Über Leppichs Panmelodicon (Teil 1/2)

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Leppich’s Panmelodicon. *)

Herr Leppich, Erfinder dieses neuen musikalischen Instrumentes*, gab, vereint mit dem bekannten Clavier-Virtuosen Creuzer, am 7. Januar 1811 zu Mannheim ein Konzert*. Er zeichnet sich vor so manchen andern Künstlern, welche mit neuerfundenen Tasten-Instrumenten Europa durchziehen, schon dadurch sehr zu seinem Vortheile aus, daß er die ganze innere Einrichtung seines Instrumentes nicht nur nicht geheim hält, sondern dieselbe sogar mit der größten Bereitwilligkeit einem jeden bis auf die kleinsten Details erklärt und vorzeigt; ein Benehmen, welches wenigstens weit edler, und mehr eines Künstlers ist, als die Geheimnißkrämerei mancher seiner Kollegen.

Das ganze, einfach aber geschmackvoll dekorirte Instrument hat, nach meinem Augenmaße, etwa 4 Fuß Breite, 4 Fuß Höhe und 2 Fuß Tiefe, und ist vorne mit einer gewöhnlichen Orgel- oder Clavier-Tastatur versehen. Die innere Einrichtung ist höchst einfach, und im Wesentlichen folgende:

In einen massiven Block oder Balken ist eine Reihe massiver Metallstäbe von verschiedener Länge senkrecht eingeschlagen, deren oberes Ende sich in einem rechten Winkel gegen eine messingne sehr glatt abgedrehete konische Walze **) hinneigt, ohne sie jedoch ganz zu berühren. Durch den Druck des Fingers auf die Taste wird der mit dieser korrespondirende Metallstab vollends bis an die Walze beigezogen, und mit ihr in Berührung gesetzt, doch nicht unmittelbar, indem zwischen die Walze und den Stab kleine Lamellen von Leder und Sammt eingeschoben sind. Der an die Walze angedrückte Metallstab wird durch die Anlehnung und Reibung an die sich drehende Walze in Schwingung gesetzt, und gibt, so lange die Anlehnung an die Walze währt, den seiner Länge angemessenen höhern oder tiefern Ton an, und zwar stärker oder schwächer, je nach der größern oder geringern Kraft, mit welcher er an die reibende Walze angedrückt wird. Ein Schwungrad, welches mit den Füßen regiert wird, erleichtert und unterhält die Rotation der Walze.

Das Instrument möchte vorzüglich in physikalisch und acustischer Hinsicht Aufmerksamkeit verdienen, um einiger Anomalien willen, durch welche die Art der Tonerzeugung sich von den bisher anerkannten Grundsätzen zu unterscheiden scheint.

Es hat fürs erste keinen Resonanzboden, die Metallstäbe sind, wie ich schon erwähnte, in ein massives Stück Holz eingeschlagen. Herr Leppich versichert, durch Versuche sich überzeugt zu haben, daß ein Resonanzboden dem Tone nicht nur nicht nütze, sondern sogar schade. – Die Stäbe klingen ferner ungehindert auch dann fort, wenn man sie mit der Hand derb berührt. Ich habe sie sogar ganz nahe an dem obersten freien, dem ganzen übrigen Stabe die Schwingung mittheilenden Ende, zwischen zwei Fingern möglichst fest zu halten versucht, ohne das Fortklingen unterdrücken zu können, da doch jede Darm- oder Metallsaite und jede metallene oder gläserne Glocke durch Berührung mit dem Finger augenblicklich gedämpft wird. Herr Leppich schließt daraus, daß sein Ton nach ganz eignen von allem bisher Bekannten abweichenden Prinzipien erzeugt werde, und daß in seinem Instrumente gar kein klingender Körper in dem bisher angenommenen Sinne vorhanden sey. Er hat, so erzählt er, um sich hiervon zu überzeugen, ein Instrument gebaut, dessen Walze von Wachs, die die Stäbe aber von Talg ***) und auf einem Blocke von Korkholz befestigt waren; und dieses aus gänzlich unelastischen und nach den bisherigen Erfahrungen zu Hervorbringung eines Klanges ganz unfähigen Körpern gebildete Instrument habe einen noch schönern Ton gegeben, als das gegenwärtige. Das alles ist nun freilich schwer zu vereinigen mit dem Umstande, daß die Vibration der Metallstäbe doch durch Berührung deutlich gefühlt werden kann, und die Höhe oder Tiefe des Tones sich nach der Kürze oder Länge der Stäbe bestimmt, was alles doch den Metallstab als den eigentlich tönenden Körper ziemlich unzweideutig karakterisirt. Auf jeden Fall wäre es zu wünschen, daß an den Orten, wo künftig dieses Instrument gezeigt werden wird, gewandte Physiker dasselbe noch näher als mir zu thun möglich war, untersuchen, und die Art der dabei stattfindenden Tonerzeugung aufklären möchten. Herrn Leppichs eigne Erklärungen befriedigen wenig.

der Beschluß folgt

[Originale Fußnoten]

  • *) Zwar enthält das jüngste Blatt der Leipziger musikalischen Zeitung* schon einen Aufsatz über eben diesen Gegenstand; allein die Tendenz desselben hat mit der der gegenwärtigen Abhandlung eben so wenig gemein, als das Urtheil eines Geometers über eine Landschaft von Claude Lorrain* mit dem eines Malers über denselben Gegenstand gemein haben würde. Jener Aufsatz behandelt die Sache eigentlich blos von der mechanischen, dieser von der akustischen und musikalischen Seite. Jener beurtheilt das Instrument als Maschine, dieser als ein physikalisches Experiment und als musikalisches Instrument: jeder hat also sein eigenes von dem andern unabhängiges Interesse.

    Anmerkung der Redaktion.

  • **) Kegelförmigen Zylinder* nennt es die Allgemeine musikalische Zeitung Nro. 8 dieses Jahrgangs!
  • ***) Er sagte bestimmt Talg nicht Talk*, wie es die Allgem. Musikal. Zeit. am Ende des angeführten Blattes lieber verstanden wissen möchte.

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung: namentlich gezeichnet; G. Weber datiert seinen Artikel mit 13. Januar 1811, also wenige Tage nach dem Mannheimer Konzert von Kreutzer und Leppich. Möglicherweise war sein Beitrag zunächst für die Schreibtafel von Mannheim bestimmt und kam vor deren Einstellung (vgl. Weber-Studien, Bd. 4/1, Vorwort, S. 49–50) nicht mehr zum Abdruck. In der AmZ, Jg. 13, Nr. 8 (20. Februar 1811), Sp. 142–145, war in der Zwischenzeit unter dem Titel Panmelodicon des Herrn Leppich aus Wien ein ausführlicher Bericht von J. F. Bleyer (einschließlich Abbildung auf einer Kupfertafel neben Sp. 152) erschienen. Die Redaktion des Badischen Magazins sah sich daher offenbar genötigt, den Abdruck eines umfangreichen Artikels über dieses Instrument zu rechtfertigen (vgl. Kom.). Die drei Anmerkungen im vorliegenden Text beziehen sich auf diese Nr. 8 der AMZ. Ob G. Weber seinen Text mit der zweiten und dritten Anmerkung aktualisieren wollte oder ob es sich auch hierbei um Zusätze der Redaktion handelt, war nicht zu ermitteln. Über das von Franz Leppich in Wien erbaute Panmelodicon war bereits früher u. a. in den Vaterländischen Blättern für den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 2, Nr. 71 (30. März 1810), S. 399, und im Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 4, Nr. 89 (13. April 1810), S. 356, sowie ausführlicher in der AmZ, Jg. 12, Nr. 31 (2. Mai 1810), Sp. 487–489, berichtet worden. In dem G. Weber sicherlich bekannten älteren AmZ-Beitrag wird Leppichs Erfindung wie folgt beschrieben: Dieses Instrument, welches aus einer metallnen, durch ein Schwungrad gedrehten, kegelförmig zulaufenden Walze besteht, womit metallene, in einem rechten Winkel gebogene Stäbe, mittelst leiser Behandlung der Tastatur in Berührung gebracht werden, lässt an Zartheit, Lieblichkeit und Reinheit der Töne alle dergleichen bis jetzt uns bekannte Instrumente zurück. Man kann den Ton bis zu einer namhaften Stärke anwachsen, und nach Belieben abnehmen lassen. Ohne etwas an dem Instrumente zu verändern, hängt es von der Willkühr des Spielenden ab, die Orgel, die Harmonica, die Clarinette, den Fagott, und das Waldhorn nachzuahmen. […] Es hat fünf volle Octaven, von C der grossen Octav, bis viermal gestrichen C. Der Rezensent vermutete weiter, daß das Instrument mit der von Rieffelsen erfundenen Melodica identisch sei – eine Vermutung, die auch in einer späteren Berichtigung von L. S. D. Mutzenbecher ausgesprochen wurde; vgl. AMZ, Jg. 13, Nr. 16 (17. April 1811), Sp. 278–280. In einer Anmerkung zu dem Artikel von Bleyer hatte die Redaktion im übrigen die Vermutung ausgesprochen, das Panmelodikon sei nur eine Variation des Melodion von Dietz (vgl. a. a. O., Anmerkung zu Sp. 142). Das Konzert von Kreutzer und Leppich, das G. Weber auch in der Zeitung für die elegante Welt (1811-V-09) besprach, war für C. M. v. Weber ein Stein des Anstoßes, da das Mannheimer Orchester ihm nach bereits gegebener Zusage die Unterstützung für ein Konzert verweigert hatte (mit dem Hinweis auf ein Gesetz, wonach das Orchester während der Saison der Winter-Konzerte keine fremden Virtuosen begleite), kurz darauf jedoch Kreutzer begleitete (vgl. die Briefe vom 8. Januar 1811 an G. Weber, vom 13. Januar an Gänsbacher, sowie vom 15. Januar an G. Weber). C. M. v. Weber machte diesen Vorfall öffentlich bekannt (1811-V-11). Am 5. Januar 1811 notierte C. M. v. Weber im TB, er habe in Mannheim das Panmelodicon gesehen, von Leppich und Kreuzer. Möglicherweise besah er das Instrument zusammen mit G. Weber.

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 6 (6. März 1811), S. 21–22

    Einzelstellenerläuterung

    • „jüngste Blatt der Leipziger musikalischen Zeitung“AMZ, Jg. 13, Nr. 8 (20. Februar 1811), Sp. 142–145.
    • „Claude Lorrain“Claude Gelée, genannt Lorrain.
    • „… Erfinder dieses neuen musikalischen Instrumentes“Curt Sachs, Real-Lexikon der Musikinstrumente, Berlin 1913, S. 289, klassifiziert das Panmelodikon als Reibidiophon.
    • „mit dem bekannten … Mannheim ein Konzert“Conradin Kreutzer spielte dabei u. a. seine Phantasie pour le Clavecin avec l’Accompagnement d’une grand Orchestre (KWV 4106). Außerdem erklang zu Beginn eine Sinfonie von Joseph Haydn und im zweiten Teil eine Ouvertüre von Mozart; vgl. Konzertzettel.
    • „Kegelförmigen Zylinder“Vgl. a. a. O., Sp. 143: ein kegelförmiger Cylinder von Messing, der nach der Quere über die Tastatur hinläuft. In Sp. 144 kritisiert Bleyer dann diesen Zylinder, der durch seine dreigeteilte Kegelform verhindere, daß alle Töne in der Tiefe und Höhe gleichförmig ansprächen. Er empfiehlt einen durchgehenden 3,5-Zoll-Durchmesser des Zylinders, um diesen Nachteil zu beheben. Gegen diese Kritik nahm bereits die Redaktion der AMZ in einer Anmerkung zu Bleyers Artikel (vgl. Sp. 142) Stellung.
    • die die Stäberecte „die Stäbe“.
    • „Talg nicht Talk“Die Anmerkung bezieht sich hier nicht auf den Artikel Bleyers, sondern auf eine Bemerkung unter der Rubrik Notizen in AMZ, Jg. 13, Nr. 8 (20. Februar 1811), Sp. 151–152, wo es heißt: Ueber Hrn. Leppich aus Wien […] wird gedruckt, (wir hoffen und glauben, ohne sein Wissen,) er könne sogar einem Stabe von Talg einen Ton entlocken. Das ist nun freylich mehr, als sich nur irgend denken lässt, und thut folglich seine Wirkung: es ist aber nicht Talg, (Unschlitt, sevum,) sondern gebrannter Talk (Talkstein, talcum) gemeynt. Was kann man nicht jetzt dem Publicum bieten!

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