Über Marianne Schönberger
Ueber Mad. Schönberger.
Mad. Schönberger, welche hier schon in mehrern Opern als Tenorist* aufgetreten ist, gehört zu den ungewöhnlichen Erscheinungen in der Kunst, und schon dieß allein muß ihr, abgesehen von ihren übrigen bedeutenden Vorzügen, als Künstlerin, wie jede Seltenheit, einen glänzenden Erfolg, wo sie erscheint, gewiß machen; ein zweyter Ritter d’Eon*[,] macht sie auf der Bühne ihr Geschlecht zweifelhaft, usurpirt die Rolle eines Liebhabers, und täuscht durch Kleidung, Stimme, Spiel und Anstand auf Augenblicke noch den Zuschauer, der doch durch die Affiche schon von dem lieblichen Betrug unterrichtet ist. Das auf solche Weise schon auf ihre Seite gezogene Publikum gewinnt sie aber nun vollends durch ihren trefflichen Gesang, durch die Gewandtheit ihrer Bewegungen und durch die feurige Lebendigkeit ihres Spiels, Eigenschaften, welche nur selten in so schöner Vereinigung blühen. – Ihre Töne treten, mit ausgezeichneter Präcision und mit seltener Sicherheit, die nur aus eigenem Kraftgefühl entspringt, aus der Kehle und in ihrem Vortrage lebt Gefühl und edler Geschmack. – Mad. Sch. siegt durch die doppelte Waffe der Natur und Kunst. Darüber ist auch im Ganzen nur Eine Stimme, und die öffentlichen Blätter sind von ihrem Lobe voll; desto verschiedener wird häufig über die Natur und Seltenheit ihrer Stimme unter dem Publikum geurtheilt: wie, sagt der Eine, Mad. Sch. singt Tenor-Rollen? hat sie denn die Stimme eines Mannes? oder transponirt sie? Nein, sagt ein Anderer, sie hat eine vollständige Tenorstimme, singt Alles, wie es steht; aber das klingt ja so tief, sagt ein Dritter,: man meint, sie sänge Baß? und dieser Dritte hat die Sache wirklich getroffen. Mad. Sch. singt den Baß der weiblichen Stimme, und qualitativ ist ihre Stimme zu vergleichen mit der eines jeden Baßisten nur im verjüngten Maßstabe; quantitativ hingegen singt sie in Tenor-Rollen dieselben Töne, wie der Tenorist, da die tiefern Töne der Alt-Stimme mit den Höhen der Tenor-Stimme zusammenfallen; aber deßhalb hat sie noch keine Tenor-Stimme. – Auch auf der Viola lassen sich die höhern Töne des Violoncell’s hervorbringen und das F des Letztern auf der A-Saite korrespondirt dem F auf der D-Saite der Viola; wird man deßhalb sagen: die Viola sey ein Violoncell? Die Instrumente bleiben verschieden, wenn auch die Töne dieselben sind. – Mad. Sch. singt mit ihrer Stimme tief, um zur Höhe des Tenors hinabzusteigen; denn hoch und tief sind relative Ausdrücke, und richten sich nach dem Verhältniß der Instrumente. – Daher denn auch der verschiedene Klang (nicht Ton) wenn Mad. Schönberger z. B. das hohe Tenor-G und wenn ein Tenorist dasselbe singt; hier scharf, schneidend und fein zugespitzt, dort voll und rund, hier ein durch hohe Anstrengung der Kehle hervorgebrachter, die Gränzen des Umfangs bezeichnender Ton (ein Ton des Affects) dort ein, die ruhigste Stimmung aussprechender Mittelton, welcher die Aussicht auf eine Reihe höherer Töne in der Sphäre des Instruments offen läßt, hier den Zuschauer ergreifend, dort beruhigend. – Am besten würde sich dieses zeigen, wenn Mad. Sch. zugleich mit einem wirklichen Tenoristen ein Duett für zwey Tenor sänge. – Man setze, um die Sache noch klarer zu machen, den umgekehrten Fall; ein Tenorist mit ungewöhnlich hoher Stimme übernähme es eine Alt-Parthie zu singen, so müßte er seine höhern Töne gebrauchen, um die tiefern der Alt-Stimme zu erreichen, und er sänge immer im Affect, wie Mad. Sch. immer in Ruhe; seine tieferen Töne bekäme man eben so wenig zu hören, nie die höheren Töne jener, außer in Coloraturen. – Durch eine solche Verwechslung der Stimmen aber werden wegen obenerwähnter Veränderung des Klangs die berechneten Contraste in Ensemble-Stücken aufgehoben: denn, wo die hellklingenden Töne des Tenors über die andern Stimmen dominiren durch ihre Schärfe und Spitze, da kann Mad. Schönb. mit aller Stärke ihrer Stimme jenen timbre nicht ersetzen, und der nothwendig dumpfer klingende Ton wird immer untergeordnet bleiben. – So war es z. B. in Camilla, wo der Contrast zwischen Loredan und seinem Diener* wegfiel, weil beyde (nach Verhältniß ihrer Stimmen) tief sangen, und daher keiner über den andern dominirte. Mehr Genuß würde es aus diesem Grunde Ref. verschafft haben von Mad. Sch., die weit bedeutendere Rolle des Grafen* in dieser Oper zu hören, welche ganz in der Sphäre ihrer Stimme liegt (nur im verjüngten Maßstabe) und wobey also kein Stimmen-Verhältniß gekränkt worden wäre. Dieses Mißverhältniß schwindet natürlich gänzlich in Arien (daher das Vortheilhafteste für Mad. Sch., das Glänzendste ohnehin) worin man nur die hohen Töne zuweilen an und für sich als Töne des Affects vermißt.
Dieses über die Natur von Mad. Sch. Stimme. Ref. ist übrigens einer der wärmsten Verehrer von der Kunst dieser trefflichen Sängerin, nur aber eben so weit entfernt von der Schwäche blinder Anbetung, als von der Erbärmlichkeit willkührlicher Tadelsucht.
Apparat
Generalvermerk
Zuschreibung nach Sigle; zur Zuweisung des Pseudonyms Philokalos an Dusch vgl. Weber-Studien, Bd. 4/1, Vorwort, S. 24
Kommentar: Der Münchner Korrespondent der AMZ hatte über die ersten Rollen von Marianne Schönberger ausgesprochen negativ berichtet; vgl. AMZ, Jg. 14, Nr. 8 (19. Februar 1812), Sp. 122; auch als Graf Loredano empfing sie später von dieser Seite Kritik; vgl. AMZ, Jg. 14, Nr. 11 (11. März 1812), Sp. 171. Möglicherweise entstand Duschs Aufsatz als Reaktion auf die erste AMZ-Kritik. Bei den Ausführungen zur Stimme von Marianne Schönberger stützt sich Dusch hier vor allem auf die Aufsätze von G. Weber; vgl. 1811-V-10, 1811-V-34 und 1811-V-76. Dusch erwähnt kurz darauf Marianne Schönberger auch in seinem zusammenfassenden Bericht über München; vgl. 1812-V-19 (Teil 2).
Entstehung
–
Überlieferung
-
Textzeuge: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände, Jg. 2, Nr. 19 (4. März 1812), Sp. 151–152
Einzelstellenerläuterung
-
„Mad. Schönberger , … Opern als Tenorist“Marianne Schönberger trat in München u. a. als Belmonte in Mozarts Entführung aus dem Serail, Sargino in der gleichnamigen Oper von Ferdinando Paër (9. Januar und 4. Februar) und Graf Loredano in Paërs Camilla (31. Januar 1812) auf.
-
„Ritter d’Eon“Charles Geneviève Louis Auguste André Timothée Eon de Beaumont; vgl. Heinrich Holt, Sehr merkwürdiges Leben des ehemaligen Ritters d’Eon und jetzigen Fräulein d’Eon de Beaumont, Frankfurt a. M. und Leipzig 1780.
-
„seinem Diener“Cola (Baßrolle).
-
„Rolle des Grafen“Uberto, spanischer Herzog (Baß).