Über München (Auszug aus einem Tagebuche) (Teil 2/2) (mit Aufführungsbesprechung München, Hoftheater, 1812: „Abu Hassan“ von C. M. von Weber)

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Ueber München.

(Beschluß.)

Madame Schönbergers Anwesenheit veranlaßte in den zwei letzten Monaten die Aufführung der Paerschen Opern: Sargines und Camilla*; sie erntete nach Verdienst allgemeinen Beifall als Sängerin und gefiel vorzüglich als Sargines, noch wegen der schönen Jugendlichkeit und Anmuth ihres Spiels. Sargines wurde zweimal wiederholt. Auch als Ariodante in Ginevra trug sie das Ihrige zur Verschönerung bei. Dem Vernehmen nach hat sie sich in ein weiteres Engagement, für mehrere Rollen eingelassen und wird also noch einige Zeit in München zubringen. Herr Schönberger ist unterdessen nicht weniger thätig in seiner Kunst. Von neuern Kompositionen ward mir das Vergnügen zu Theil, Carl Maria von Webers kleine Oper: Abu Hassan* zu hören, ein geniales, durchgängig geistreiches Werk, welches keinem Theater, wo guter Geschmack und Kunstsinn herrscht, mehr fremd seyn sollte. Dieß über die Musik. – Eben so viel Gutes läßt sich von dem Schauspiele in dieser Stadt bei weitem nicht sagen. Aus einer tiefen Erschlaffung, an welcher es viele Jahre lang darnieder lag, suchen es die eifrigen Bemühungen des jetzigen Intendanten Herrn de la Motte* wieder empor zu reißen und neu zu beleben; wieviel dieser thätige Mann schon im Einzelnen für das Angenehme und Schöne des Theaters und der damit zusammenhängenden Einrichtungen gethan hat, erkennt ganz München. Vieles bleibt ihm noch zu thun übrig, wobei mancherlei Hindernisse, deren Beseitigung nicht in seinem Vermögen steht, nicht selten den raschern Erfolg seiner Thätigkeit hemmen, und hierher ist vorzüglich die große Anzahl zum Theil invalider, zum Theil wenig brauchbarer Leute zu rechnen, deren lebenslängliche Unterhaltung noch der Casse zur Last fällt. Ihm verdankt München noch seit kurzem den Besitz des trefflichen Wohlbrück*, welcher zu Deutschlands wenigen denkenden Künstlern gehört, und eben daher als Muster den wohlthätigsten Einfluß auf die in den Tag hinein spielende Menge nothwendig äußern wird. Muster zur Nachahmung aufstellen, ist eines der wirksamsten Mittel, die gesunkene Kunst wieder aufzurichten.

Unter den übrigen vorhandnen Schauspielern huldigt der größre Theil des Publikums einem gewissen Stentsch als einem vorzüglichen Künstler; allein sehr abweichend von diesem Urtheile kann ich diesem Schauspieler nur ein glückliches Talent zugestehen, welches auf | ferne Abwege gerathen und der wahren Kunst fremd geblieben ist; als ein verzognes Kind des Münchner Publikums betrachtet sich dieser Schauspieler in jeder Rolle mit einer behaglichen Selbstgefälligkeit, und wird dadurch zu einer schönen objektiven Darstellung gänzlich unfähig; sein Spiel ist in Manier versunken und sein Benehmen auf der Bühne kündigt eine, keineswegs empfehlende Assurance an. Um Beispiele anzuführen, so gab er den Beaumarchais in Clavigo* nicht als einen edlen, die Schmach seiner Schwester rächenden jungen Mann, sondern als wahren Hallenser Renomisten, zu dem ihm blos die großen Stiefeln und Pfundsporen mangelten; so den König in der Jungfrau von Orleans**), nicht als einen schwachen Regenten, sondern als einen faden Weichling. – Herr Kürzinger spielt die Liebhaberrollen. Gestalt und Organ sind ihm sehr nachtheilig, und er würde aus diesem Grunde für ältere Rollen taugen; in seinem Spiele findet man fleißiges Studium. – Herr Reinhard gibt die gutmüthigen Alten nicht selten zur Zufriedenheit der Zuschauer; die übrigen Schauspieler aufzuzählen lohnt sich nicht der Mühe. Unter den Schauspielerinnen steht nach dem einstimmigen Urtheile des Publikums Mad. Kannabich (ehemalige berühmte Sängerin) voran, und ich bedaure, während meines langen Aufenthalts sie nicht auf der Bühne gesehen zu haben. Nach ihr ist Mademoiselle Altmutter eine verdienstvolle Schauspielerin; Gestalt und Organ sind ihr sehr vortheilhaft und in ihrem Spiele liegt eine anziehende Zartheit als das Bezeichnende. Als Jungfrau von Orleans erntete sie mit Recht allgemeinen Beifall und manche Szene gab sie unübertrefflich schön. Im Lustspiele verdient noch Mad. Stentsch genannt zu werden, welche vorzüglich in naiven Rollen Wahrheit und Natur zeigt.

Das sogenannte Vorstadttheater aus Weinmüllers ambulirender Schauspielertruppe* gebildet, ist seit kurzem unter königlichen Schutz genommen worden, und man erwartet aus der Aemulation der Mitglieder viel Gutes für beide Theater; seitdem werden alle Schauspieler auf die Weise engagirt, daß sie auf beiden Bühnen aufzutreten verbunden sind, so wie beide Theater unter der¦selben Leitung stehen. In wiefern es aber nicht vortheilhafter wäre zwischen diesen Theatern eine strengere Scheidewand aufzurichten, und jenes gleichsam als Vorschule zu diesem zu benutzen, diese Frage dürfte wohl noch einige Erwägung verdienen.

München, im März 1812. Alexander v. Dusch.

[Originale Fußnoten]

  • *) Dieses Drama wurde im laufenden Jahre zum ersten Male auf der Münchner Bühne aufgeführt und mit solchem Enthusiasmus aufgenommen, daß es im Zeitraume von drei Wochen vier Mal wiederholt* wurde, ein Beweis, wie schlecht das Theater unter der vorigen Intendance* berathen war, – das Stück wird recht gut und mit vieler Pracht gegeben.

Apparat

Generalvermerk

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Kolb, Roland

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 12, Nr. 78 (18. April 1812), Sp. 620–622

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