Übersicht der musikalischen Produktionen in Mannheim. Winterhalbjahr 1811–1812 (Teil 4/4)

Back

Show markers in text

Uebersicht der musikalischen Productionen in Mannheim. Winterhalbjahr 1811 – 12.

(Beschluss aus der 23ten No.)

IV.

Das Museum gab nur weniges Bedeutendere. Am bedeutendsten war die Aufführung von J. Haydns Jahreszeiten*, welche, mit Ausnahme des Jagdstücks, der Spinnstube und des Chors der Bauern*, ganz gegeben wurden – ein seit mehrern Jahren entbehrter Genuss. Ref. fand übrigens auch diesmal seine Meynung bestätigt, dass wol der grösste Theil dieses Werks tiefer steht, als die Schöpfung im Ganzen – dass aber mehrere einzelne grosse Stücke des erstern noch grösser sind, als selbst das Höchste im letztern. Welche Macht und Grösse z. B. im Sonnen-Aufgang: in dem: „dann bricht der grosse Morgen an“* mit der Schlussfuge – „uns leite deine Hand – des Himmels Pforten öffnen sich – dann singen wir – dann gehn wir ein“ – Wie unendlich gross und erhebend tritt, vorbereitet durch den Wechselgesang: „o wie lieblich,“* der Chor: Ewiger, mächtiger, gütiger Gott*, ein, und gleich darauf, nach dem Gebete: „Von deinem Segensmahle“* – die Fuge: „Ehre Lob und Preis sey dir“* – Ref. behauptet es nochmals: gar weniges ist in der Schöpfung, was mit dieser Grösse sich messen dürfte.

Eine willkommne Wiederholung war die des declamatorischen Stücks: Der erste Ton*, von Rochlitz, mit Musik von Carl Maria v. Weber. Ref. war der erste*, welcher dieses, vom Dichter und Componisten gleich schön gedachte und aufgefassete Werk öffentlich ankündigte, (allgem. mus. Zeitung 1810) und das Urtheil mehrerer andrer öffentl. Blätter* hat das seinige seitdem bestätigt. Unser vortrefflicher Schauspieler, Esslair, welcher die Partie der Declamation übernommen hatte, sprach das Gedicht mit unübertrefflicher Schönheit. Sein Vortrag athmete verschmolzen den doppelten Geist der Poesie und Musik, wie er beydes lebendig aufgefasst hatte, so dass man sagen konnte: jede Stelle, die er sprach, war schon eine Skizze der darauf folgenden Musik. Vorzüglich galt dieses von den Stellen: Wolken bauen den Himmel – Nun kommen die Stürme brausend daher gezogen – Und es ward der Mensch – Ich bin, bin glücklich, und bin es nicht allein*. Seine überaus schöne und mächtige Stimme that dabey die wohlthätigste Wirkung, und liess ihn bey manchen Stellen, wo es nöthig war, leicht über die Musik herrschen. Kurz, er schien ganz dazu gemacht, den Menschen die Schöpfung des ersten Tones zu verkünden. – Gleich schön sprach er an einem der folgenden Abende im Museum die beyden Gräber von Klopstock*, Chr. Schreibers Ballade*, und Alexander von Dusch’s Gedicht: der Leichnam aus der Eisengrube in Falun*.

Das Museum hat sich übrigens wieder das Verdienst erworben, die früher erwähnten Symphonien von Spohr und Beethoven zuerst hier gegeben zu haben.*

V.

Auch die Kirchenmusik an der obern catholischen Pfarrkirche erhält sich durch die Thätigkeit der hiesigen Dilettanten. Cherubini’s grosse dreystimmige Messe*, und eine von Maschek*, wurden neu gegeben. (Letztere, weniger öffentlich bekannt, als sie es verdiente, kann Ref. allen Kirchenmusik-Vorstehern als sehr gefällig und doch gründlich, als leicht ausführbar und doch sehr effectuirend, empfehlen. Sie ist bey Gombard in Augsburg verlegt.) – In der heiligen Woche hörten wir Haydn’s Salve Regina* – wol die anmuthigste, edelste und frömmste Kirchenmusik, die ich je hörte; Händels Alleluja*, die Grösse selbst, durch die höchste Einfachheit erreicht – und ein Te Deum*, welches ich, – aus Gründen – mit Stillschweigen übergehe.

VI.

Von fremden Concerten kann Ref. nur das, des Hrn. Metzger* aus München heraus heben. (Am 24. Jan.) Die Reputation dieses Flötenkünstlers (auch eines Kindes unsrer Stadt,) ist schon begründet; auch wir kannten schon sein Verdienst, und bewunderten auch diesmal vorzüglich die Präcision, Deutlichkeit und Ruhe, mit welcher er seine Passagen heraus bringt, seinen glänzenden Zungenstoss, und den dicken, vollen Ton. Dass ihm das Brillante mehr zusagt, als das Cantabile, ist eine schon oft gemachte Bemerkung*, aber auch eine wahre. –

So weit mein Bericht über das Verflossne. Im gegenwärtigen Augenblicke sehen wir reichen Genüssen entgegen. Mad. Schüler*, vom Kasseler Hoftheater, besucht hier ihre Familie. Man hofft, sie werde für unsre Bühne gewonnen werden. Die reiche und volle Stimme, die geschmackvolle und dabey höchst schulgerechte Methode dieser Künstlerin, machen die Erfüllung dieser Hoffnung um so wünschenswerther, da Dem. Frank* uns durch das Darmstädter Hoftheater entzogen wird. Dass Mad. Schüler jene Vorzüge, die wir aus frühern Zeiten kennen und schätzen, noch fortwährend besitze, hat sie in der letzten musikal. Aufführung im Museum* bewiesen, wo sie, beehrt durch die Anwesenheit der Frau Grossherzogin kaiserl. Hoheit, mehreres vortrug, welches ich jedoch, als nicht mehr ins Wintersemester gehörend, hier nicht ausführlich berühre.

Ja, auch Brizzi ist hier, und wird – man hofft nicht blos Concert, sondern auch den Achilles* geben.

Editorial

Creation

Tradition

  • Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 14, Nr. 24 (10. Juni 1812), col. 393–396

    Commentary

      XML

      If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.