
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1) a.) Besitzen Sie musicalische Autographe von Carl Maria von Weber? b) Welche sind es? c.) Welchen Umfang haben dieselben? d.)
Welche Formate haben dieselben? e.) Wie lautet der vollständige Titel? f.) Wie lauten etwanige Bemerkungen (zum Anfange, zum Schluße oder sonst wo) in dem Autograph, wenn diese Bemerkungen von Weber’s Hand herrühren? |
Ich besitze leider keine Autographen von C. M. v. Weber − ausgenommen Canti firmi − für Uebungen im strengen zwei und dreistimmigen Satz* |
2.) a.) Haben Sie Kenntniß von Autographen Weber’s, die im Besitz anderer Personen sind? b.) Welches sind diese Autographe? c.) Welches sind die Besitzer dieser Autographe? (Dies ist wichtig für mich, da ich die Besitzer namentlich machen muß.) d.) Würden Sie diese Autographen wohl für mich in der Art zu Mittheilungen benutzen können, wie ich dies oben unter 1.) erbeten habe? e.) Wenn eine Photographie des Autographs des Song aus Lalla Rookh, (letzte Composition Weber’s) von Seiten der Besitzerin, der Lady Essex, geb. Miss Stephens, gestattet würde durch Ihre gütige Verwendung, würden Sie mir diese Photographie gütigst machen lassen? Kosten gegen Postvorschuß gefälligst zu entnehmen! Diese Bitte erlaube ich mir nur in Rücksicht darauf, daß es Ihnen ohne irgend welche Schwierigkeiten möglich würde, die Erlaubniß der Lady Essex zu erlangen, da eben die Erfüllung dieses Wunsches mein Werk über Weber natürlich direct nicht berührt. |
Von Autographen Weber’s außer der für Braham komponirten Szene „Yes even love“ und des Liedes für Miss Stephens (Lady Essex) habe ich während eines 30jährigen Aufenthalts in London nichts erfahren
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3.) a.) Wissen Sie etwas über die schottischen Lieder, die Weber 1825 für George Thomson Esqure, damals Trustee’s Office in Edinburgh, mit Begleitung von Pfte, Violin, Cello u. Flöte versah? b.) Sind es wirklich schottische, nicht irische Melodien? c.) In welchem Werke sind sie wohl aufzufinden? Sollten sie aus der Sammlung stammen, aus welcher Haydn eine Anzahl bearbeitete? Die Correspondenz Weber’s u. Thomson’s weist auf jene von Haydn hin. d.) Zwei Nummern der Bearbeitung der zehn von Weber für Thomson bearbeiteten schottischen Lieder arbeitete Weber auf Thomson’s Wunsch um. Wissen Sie vielleicht etwas hierüber? e.) Ist dieser George Thomson etwa Besitzer einer Musicalienhandlung in Edinburgh gewesen und lebt er vielleicht noch, so dass ich mich direct vielleicht an ihn wenden könnte? |
Weber’s Bearbeitung von schottischen
Liedern ist mir gänzlich unbekannt − Ich werde aber im „British Museum“ nachfragen, wo − sollten
sie im Druck erschienen sein − ein Exemplar derselben sich vorfinden muß.
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4.) Die Partitur der für Braham von Weber in London nachträglich componirten Tenor-Scene u. Arie „Yes even Love to Fame must yield“ zum Oberon befindet sich nicht unter den hinterlassenen Autographen Webers, auch nicht unter den Copien derselben; aber auch überhaupt nirgends ist diese Partitur aufzufinden u. zu erreichen, selbst Schlesinger, der Original-Verleger für Deutschland, hat sie nicht. Bei einer nächstens zu veranstaltenden Herausgabe der vollständigen Partitur des Oberon*, wird die Partitur dieser nachcomponirten Arie sehr nothwendig werden. Hat das Autograph oder die Copie davon vielleicht der erste englische Verleger des Oberon? Wer war dieser? – Mich dünkt Robertson(??) |
Die Original Partitur der Tenor Szene gehört entweder den Erben von Welsh − oder Sir George Smart. − Welsh war der erste Verleger des Oberon*, und Cramer & Beale kauften das Werk von ihm. − Es wird mir nicht schwer fallen, Ihnen eine korrekte Kopie der Arie zu verschaffen, welche noch fortwährend fast bei jedem Musikfeste gesungen wird. |
5.) Das kleine alte Lied von Weber „Ich sah ein Röschen am Wege stehn“ (No 5 in op. 15) ist in London bei Cramer, Addison u. Beale gestochen, und zwar als Ballade (Dichtung von Hampden Napier) anfangend: „For as the waters of that still tide“. Die 3 Strophen sind (namentlich str. 2 u. 3) ziemlich willkührlich in der Melodie verändert. Dem Ganzen aber ist ein großartiges Recitativ vorausgeschickt. − Wissen Sie vielleicht den Componisten dieses Recitativs? |
Es sollte mich nicht wundern daß Sir Henry Bishop die Aenderungen auf dem Gewissen hat, werde aber bei Cramer & Beale nachfragen.* |
6.) a.) Wer ist der englische Dichter des Textes der von Ihnen zum Oberon componirten Recitative? b.) Wurden dieselben in London mit dem Oberon aufgeführt? Und wann? |
Herr Planché − der Dichter der Oper hat den Text der englischen Rezitat. geschrieben welche von Hrn. Maggioni* in’s Italienische übersetzt wurden. Dieselben wurden zuerst im Sommer 1861‡ und auf’s Neue in der Saison 1864 mit Oberon aufgeführt* |
Autograph von Benedict* |
[Notizen von F. W. Jähns zu seinem Antwortbrief an Benedict:]
19. Nov. 65. Schott. Lieder. Thomson nicht MusicSeller?
Vielleicht gar nicht gedruckt. In Deutschland jedoch Kistner.
Wegen 2 Ritornelle.
Partit. Der Arie Braham sehr erwünscht. Ich bin sehr erstaunt daß Welsh der erste Herausgeber ist, ich glaubte Robertson. Um die Kopie der Arie würde ich dringend bitten in recht kleinem Format der Kosten wegen. An Smart werde ich mich wenden. Sie haben das Autograph der Arie nicht gesehen, auch nicht das des Song. Es wäre eine Photographie mir von großem Werthe, wegen meiner Sammlung. Wäre eine prächtige Zugabe zu meinem Werke facsimiliert. Wenn Sie sie selbst sprechen bitte ihr meinen innigen Dank zu sagen dass Sie eine Abschrift erlaubt, die ich durch Monbelly empfing. − Also Bishop der Recit. Schmidt etwas Komischeres selten gesehn.
Ihre Notizen über Ihre Rezit. Bestens benutzen, Autograph Noten.
Wegen Lauer. Sie können ihm Aufträge geben
Recitat.
à monsieur
Julius von Benedict
Chevalier
et Maitre de Chapelle
Apparat
Zusammenfassung
gibt Kommentar zu dem von ihm beantworteten Jähns’schen Fragebogen, erbittet Nachricht, ob J. an der Partitur von „Yes even love“ (der für Braham komponierten Arie im Oberon) interessiert ist und empfiehlt Kontaktaufnahme mit Sir George Smart, kommentiert den offensichtlichen Verlust des Autographs des 1. Aktes der Pintos in London, den er wiederholte Male in Dresden gesehen habe
Incipit
„Schon längst hätte ich Ihr werthes Schreiben vom 4t October beantwortet“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 50Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.) nebst 2 Bl. Anlagen
Dazugehörige Textwiedergaben
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„Verzeihung für den schlimmen Frager!“ Der Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Jähns und Julius Benedict, in: Weberiana. Mitteilungen der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e. V., Heft 20 (2010), S. 66–72 ,
Textkonstitution
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„1861“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… sich an Sir George Smart“ Korrespondenz zwischen Jähns und Smart, der bereits zwei Jahre später starb, ist nicht bekannt.
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„… eine nicht zu bestreitende Thatsache“Im Hinblick auf die Partitur des I. Aktes der unvollendeten komischen Oper Die drei Pintos (WeV C.8) sind Benedicts Erinnerungen nicht verlässlich, besonders was die Übergabe der Fragmente durch Caroline von Weber an Meyerbeer betrifft, die er fälschlich mit 1854 ansetzt, obwohl er sie selbst bereits 1839 bei Meyerbeer gesehen hatte; vgl. Julius Benedict, Weber, London 1881, S. 172–176 und zu der Thematik vor allem Jähns (Werke), S. 424–427.
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„… ganz ergebenster Julius v. Benedict“Die meisten Briefe aus der Weberiana-Sammlung unterzeichnete Benedict mit: „v. Benedict“. Die Württembergischen Hof- und Staatshandbücher (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, E 14 Bü 523) wiesen nach, dass das württembergische Kabinett in seiner Sitzung vom 19. Oktober 1864 der Verleihung des Ritterkreuzes des Friedrichsordens der Württembergischen Krone an Eduard Mörike und „Kapellmeister Julius Benedict in London“ zustimmte. Diese Auszeichnung, die ihm vermutlich im Hinblick auf seinen damals bevorstehenden 60. Geburtstag verliehen wurde, schloss die Erhebung in den persönlichen Adelsstand ein; freundliche Mitteilung von Dr. Albrecht Ernst, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart vom 5. und 23. Oktober 2009.
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„… strengen zwei und dreistimmigen Satz“D-B, Weberiana Cl. I, 28.
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„… von ihrer Ankunft unterrichtet bin“Zum Gesang der Nurmahal aus Lalla Rookh (JV 308) hatte Weber lediglich die Gesangsstimme notiert, die instrumentalen Zwischenspiele nur angedeutet. Im Konzert am 26. Mai 1826 in London begleitete Weber die Sängerin Catherine Stephens am Klavier frei. Ignaz Moscheles, der unmittelbar nach Webers Tod die fehlende Klavierstimme ergänzt hatte, sorgte im Oktober 1863 dafür, dass Jähns eine Abschrift davon erhielt. Das Weber-Autograph, das Lady Essex, geb. Stephens, laut Brief ihrer Vertrauten, Miss Johnston, vom 18. Februar 1868 an Jähns angeblich verloren gegangen war, liegt heute in der British Library. Ausführliches und Erschöpfendes dazu in: Jähns (Werke), S. 409f. und besonders bei John Warrack, „Es waren seine letzten Töne!“, in: Weber-Studien, Bd. 3 (1996), S. 300–317, hierzu S. 308f.
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„… der erste Verleger des Oberon“Erstdruck des Klavierauszugs von 1826: „OBERON, | or the Elf King’s Oath. | The Popular Romantic and Fairy Opera, | as Performed with great Success at the | Th eatre Royal, Covent Garden. | Th e Poetry by J. R. Planché, Esqre | Composed & Arranged, | with an Accompaniment for the | Piano Forte, | BY | CARL MARIA VON WEBER. | Part. | Ent. Sta. Hall. Price 15s/– | London, Published at the Royal Harmonic Institution Argyll Rooms, 246, Regent Strt | BY WELSH & HAWES, MUSIC SELLERS, | (by special Appointment) to his Majesty their Royal Highnesses the | Dukes of York, Clarence, Sussex and the Duchess of Kent, | & to be had at all the Music Warehouses in the United Kingdom. | Berlin by Ad. M.t Schlesinger (Proprietor for Germany) Paris by Maurice Schlesinger (Proprietor for France)“; Jähns muss es später gelungen sein, ein Exemplar der Ausgabe zu erwerben, denn ein solches befi ndet sich in D-B, Weberiana, Cl. IV A, Bd. 38a.
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„… bei Cramer & Beale nachfragen.“Zu der von Jähns beschriebenen Ausgabe des Liedes Das Röschen (JV 67) im Londoner Verlag Cramer, Addison & Beale (1836), von der sich ein Exemplar in D-B, Weberiana, Cl. IV B [Mappe I B], Nr.643 befindet, ist bei Jähns (Werke), S. 82 nur zu lesen: Die englische Ausgabe als „Ballad“ ist von fremder Hand mit einem Recitativ versehen; auch ist die Melodie des Liedes einige Male geändert, namentlich Str. 2 u. 3. Offenbar konnte Benedict die angenommene Autorschaft von Bishop nicht verifizieren; es gibt keine weiteren Hinweise im Briefwechsel.
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„… geschrieben welche von Hrn. Maggioni“Manfredo Maggioni (ca. 1810–1870), Italienisch-Professor und Übersetzer.
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„… Saison 1864 mit Oberon aufgeführt“Hier hat sich Benedict mit den Jahresangaben vertan, die Premiere des Oberon in italienischer Sprache mit seinen Rezitativen fand am 3. Juli 1860 in Her Majesty’s Theatre statt; vgl. seinen folgenden Brief vom 26. Februar 1870, in dem er das Datum korrekt angibt. Zu dieser Opern-Produktion vgl. auch: Luigi Arditi, My Reminiscences, London 1896, S. 75f. Neueinstudierungs-Premieren, die alle von Arditi dirigiert worden sind, fanden zudem im selben Theater statt: am 14. Juli 1863, 23. Juli 1864, 14. Juni 1866, 7. Dezember 1878; außerdem im Covent Garden Theatre am 5. November 1870; vgl. The Times, Anzeigen jeweils an den Premierentagen sowie zusammenfassend (mit Rückblick auf die Aufführungen der Oper seit der Premiere am 12. April 1826 bis zum 7. Dezember 1878 in: Nr. 29433 (9. Dezember 1878), S. 10, col. E.
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„… Autograph von Benedict“Text in Blei.