Carl Maria von Weber an die Familie Türcke in Berlin
Gotha, Sonntag, 29. und Montag, 30. November 1812

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S: Wohlgeboren

Herrn JustizComissarius

Türke

zu

Berlin.

SchinkenPlaz.

Meine liebe Freundin!

Sie haben wohl eigentlich Ursache recht böse auf mich zu seyn daß ich Ihren lieben Brief vom 16t 8ber mit der Beylage vom guten Kinde so lange unbeantwortet gelaßen habe; aber ich konnte wahrhaftig nicht eher mit Muße dazu kommen. Heute habe ich denn so etwas die aller dringendsten Geschäfte abgeschüttelt – da führt der Teufel eben einen Bedienten vom Prinzen her der mich abruft, Morgen mehr adieu.

d: 30t  Sehen Sie so geht es, wenn ich manchmal glaube nun hätte ich die schönste Zeit für mich, so komt so ein Querstrich und bringt mich um einen Posttag. ich will denn nun da wieder anfangen wo ich es gestern gelaßen habe, stellen Sie sich vor, als hätte ich gestern den ganzen Tag damit zugebracht Ihnen alle die Arbeiten und Abhaltungen herzurechnen die ich bis jezt gehabt habe, und dann ist es eben so gut als wenn ich sie Ihnen alle geschrieben hätte. Wie können Sie sagen daß Sie meine Geduld nicht auf eine so harte Probe mit so langen Briefen stellen wollen? o scheniren Sie sich gar nicht, ich laße meine Geduld recht gerne so probiren, sie kann einen Puff aushalten, und es ist Ihnen auch nicht Ernst mit der Redensart; Sie wißen wohl wie froh jedes Zeichen der Errinnerung von meinen Freunden mich macht.

Ihren Doktors Rath alle Tage ein Stündchen spazieren zu gehn, habe ich ganze 3 Tage aufs strengste befolgt, seit 4 Wochen aber weder Zeit noch Lust dazu gehabt. auf der Reise bringe ich alles wieder ein, die Motion auf einer sächsischen Chausseé von einem halben Tag, kann billigerweise immer für ein 1/2 Jahr Motion zu Fuße gelten.

Die Musik* und Bärmanns Portrait*, sind von Ihren schönen Händen aufs beste versorgt, angelangt. ich finde es nicht sehr ähnlich, es macht mir aber doch Freude. ich habe Hoffnung ihn in Prag zu sehen*.

Die Möser und Rellstabschen Geschichten* sind vortrefflich und haben mich sehr ergözt. daß Möser so ein Seehund wäre, hätte ich doch nicht gedacht. die Silvana ruht in Gott*, Gott verleihe ihr eine fröhliche Urständ. der Abu Haßan soll aber auf dem Tapet seyn, ist vielleicht schon gegeben*. Man behauptete hier mit Gewißheit daß Iffland in Carlsruhe engagirt sey mit 6000 Gulden*. Gern’s die Vorgestern hier durchreisten behaupteten aber das Gegentheil. das hätte eine schöne Revolution gegeben bey dem Berliner Theater-Wesen, ich möchte wohl wißen wer Director geworden wäre.

– So eben erhalte ich einen Brief von unsrer guten Koch. Was???!!! Solch gottloses Zeug laßen Sie mir | sagen? Hätte ich das gewust, ich hätte mich nicht so deh- und -wehmüthig zu Anfang meines Briefes entschuldigt. Sie wollen sich alle Mühe geben mich zu vergeßen? O das wird Ihnen nicht schwer werden, und ich will mich nicht einmal herablaßen daßelbe zu thun, nein, ich will Sie nicht vergeßen Ihnen zu Troz und Poßen. – die Wuth benimmt mir ganz die Sprache, und meine Feder ist ganz blaß geworden vor Aerger. Ihr bösen Menschen, seyd ihr so wenig Großmüthig von einem armen Entfernten der alle Hände voll zu thun hat, so ganz präzise Antworten zu verlangen? könntet ihr nicht edelmüthig genug seyn, zu seiner Erquikung ihm manchmal eher zu schreiben als gerade wieder eine Antwort pflichtschuldigst eingelaufen ist, muß es denn so gehen wie beym Chaussee Zoll, wo kein neuer Zettel abgeliefert wird, bis nicht der alte abgegeben ist? Zur Strafe sollt ihr nun gar nicht erfahren wie es mir in Weimar gegangen ist*, ich will euch nicht erzählen daß ich habe Wielanden aus dem Fenster gukken sehen, und Göthén, habe Husten hören, daß Stephan Schüzze den ich einmal habe über die Straße gehen sehen, mein bester Freund ist, daß ich große Langeweile da gehabt habe, und einen brillanten Ring bekommen habeT – – eher ließ ich mich todtschlagen ehe ich euch das alles erzählte. – ich glaube wahrhaftig ich bin recht böse, wild und rabbiat, und wenn nicht bald ein Billet von 10 Bogen kömt, so werde ich nicht wieder gut. – Es geht mir hier beynah wie in Berlin, ich komme nicht vom Flekk. bald handelt der Herzog, bald der Prinz eine Woche längeren Aufenthaltes von mir ein. aber nun habe ich den lezten Termin bis den 18t oder 20t December gesezt, dann geht es über Weimar, Leipzig, nach Prag, wo man mich schon lange erwartet und Quartier pp alles parat steht, alle übrige Feyerlichkeiten habe ich bey meinem Einzuge verbeten.

– ich finde es sehr ungalant von meinen Berliner Liebhaberinnen daß keine einzige zu Grunde gehen will. Es ist eben jezt überhaupt in meinem Ruhm eine Windstille eingetreten, und so eine Geschichte, etwas verziert in ein paar Zeitschriften erzählt, könnte mich schnell wieder in der Leute Mäuler bringen. da dazu aber kein Anschein vorhanden ist, so habe ich mich jezt über die Sappho hergemacht, und ermorde die nach und nachT. damit Sie aber keine irrige Gedanken | von mir bekommen, muß ich Ihnen schnell sagen, daß dieß kein Kammermädchen und kein Hoffräulein von Gotha ist, sondern eine ausländische Person, eine alte Bekannte von mir, die der Gubiz dreßirt hat, und der ich jezt ein Kleid mache.

Das gute Kind, benamset Schnipps der Un, Ges Gerechte, nimmt’s ja wohl nicht übel daß ich ihm auf sein freundlich Briefchen nicht ein extra blatt weihe.      So bald etwas von mir heraus ist schreibe ich es Ihnen, mein gutes Weselchen. gehn die Variat: auf Vien qua Dorina, schon? es ist recht brav daß Sie auch dazu singerln müßen. Toll ist wohl ganz angegriffen von den Versen die er zu des Vaters Geburtstag gemacht hat. hätte ich doch dabey sein können, mein innigster Glükwunsch kömt zwar spät hinten drein, aber gewiß von Herzen.

H: v: Kälbermeppe* meinen gehorsamsten Respekt und gute Beßerung. Ich hoffe liebe Türke Sie werden nicht gleiches mit gleichem vergelten, und mir recht bald wieder schreiben, damit ich Ihren Brief noch erhalte, glauben Sie sicher, daß wenn ich nicht immer gleich antworte, gewiß die dringendsten Arbeiten mich abhalten. Grüßen Sie mir bestens Schwarzens, Marianne, Toll, die Mutter, kurz, alle Welt, sogar den dikken Namens Vetter wenn Sie ihn sehen, und schreiben Sie bald und viel Ihrem Sie gewiß nicht vergeßenden treuen Freund Weber.

Editorial

Summary

teilt mit, dass er Musik und Baermanns Portrait erhalten habe; Reisepläne; arbeite an der Sappho von Gubitz

Incipit

Sie haben wohl eigentlich Ursache recht böse auf mich zu sein

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Lörrach (D), Dreiländermuseum (D-LÖRdm)
    Shelf mark: Br. 55

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • PSt: R.3.GOTHA.
    • auf der Adressenseite Echtheitstestat von fremder Hand (Tinte): “Handschrift Carl Maria | von Weber’s. | Als Geschenk erhalten von | der Fr. pp Türke in Berlin.”

    Provenance

    • Henrici Kat. 129 (23. Febr. 1928, Heyer IV), Nr. 386
    • Henrici Kat. 3 (17. Sept. 1910), Nr. 472 (unter dem 30. Nov.)
    • lt. Beistiftvermerk von F. W. Jähns in Weberiana Cl. II B, S. 635 (Abschrift von Ida Jähns, hier “No 2.a.”, Sept.1864): “Dieser Brief ist im Besitz von Prof. G. W. Teschner hier”

    Corresponding sources

    • Hirschberg77, S. 48–50
    • Kinsky, Georg: "Zwei Briefe C.M.v.Webers an Berliner Freundinnen. Nach den Urschriften im Musikhistorischen Museum von W. Heyer in Köln", in: Allgemeine Deutsche Musik-Zeitung, Jg. 53, Nr. 23 (4. Juni 1926), S. 506
    • Worbs 1982, S. 46–49 (unter 29. Okt.)

Text Constitution

  • s“S” overwritten with “s
  • sehen“hören” overwritten with “sehen
  • “Un,”crossed out
  • “Ges”crossed out
  • “die”added above
  • S“s” overwritten with “S

Commentary

  • “… Die Musik”Laut Tagebuch die Erstdrucke von Webers Liedern op. 23 und dem Silvana-Klavierauszug.
  • “… Die Musik und Bärmanns Portrait”Vermutlich eine Zeichnung oder Miniatur von Heinrich Baermann, entstanden während seines Berlin-Besuchs 1812. Die Erwähnung von Carl Baermann im Tagebuch beim Empfang des Türcke-Briefes bezieht sich wohl nicht auf das erwähnte Porträt, sondern auf einen weiteren Brief von C. Baermann.
  • “… ihn in Prag zu sehen”Eine Begegnung in Prag (wohl auf einer geplanten Konzertreise) kam nicht zustande.
  • “… Die Möser und Rellstabschen Geschichten”Im Brief vom selben Tag an F. F. Flemming spricht Weber von einem „Ständchen“ für Rellstab.
  • “… die Silvana ruht in Gott”Nach der dritten Vorstellung am 20. Juli 1812 kam die Silvana in Berlin erst wieder am 17. Dezember d. J. auf den Spielplan.
  • “… seyn, ist vielleicht schon gegeben”Ihre Berliner Erstaufführung erlebte die Oper erst am 28. Juli 1813.
  • “… engagirt sey mit 6000 Gulden”Ifflands letzte größere Gastspielreise führte ihn 1812 neben Karlsruhe (dortige Auftritte beendet aufgrund der Trauer um den am 16. Oktober verstorbenen Erbprinzen von Baden) auch nach Mannheim (22. Oktober bis 8. November), Darmstadt (10. bis 13. November sowie 29. November bis 4. Dezember), Frankfurt/Main (7. bis 14. Dezember) und Weimar (20. bis 30. Dezember); vgl. Oscar Fambach, Das Repertorium des Hof- und Nationaltheaters in Mannheim 1804–1832, Bonn 1980, S. 496, Taschenbuch für die Freunde des hiesigen Hoftheaters, hg. von A. Moll, Darmstadt 1813, S. 29f., Anton Bing, Rückblicke auf die Geschichte des Frankfurter Stadttheaters von dessen Selbständigkeit (1792) bis zur Gegenwart, Bd. 1, Frankfurt/Main 1892, S. 95f. sowie Ernst Pasqué, Goethe’s Theaterleitung in Weimar, Leipzig 1863, Bd. 2, S. 329. Er kehrte nach Berlin zurück, wo er am 6. Januar 1813 wieder auf der Bühne stand; vgl. Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Jg. 1813, Nr. 4 (9. Januar). Der Bericht über Ifflands Gastauftritte in Karlsruhe im Journal des Luxus und der Moden, Jg. 27, Nr. 12 (Dezember 1812), S. 795–799 enthält keinerlei Gerüchte über ein Engagementsangebot.
  • “… mir in Weimar gegangen ist”Weber hielt sich vom 26. Oktober bis 6. November 1812 in Weimar auf; vgl. die Tagebucheinträge.
  • “… H: v: Kälbermeppe”Offenbar ein Spitzname, vgl. auch die Briefe vom 13. September und 2. Oktober 1812. Die Person(?) konnte bislang nicht ermittelt werden.

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