Aufführungsbesprechung Mannheim: „Julius Cäsar“ von William Shakespeare am 15. April und „Das Strandrecht“ von August von Kotzebue am 18. April 1811 in Mannheim

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Hof- und National-Theater in Mannheim.

Am 15. April: Julius Cäsar*, Trauerspiel in 5 Aufzügen, frei nach Schlegel bearbeitet.

Die zweite Darstellung des Julius Cäsar steht im Ganzen unter der ersten: Herr Eßlair selbst, als Brutus, befriedigte nicht wie das erstemal, mit Ausnahme der vortrefflich von ihm gesprochenen Rede an das Volk*; seine Ruhe artete zuweilen in Kälte aus, und Brutus ist nur ruhig, nicht kalt; die feine Grenzlinie beyder ist freilich leicht überschritten. Unrichtigkeiten in der Deklamation, wie z. B.:

Brutus wär lieber eines Dorfs Bewohner*

anstatt zu sagen:

Brutus wär lieber eines Dorfs Bewohner

und andere, thun um so weher, wenn man sie von einem solchen Schauspieler hört. – Uebrigens war doch Herr Eßlair der Einzige, der noch das Stück so zu sagen über Wasser hielt. Cassius, der schlaue leidenschaftliche Cassius, der Minirer des ganzen Stücks, der die brennende Lunte in den Pulverthurm der Verschwörung wirft, gieng durch Herrn Müllers Spiel gänzlich verloren; – Ref. verdenkt es ihm auch nicht; die Rolle liegt nicht besonders in seinem Fache, in welchem er immer ein schätzbarer Schauspieler bleibt. Ueberhaupt kam Referenten beynahe der Wunsch, auch diese Rolle (man brauchte sie ja nur wegzulassen, wie es schon bey andern mit Erfolg* geschehen ist!) unbesetzt zu sehen; und in der That, wer hinderts, daß wir auf solche Weise uns schnell in den Stand setzen, einen Shakespear’schen Julius Cäsar vortrefflich zu besetzen; wir nehmen blos die Hauptsache davon ohne alle Nebenschweife, den Brutus und allenfalls noch den Cäsar, und weg mit allem Ueberflusse! – Herr Mayer als Antonius ließ besonders in seiner Rede an das Volk* vieles zu wünschen übrig, indessen begnügen wir uns es blos zu bemerken, und verkennen keineswegs die bedeutenden Schwierigkeiten dieser Szene. Auch Mad. Eßlair* befriedigte mehr in der ersten Darstellung dieses Stücks; dahingegen war Herr Prandt diesmal wie das vorigemal als Julius Cäsar recht an seiner Stelle, und seine Sprache paßt vortrefflich zum Prahlen; es lautet, als strotze er von Stolz.

Was die erste Erscheinung des Geistes* betrifft, so könnte Ref. hier ein schlechtes Wortspiel anbringen, und sagen, Cäsars Geist wurde gerochen; er thut es aber nicht, sondern bemerkt blos: Es war mehr der Rauch den man roch. Interessant wäre es ihm gewesen zu wissen, in welchem Buche Brutus bey der Erscheinung des Geistes las; wahrscheinlich eines aus den alten Zeiten, eine Pracht-Ausgabe (denn es war in Folio) irgend eines alten Klassikers, vielleicht gar ein Iulius Caesar de bellis gallicis oder des Taciti annalium libri?* – Aber ich komme auf den letzten Akt – wie ist es möglich das Ende so erbärmlich zu verstümmeln! Ref. erkannte es nicht mehr, und jedem der das Original kennt, mußte diese Pfuscherei unerträglich vorkommen. Wie gehaltreich, wie viel schönen römischen Sinn enthaltend ist der letzte Aufzug in Shakespeare, und wie matt und leer wird er durch die Abänderungen! Nicht zu gedenken der einzelnen Schönheiten, welche verloren giengen, so wurde manches sogar dadurch undeutlich und unzusammenhängend. Die bedeutungsvolle Szene des Abschiedes zwischen Brutus und Cassius* vor der Schlacht, beliebte man gänzlich wegzulassen; wie sehr vermißte Ref. die schönen Worte, die ihm so deutlich vorschwebten:

„Gehab dich wohl mein Cassius, für und für!Sehn wir uns wieder, nun so lächeln wir,Wo nicht, so war dies Scheiden wohlgethan!“*

Cassius erscheint auf einmal verwundet auf dem Theater ganz gegen Shakespear’s Idee, (warum? weiß Gott) und stirbt endlich erbärmlich und höchst unrömisch; die ganze schöne Szene zwischen ihm, Pindarus und Titinius,* bleibt weg, (Ref. verweis’t auf das Original selbst, um sich von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was er sagt); eben so der herrliche Auftritt, ehe Brutus sich entleibt, wo er die Worte sagt:

„Kommt armer Ueberrest von Freunden, ruhtAn diesem Felsen“

und

„– – Erschlagen ist das Wort,Es ist des Tages Sitte.“*

und viele andre Auftritte: dahingegen läßt man den Geist noch ein paarmal erscheinen,* welches im Original nirgends vorgeschrieben ist, vermuthlich um die Sache noch etwas romantischer zu machen; aber man bedenkt nicht, daß eben dann Brutus Tod bey weitem nicht mehr so erhaben erscheint, wenn er gleichsam durch die Gegenwart des Geistes getrieben sich entleibt, statt sich mit kaltem Sinne in das Schwert zu stürzen, und Niemanden zu unterliegen als sich selbst; der Geist sollte blos erscheinen, um zu zeigen, daß Er es ist, der alle glückliche Erfolge vereitelt, und den Brutus immer verfolgt; aber nicht als höhere Macht, die ihn zum Selbstmord zwingt. Wie anders ruhig und groß stirbt Brutus im Originale, wo er sich auch nicht selbst mit dem Schwerte entleibt, sondern wie es damals Heldenbrauch war, sich in das Schwert stürzt, das ihm sein Diener hält, um welchen letzten Dienst er ihn vorher noch so schön bittet, nachdem es ihm mehrere andre abgeschlagen:

„Ich bitt’ dich Strato, bleib bey deinem Herrn,Du bist ein Mensch von redlichem Gemüth,In deinem Leben war ein Funken Ehre.Halt denn mein Schwert, und wende dich hinweg,Indeß ich drein mich stürze. Willst du, Strato?“

Worauf dieser blos sagt:

„Gebt erst die Hand mir. Herr! gehabt euch wohl.“*

Doch ich breche ab, sonst extrahire ich noch den ganzen letzten Aufzug; man sieht schon, frey genug ist die Bearbeitung!


Donnerstags, den 18. April: Das Strandrecht*, Schauspiel in einem Aufzuge von Kotzebue.

Was das Strandrecht und Herrn Pohlmann betrifft, so ist darüber gar wenig zu sagen. Das Stückchen gehört zu den erbärmlichsten und Schillers Vers über die Kunst paßt vortrefflich auf den Verfasser:

„Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andernEine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter besorgt.“*

Auch wunderte sich Referent sehr, daß Herr Pohlmann darin zuerst auftrat; wollte er aber eine solche Rolle, wie Herr von Hayfisch ist, zur Debüt-Rolle wählen, so hätte er wenigstens mehr daraus machen müssen; in schlechten Stücken zeigt sich der gute Schauspieler am besten; allein davon war er weit entfernt; er ließ die Rolle so mager wie sie ist, und sprach seine Sache ganz trocken weg; wenn Referent bemerkt, daß er eine helle deutliche Sprache habe, so hebt er dieses blos der Zeiten wegen heraus; leider ist dies heut zu Tag schon ein bedeutender Vorzug bey einem Schauspieler. Referent bedauert übrigens, nicht in Johanna von Montfaucon* gewesen zu seyn; vielleicht ließ Herr Pohlmann da Mehreres merken.

the unknown Man.

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung: Sigle; Text außerdem enthalten im Nachlaß Duschs (GLA Karlsruhe, N. v. Dusch 8)

Kommentar: Dusch hatte bereits die erste Vorstellung von Julius Cäsar im Badischen Magazin besprochen; vgl. 1811-V-07. In den Unterhaltungs-Blättern erschien eine Notiz über Pohlmanns Gastspiel, die möglicherweise auf den vorliegenden Bericht zurückgeht (1811-V-33), ebenso in der Zeitung für die elegante Welt (1811-V-31).

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 45 (23. April 1811), S. 179–180

    Einzelstellenerläuterung

    • „Julius Cäsar“EA Mannheim: 28. Januar 1811; vgl. 1811-V-07.
    • „Rede an das Volk“Szene III/2 (hier und im folgenden: in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel).
    • „Brutus wär lieber eines Dorfs Bewohner“Vgl. William Shakespeare, Julius Caesar, in: Dramatische Werke, übersetzt von August Wilhelm Schlegel, Bd. 2, Berlin: Unger 1797, S. 19.
    • „bey andern mit Erfolg“Vgl. 1811-V-07.
    • „Rede an das Volk“Szene III/2.
    • „Mad. Eßlair“Elisa Eßlair trat als Portia auf.
    • „erste Erscheinung des Geistes“Szene IV/3.
    • „Iulius Caesar de … annalium libri ?“Gaius Julius Caesar, Commentarii de bello gallico bzw. Publius Cornelius Tacitus, Annales.
    • „Szene des Abschiedes … Brutus und Cassius“Szene V/1.
    • „„Gehab dich wohl … dies Scheiden wohlgethan!““Vgl. Julius Caesar, a. a. O., S. 136.
    • „Szene zwischen ihm, … und Titinius ,“Szene V/3.
    • „„Kommt armer Ueberrest … des Tages Sitte.““Vgl. a. a. O., S. 147 (Szene V/5).
    • „den Geist noch ein paarmal erscheinen,“Vgl. 1811-V-07.
    • „„Ich bitt’ dich … gehabt euch wohl.“Vgl. a. a. O., S. 150 (Szene V/5).
    • „Das Strandrecht“EA Mannheim: 22. Februar 1810.
    • „„Einem ist sie … mit Butter besorgt.““Vgl. Friedrich von Schiller, Xenien, in: Gedichte, hg. von Julius Petersen und Friedrich Beißner, Weimar 1943 (Schillers Werke, Bd. 1), S. 316. Das Xenium trägt die Überschrift Wissenschaft; Dusch hat besorgt aus versorgt geändert.
    • „Johanna von Montfaucon“Hr. Pohlmann trat am 21. April 1811 in Mannheim in seiner zweiten Gastrolle als Guntram in Johanna von Montfaucon von Kotzebue auf.

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