Antonie Weber an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Darmstadt, Donnerstag, 6. April 1865

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In Auftrag meines Bruders, des Doktor Weber, erlaube ich mir Ihren an ihn gerichteten Brief vom 28 Dez. v. J. zu beantworten, da ich mit größerer Muße als er bei seiner beschränkten Zeit, die von Ihnen gewünschten Nachforschungen in unseren alten Papieren u Correspondenzen anstellen konnte u. ich somit auch einfacher selbst Ihnen die Ergebnisse derselben berichte. Ich bedauere nur daß dieselben so wenig geeignet sind größeres Licht in die von Ihnen angeregte Sache zu bringen, u gehe somit gleich auf die Beantwortung der von Ihnen gestellten Fragen u die wenigen Notizen, die ich gefunden, über.

Weder in der fast vollständig geordneten Correspondenz noch unter dem übrigen Nachlasse Gottfried Webers befinden sich noch weitere Canons Carl Maria’s, außer dem bewußten canone a tre — nach Ihrer | Angabe vom 17 März 1810. Auf dem Original desselben, von Carl Maria’s Hand geschrieben, steht gar kein Datum.

Über den eigentlichen Componisten des Spiegelcanons können wir Ihnen leider nur wenig Auskunft ertheilen. Obgleich mir als Laie diese Frage nicht von so entschiedener Wichtigkeit erscheint, so durchforschte ich doch ziemlich genau fast alle Papiere unseres sel. Vaters ohne aber etwas zu finden was größere Aufklärung geben könnte. Steht mir auch kein Urtheil hierin zu – so scheint mir, solche Räthselcanons sind gewiß doch nur gelehrte, spitzfindige Spielereien; die gelegentlich scherzweise oder auch als contrapunktische Studien entstehen u glaube ich nicht daß die beiden Namensvettern sich je um die Autorschaft dieses — allerdings Curiosum, gestritten hätten. Die einfachen Thatsachen die ich Ihnen mittheilen kann sind folgende. Ein ausgeführtes Manuscript des Spiegelcanons fand sich bis jetzt nicht. Meiner Meinung nach müßte dasselbe sich unter den abgedruckten Manuscripten für die Cäcilia befinden, welche nicht mehr vorhanden sind. |

Gottfried Weber arbeitete an einem musikal. Lexikon* von welchem schon ein großer Theil bis zum Abdrucke fertig vorbereitet u geordnet daliegt. Unter den nicht vollendeten Aufsätzen u Papieren fand sich ein Fascikel loser Blätter auf welchen oft nur 1–2 Wörter oder abgerissene Sätze, als Notiz zu späterer Ausarbeitung, stehen. Unter diesen Blättern, als Beispiel zu „Kanon u Kontrapunkt“ fand ich nicht nur das Original des Sonatencanons Carl Maria’s, sondern auch ein Blatt mit dem Spiegelcanon, von der Hand G. Webers. Ich kopiere Ihnen diese beiden genau*. Während selbst in diesen brouillons, fast bei jedem gegebenen Beispiel oder motif der Componist oder das Werk aus dem es gezogen, angegeben ist, steht bei diesem, wie bei vielen andern die ersichtlich eigner Erfindung sind, kein Name.

Ferner fand sich ein Exemplar musikalischer Hausfreund, ohne Titelblatt u ohne Jahreszahl Musikalischer Haus-Freund. Neuer Kalender für das Jahr 1822 [= Jg. 1], hg. von F. S. Gassner, Mainz: Schott’s Söhne (VN: 1667); der Kanon ist auf dem Titelbild (auf dem Notenpult) mit der Überschrift „Canon von Gottfried Weber in L. Spohr’s Stammbuch“ wiedergegeben.. Meiner Meinung nach muß es einer der Jahrgänge zwischen 1821–28 sein. Ein darin enthaltenes Blatt mit demselben Canon schnitt ich heraus | u lege es Ihnen bei*. Die Überschrift: „Canon von Gottfried Weber.“ scheint mir alle Zweifel von wem ursprünglich derselbe herrührt, zu lösen. Wer nur irgend unseren Vater annähernd kannte, wird überzeugt sein daß er nicht dazu still geschwiegen haben würde, wenn ihm villeicht irrthümlicher Weise öffentlich etwas zuerkannt worden wäre was nicht von ihm war; um so weniger in einer Schrift die fast unter seinen Augen, bei einem ihm nahe befreundeten u verpflichteten Verleger — Schott — herauskam, wahrscheinlich sogar unter seiner Mitwirkung.

Somit könnte sich villeicht Ihre Annahme, daß Composition u Ausarbeitung von 2 verschiedenen Personen herrühre, bestätigen. Villeicht würden Sie aus Spohrs Stammbuch, wenn solches noch vorhanden ist, etwas Näheres ersehen können.

Was die Zeit des ersten Bekanntwerdens beider Männer betrifft, so ist es ganz außer Zweifel daß dieses erst zu Anfang des Jahres 1810 Statt fand, nach C. M. Weber’s Verweisung aus Stuttgard, sowie Gottf. Weber | es in der Vorrede zu den 1833 in der Cäcilia Bd 15 Heft 57 herausgegebenen Briefen angiebt, wenn auch die der Begriff „14tägiger Ehemann“ etwas weitgegriffen scheint. Da sich mein Vater den 6ten Januar 1819 vermählte, müßte er also noch im Jan. Carl Maria kennen gelernt haben; meines Wissens kam dieser aber erst Ende Feb. zum erstenmale nach Mannheim. Der erste Brief den wir von C. Maria besitzen, ist der in der Ca[e]cilia abgedruc ohne Datum abgedruckte, aber als vom 15 April 1810 bezeichnete.

Gottfried Weber hat nur eine Sonate je geschrieben u kann diese meiner Meinung nach ganz gut ebendieselbe sein auf welche der Canon geht u welche dann C. M. den 27 August durch Simrock erhielt. Er wird sie wohl im März in Mannheim aus dem Manuscript gespielt haben, gleich nach beendigter Composition. Dieß scheint mir um so wahrscheinlicher als aus mehreren Briefen C. Maria’s u Simrock’s hervorgeht daß letzterer die fertig gestochenen Exemplare der Sonate Ende August mit nach Frkfurt brachte, wo er mit C. M. W. zusammen|sammentraff u die Übersendung derselben an G. W. dann durch letzteren geschah. C. Maria erhielt also die Sonate am 27 August, aber nicht von G. Weber, sondern von Simrock*. Laut Briefen vom 23 u 28ten schickte er dann die Sonaten nebst dem Manuscript nach Mannheim, während fast gleichzeitig eine Kritik Meyerbeer’s derselben erschien*.

Nochmals bedauere ich, geehrter Herr, Ihnen sowenig wirklich Aufklärendes mittheilen zu können u. daß wir auf dieß Wenige selbst so lange mußten warten lassen. Nach Ihrem Wunsche schicke ich Ihren kleinen Aufsatz zurück. Mit großem Vergnügen las ich ihn, sowie die ganze Sache, das Durchstöbern alter Papiere u Briefen, soviel des Interessanten bot, daß es kaum eine mühsame Arbeit genannt werden konnte. Es machte mich selbst mit Verhältnissen u Dingen längst vergangener Zeiten näher bekannt, die ich nur aus Erzählungen kannte.

Das Stammbuchblatt aus dem Hausfreund muß ich Ew. Wohlgeboren ersuchen mir nach Einsicht wieder zurück zu senden. |

Ich schließe diesen langen Bericht mit den besten Empfehlungen meines Bruders u bin mit aller Achtung Ew. Wohlgeboren ergebene
Antonie Weber.

Apparat

Zusammenfassung

es geht um die Autorschaft des Spiegelcanons vom 17. März 1810; den an ihren Bruder gerichteten Brief beantwortet sie, da er wenig Zeit hat; sie fand unter den Manuskripten ihres Vaters zu einem geplanten Musiklexikon unter dem Kapitel Kanon und Kontrapunkt das Original des Sonatencanons CMW's und den Spiegelcanon in der Hs. ihres Vaters ohne Angabe der Autorschaft; sie will beide kopieren; im Musikalischen Hausfreund (ohne Jahresangabe) fand sie den Spiegelcanon als von G. Weber herrührend gedruckt, sie riss das Blatt heraus und legte es zur Ansicht bei; folgt noch Mitteilung über die mutmaßliche erste Begegnung zwischen Car Maria von Weber und Gottfried Weber, sie vermutet Februar 1810; weiter geht es um das Erscheinen der Klaviersonate von ihrem Vater

Incipit

In Auftrag meines Brudes, des Doktor Weber

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. IX, Kasten 2, Nr. 1 (Nr. 2 zu JV 90)

    Quellenbeschreibung

    • 2 DBl. (7 b. S. o. Adr.)
    • Dem Brief liegt ein Blatt mit Antonie Webers Kopie des Spiegelkanons (JV 90) nach der autographen Niederschrift von Gottfried Weber bei (die zweite ehemalige Beilage mit dem Kanon JV 89 fehlt, ebenso die als dritte Beilage erwähnte Seite aus dem Musikalischen Hausfreund)
    • Bleistiftunterstreichung und Rötelnotizen von F. W. Jähns

Textkonstitution

  • „die“durchgestrichen
  • „abgedruc“durchgestrichen
  • „sammentraff“sic!
  • „näher“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… arbeitete an einem musikal. Lexikon“Gemeint ist wohl das im Brief an F. von Drieberg vom 20. August 1824 angesprochene, damals bereits projektierte Musiklexikon.
  • „… kopiere Ihnen diese beiden genau“Dem Brief liegt heute nur noch die Abschrift des Spiegelkanons bei. Den Sonatenkanon ließ sich Jähns fast fünf Jahre später erneut kopieren; vgl. den Brief Antonie Webers vom 15. Oktober 1869. Dadurch wurde die ältere (wohl schlechtere) Kopie für ihn überflüssig und erschien ihm offenbar entbehrlich.
  • „… u lege es Ihnen bei“Die gedruckte Seite, deren Rücksendung Antonie Weber gegen Ende des Briefs erbat, liegt heute nicht mehr bei, dafür eine von Jähns nach dieser Vorlage getätigte Abschrift.
  • „… Weber , sondern von Simrock“Hier irrte Antonie Weber, da sie fälschlich von einem gedruckten Sonaten-Exemplar ausging, das tatsächlich Simrock zur Messe nach Frankfurt mitbrachte. Laut Tagebuch erhielt C. M. von Weber aber ein Manuskript der Sonate per Brief von Gottfried Weber; vgl. die Kommentare zu den Briefen vom 21. und 30. August 1810.
  • „… eine Kritik Meyerbeer's derselben erschien“Vgl. dazu Carl Maria von Webers Briefe an Gottfried Weber vom 21. und 30. August 1810 inkl. Kommentar.

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