Heinrich Baermann an Giacomo Meyerbeer in Paris
München, Montag, 9. Oktober 1815

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Mit unendlicher Freude habe ich Deinen mir so lieben Brief heute erhalten, und mir kaum so viel zeit genommen denselben all deine und meine Freunde zu zeigen, um nur ja nicht mit der Beantwortung zu zögern, selbst eines der classischsten Stücke, Staberls Hochtzeit, worin Herr Carl im Isarthor Theater, so ausgezeichnet spielt bleibt von mir unbesucht, um mich dir dem Freunde ganz hinzugeben. Vor allem muß ich nochmal der unendlichen Freude erwehnen, welche mir eure Briefe verursacht haben, schon an der Adresse erkannte ich deine mir schon sehr oft in kritischen Fällen güthigst geliehenen Schriftzüge und da war ich denn so begierig den Inhalt zu erfahren daß ich den überbringer dieses Briefes sogar ein Trinkgeld zu geben vergas, und da ich so ganz auf den Menschen vergas, so weiß ich bis diesen Augenblick noch nicht durch welche Gelegenheit mir der Brief zu Handen gekommen ist, dem sey wie ihm wolle, ich bin nun einmal im Besitz desselben und der überschiker wird sich gelegendlich wohl selbst melden.      Doch meine Freude sollte noch erhöht werden, und wie wurde sie es nicht da ich unter den mir fremd scheinend Brief die unterschrift meines guten Wolf sah, oh! Ihr lieben guten Menschen glaubt mir sicherlich daß Thränen der Freude mich einen Augenblick hinderten, zu sehen, was Ihr euern entferntten Freunde sagen würdet, als ich ab er die Stelle laß in welcher du uns Hoffnung giebst dich und deinen so herzigen Bruder in Venedig zu sehen, da mußte ich zu lesen aufhören, und meine Freude hatte keine gränzen mehr, die Leute musten mich auf der Straße für närrisch halten, ich erhielt nehmlich deinen Brief im augenblick als ich aus meinem Hause, zur Probe, einer neuen Oper ging, von welcher ich nachher sprechen werde. ich laß nicht weiter, und beym eintritt im Probesaal trat ich mit mehr Heiterkeit zu meinen Freunden als wenn ich ihnnen eine zweite Schlacht bey Bellalienze zu berichten gehabt hätte. Wohlbrück, welchen ich auch zugleich traf ist intigniert daß er umgangen ist, und ich ehr einen Brief erhalten habe als er; an die von dir mit nächster Post sbzuschikende Episten zweifelt er nicht mehr sondern glaubt gewiß zu seyn daß dieselbe nicht mal gedacht noch weniger gemacht, und vom Abschiken nun schon mal gar keine Rede sein kann, um so mehr da dem versprechen gemäß diese Episten, wenn sie mit nächster Post abgegangen wäre, weit früher hätte eintreffen müssen als mein Brief, in dem die Berechnung gemacht ist daß jeder Brief mit der Post längstens 8 Tage von Paris hieher zu gehen [pflegt], und der meine 22 Tage gebraucht hat bis ich ihn erhalten habe. |

Nun zur Beantwortung der mir vorgelegten Fragen. Das Engagement der Harlas für Venedig hat sie [durch] einen gewissen Baron Brioli, welcher im Gefolge des Prinzen Eugen aus Italien mit hierher gekommen ist, und ein sehr großer musikfreund zu seyn scheint, [er] ist es, welcher das Engagement der Harlas zu verschaffen gewust, er hat nehmlich dem Imperessari berichtet, daß sich hier eine Sängerin befindet, welche wohl mit Glük in Italien einen Carnevall singen würde. Worauf der Imperessari augenblicklich einen Commisair abschikte, und hier, nachdem derselbe sie hier gehört, augenblicklich ein Contrackt zustande kam, nach welchen sich die Harlas verpflichtete während den Carnavall 1815 und 1816, so wohl in Männer wie Frauen Rollen im Theater La Fenice, gegen ein Honorar von 16000 franks zu singen. zu diesem Ende werden wir nun, da ihre Niederkunft äußerst glüklich von statten gegangen sie mir ein allerliebstes Medchen gebohren, und nun nichts mehr im Wege ist was dfie Reise hindern könnte, am 12ten November von hier abreisen um den 20ten desselben Monaths in Venedig zu seyn, mein Quartier kann ich dir noch nicht bestimmt angeben, weil ich erst jezt commission gegeben eines für uns zu miethen doch erfährst du augenblicklich unsere Wohnung. Wenn du nach Herr Lois Facchini, Caffe de Florian frägst, welcher derselbe ist der das Engagement zustande gebracht hat. Auch Poissl wird zu gleicher Zeit nach Italien gehen, und damit anfangen den Carnavall in Venedig zuzubringen auch wol gar noch für diesen Carnavall in St. Moise eine Farce oder Oper comic schreibt*. über Poissl Olimpiade sage ich weiter nichts als daß sie sehr gefallern hat, und dieselbe in dem Augenblick in Berlin, Stuttgard, Darmstadt, Frankfourt, und irre ich nicht auch in Prag einstudiert wird*, er hat sie jezt ganz durchaus in Rezitativ gesezt, wodurch das ganze noch mehr gewinnen muß, so ist auch die Athalie nach dem Wunsche des Grafen Brühl auch ganz in Rezitativen gesezt worden, über beide Opern wird er dir selbst schreiben.      Was soll ich dir von den Aufendhalt meines, oder unsers gesammt Freundes Weber sagen, du kanst denken daß ich durch sein hiersein drey herlige Monathe verlebte, er wohnte in mein Cabinet, und da er außer Wibekings nur wenig Menschen besuchte so war er fast immer zu Hause, und mit großer Freude sa[h] ich daß seine ein wenig zeritteten Gesundheitsumstände sich gebessert und er zulezt wieder gap empfänglich für des Lebens Freude wurde. der Abschied wurde mir schwer, ihm aber schwerer indem er einen Ort zueilen mußte in welchem er sich nicht glüklich zu fühlen scheint. über seine neueren Compositionen werde ich dir in Venedig mündlich Raport abstatten. |

Hariodan von Wohlbrük und Fränzl hat weniger gefallen als es zu gefallen verdient, woran aber bloß die schlechte Besezung der Rollen schuld gewesen. das Gedicht kennst Du, und man sollte glauben auch ohne Musik müsse es an sich schon großes interesse erweken und dennoch, – dennoch ist es durchgefallen, du wirst nun glauben die Fränzlsche Musik werde schuld sein, ich sage aber nein denn ob wohl Fränzl[s] Musik nicht ein Funken Originalität enthält, so ist es doch recht liebe und gefällige Musik, ja einzelne Musikstüke ausgezeichnet schön, so ist ie Ouvertoure von großer Wirkung, und den Fall der Oper haben sich Dichter und Componist eigendlich selbst zuzuschreiben indem sie die Hauptpartien solchen Händen übergaben, welche wohl guten Willen hatten, aber es nicht auszuführen vermochten. außer diesen zwey Opern und einige Kleinigkeiten haben wir gar nichts neues gegeben, dafür wird aber jetzt zum geburtsTag unseres allverehrten Königs ein sehr würdiges Produkt eines Winterrischen Schühlers des Herrn Franz Chramers gegeben, welches wohl schwerlich mehr als eine Vorstellung erleben dürfte, wir haben heute die erste Probe davon gehabt, allein gestehen muß ich daß ich noch niemals mehr langweil bey einer Probe empfunden als heute, daß ist das elendste Machwerk was mir in meinem Leben vorgekommen ist, man sieht daß ihm bey Faberizierung eines jeden Stükes bald diese bald jene Idee eines andern Componisten vorgeschwebt und er es über den Leisten darauf zusammen zu schmieden gesucht, kurz diese Musik ist wirklich unter aller Kritik, also nichts weiter mehr daran, den[n] den Stempel seines gehalts drückt Winter dadurch auf, daß es er für ein sehr gelungenes Werk hält, die Oper heißt Die Verbanndten, es ist ein Russisches suyet und spielt glaube ich zur Zeit als Menzikow nach Sibirien verband wurde und ist von Herrn Lambrecht verfaßt, daß sind nun so ohngefehr die Hof-Theater-Neuigkeiten, am Theater des Isarthors sind einige Sachen gegeben worden welche ich wohl auf dem Hoftheater zu sehen gewünscht, zum Beyspiel Die Mitternacht Stunde von Danzi, Das Hirten Medchen von Birrei und noch einige andere. Lindpaintner ist noch immer sehr thätig und verdient Lob. – In Venedig werde ich mich für meine Person nur bis zuzm Monath Jäner aufhalten und dan einen kleinen Abstecher nach Florenz Mayland und dazwischen liegende Städte machen, um auch als Clarinettist etwas in Italien zu verdienen.      Poissel gedenkt diese Reise mit mir zu machen, und ich denke wenn ihr im Monath Decembre in Venedig eintrifft und 4 Wochen da gewesen seit, und das merkwürdigste daselbst gesehen habt, ihr es euch vieleicht auch gefallen laßt diese Reise mit zu machen, o! wenn Freundes Bitten etwas über Euern gapPlan vermag | so kommt doch ja, und zwar mit Anfangs December nach Venedig, – ich mögte zwar noch recht viel schreiben, allein eine innere Unruhe läßt mich nicht weiter schreiben fortfahren, Tausend Gedanken drengen sich in meinem Kopf zusamen und bringen doch nur eine Ide zum Vorschein, und diese ich, daß ich daß unendliche Vergnügen haben soll, Euch ihr lieben guten guten Menschen recht bald wieder zu sehn gap und dieser frohe Gedanke ist es der sich in meinem Kopfe herrum Drehet und nicht zugiebt daß ich einen ordentlichen Gedanken auffassen, also a conto dessen wirst du mir meine verworrenen Ideen schon verzeihen und damit Vorlieb nehmen, ich habe ja anfangs weiter gar nichts sagen wollen als kommt nach Venedig und alles bis auf die kleinste Kleinigkeit soll Euch berichtet werden, allein da kam ich im Zuge und so ist ein ganzer Bogen vollgeschmiert worden. –

So unangenehm der Reyschischen Familie der Irrtum des Königs gewesen seyn mag so muste er es sich doch gefallen lassen, weil sie nur Grafen waren, allein du hast vergessen daß ein Clarinettist andere Empfindungen hatt[e], der Graf konnte nur mit worten danken, ich werde es aber versuchen diese mir unschätzbarer Gnade mit Tönen auszudrüken, und so gleich nach abgang dieses briefes werde ich mich hinsetzen daß mir so lieblich Tönende Du in Musik zu setzen und so gelingt es mir vieleicht dich zu überzeugen wie froh es mich gemacht. Die Harlas läßt Euch beide viel schönes sagen, und bedauert nur noch nicht im Stande sich zu seyn Euch Ihre Freude über Euern Vorhabenden Plan, nicht schriftlich gap mittheilen zu können. Meine Kinder sind alle wohl, Kristian der mich soeben frägt warum ich, und an wehn einen so langen Brief schriebe erinnert sich deiner noch dadurch daß du ihm bey deinem letzten Hiersein etwas versprochen und nicht gehalten, du wirst es in Venedig schwer umgehen können, ihm etwas zu kaufen, wenn Du nicht alle Tage daran erinnert seyn wilst, er macht die Reise wieder mit uns,

jetzt lieber Bruder lebe wohl und behalte lieb deinen Dich von ganzen Herzen liebenden FreundHch Baermann

Deinem lieben Bruder Wolf wirst wohl du wohl auch diesen Brief zu lesen geben, denn der Hausknecht hat, sonderbar genug, für diesesmal auch keine andern Empfindungen als der so berühmte Clarinettenbläser welcher mit seinen Elendsledernen Lippen nichts anderes zu stammeln weiß als jene unvergeßlichen Worte des großen der größten Dichter. – Wolf! ach liebster Wolf. komme in die Arme deines – dich als treuen Bruder liebendenHaasknechts

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über Engagement der Harlas in Venedig und gibt seiner Freude Ausdruck, dort mit Meyerbeer (u. Poissl) zusammenzutreffen; berichtet über Webers Aufenthalt in München und den Münchener Spielplan

Incipit

Mit unendlicher Freude habe ich Deinen mir so lieben Brief

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: N. Mus. Nachl. 97, I/105

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • Rötelmarkierungen

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 285–288

Textkonstitution

  • OctobreSeptember“ durchgestrichen und ersetzt mit „Octobre
  • „Hochtzeit“sic!
  • „spielt“über der Zeile hinzugefügt
  • „ging“über der Zeile hinzugefügt
  • „gap“durchgestrichen
  • „euch“über der Zeile hinzugefügt
  • „gap“über der Zeile hinzugefügt
  • „schreiben“durchgestrichen
  • „ich“sic!
  • „zu“über der Zeile hinzugefügt
  • „gap“durchgestrichen
  • „sich“durchgestrichen
  • „gap“durchgestrichen
  • „wohl“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… München d. 9 ten Octobre“Korrektur vom Empfänger Meyerbeer.
  • „… Farce oder Oper comic schreibt“Poißls geplante Reise nach Italien kam offenbar nicht zustande, ebenso wenig die erhoffte Scrittura für das Teatro San Moisè. Zu entsprechenden Plänen vgl. auch Poißls Briefe an Gottfried von Geiger vom 3. Oktober 1815 sowie an Meyerbeer vom 10. Oktober 1815 in: Johann Nepomuk von Poißl. Briefe (1807–1855). Ein Blick auf die Münchener Musik- und Theatergeschichte, hg. von Volkmar von Pechstaedt, Göttingen 2006, S. 37f. (auch Meyerbeer-Briefe, Bd. 1, S. 289).
  • „… auch in Prag einstudiert wird“Eine Einstudierung in Prag gab es nicht, Weber studierte dort erst im Mai 1816 Poißls Athalia ein (Premiere 21. Mai 1816).

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