Carl Maria von Weber an Familie Türcke in Berlin
Gotha, Freitag, 2. Oktober 1812
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- 1812-12-15: from Türcke
Millionen Dank für die lieben Briefe. das nenne ich noch schreiben, da habe ich Respekt davor, und muß willig die Segel streichen. Was mich die Schilderung[en] der Thierhezze amüsirt haben, und wie ich mich nach Berlin versezt fühlte, könnt ihr gar nicht genug glauben. Es nehme es nur ja keines übel, daß ich ihm nicht ein Extrablatt schreibe, aber es fehlt mir wahrhaftig an Zeit und Stoff dazu, wenn ich denn nicht immer davon schwazzen will wie oft ich an euch denke, und wie lieb mir jede Errinnerung ist, die auf meinen Berliner Aufenthalt Bezug hat. Meine Finger sind schon ganz krum und lahm vom vielen Schreiben, ich mag nicht gerne Eure Briefe unbeantwortet laßen, und dieß ist erst der 11t Brief den ich heute schreibe*.
Mein lieber Türk Sie glauben mich also in der brillantesten Laune weil ich solch Zeug wie das Bulletin schmieren kann? das‡ ist kein ganz richtiger Schluß. W‡enn ich so hier am Schreibtische klebe‡, und meine 4 Wände um mich her vergeße, wenn ich zugleich berechne daß eine fröhliche Nachricht von mir, auch wieder manche gute AsiatenSeele* lachen macht, dann begeistert mich das‡ quasi, und ich laße der tollsten Laune den Zügel schießen. Uebrigens soll ich gar nicht so aimable sein. Wenn ich Ihnen meinen Tageslauf erzähle werden Sie das Ziemlich natürlich finden. um 6 Uhr stehe ich schon auf, und sizze von 7 bis 1 Uhr unabgesezt am Schreibtische oder Klavier, dann gehe ich zur Abfütterung, die sehr schmahl ausfällt, weil ich seit 14 Tagen gar keinen Appetitt fühle, und durch Aushungern wieder Hunger zu aquiriren gedenke. dann laße [ich] Caroline Schlik KlavierspielenT bis gegen 4 Uhr, worauf ich wieder in meine Zelle krieche und bis 9 Uhr arbeite, nach dem Eßen um 10 Uhr lese ich noch im Bette bis 12 Uhr, und schlafe dann was das Zeug hält. Kleine Abwechslungen komen darinn vor, daß ich manchen Abend bey dem Herzog mit spielen und lesen zubringe. in Gesellschaften bringt man mich nicht, denn ich will mich mit Teufels Gewalt nicht amusiren.
Das ist eine herrliche Ges[ch]ichte mit Sibonis Concert*. Übrigens wollte ich, ich hätte für jedes Concert wo das Orchester wider spielt 1000 rh: und wollte bald reich sein. die gute ole Schmalzen, hott mir sehr erjözt*. und Ambrosch’s Replik ist sehr gut.
bey dem StierGefecht zwischen Schik pp hätte [ich] unsichtbar zusehen mögen, es muß ein herzerhebender Anblik gewesen sein. Sollte einer auf dem Plazze bleiben, so will ich von Herzen gern erscheinen; aber diese Hoffnung steht nicht auf so festen Beinen, als der, der sie erregte. |
Ach! Sie sind gar zu gütig, liebe Türkin, daß S‡ie mich für bescheiden halten. ich wüste nicht wie ich dazu käme, und dafür bezahlt mich kein Mensch. Ich finde es ganz in der Ordnung daß wenigstens die halbe DamenWelt in Berlin wegen meiner Abreise zu Grunde geht. und hoffe zu Gott daß S‡ie mir im nächsten Briefe anzeigen werden, die Gretel hat sich ersäuft, die Urschel ist erstikt, die Katharina hat sich erwürgt, die Barbara ist vor Liebe zerschmolzen, und die Olympia hat meinen gedrukten Namen auf dikkem Notenpapier verschlukt, so daß er ihr im Halse stekken geblieben, der Brand dazu gekommen und man — um Sie zu retten ihr den Kopf hat abnehmen müßen. pp pp ppp. das wäre denn doch noch der Mühe werth, und neu. der Tolle giebt dann diese LeidensGeschichten in einer Kleinigkeit von 60 Bänden heraus, die er bey seinem bekannten Arbeits Eifer in 4 Wochen zusammenschreibt, und so ist mein Ruhm auf dem gehörigen Punkte. Sollten übrigens wenn Sie diesen Brief erhalten noch einige am Leben sein, so grüßen Sie sie bestens alle von mir.
O! ödelster Schnipps welche Gerechtigkeit leuchtet aus deinen Zügen!!! Wahrlich es hat mir rechte Freude gemacht, daß Sie mir geschrieben, und es wird mich noch mehr freuen wenn dieser Brief nicht der lezte ist. auch vernehme ich mit großer Zufriedenheit den Ruf ihres wachsenden Fettes, wovon Mamma doch immer noch genug behält, wenn Sie auch dem Töchterlein ein bischen abgiebt.
Zugleich habe ich die Ehre Ihnen zwey Solenne Grüße an die gute Mutter Krause* und die gute Marianne aufzutragen; frägt übrigens künftig jemand ob ich ihn habe grüßen laßen, so sagen Sie nur immer dreiste ja, denn ich denke an alle, und vielleicht laße ich mir ein Register drukken und lege es jedesmal bey. Aber /: unter uns gesagt :/ von wem ich es sehr unartig finde, und ganz gegen die an ihm gewohnte LebensArt, mich gar nicht zu grüßen oder zu schreiben, das ist von H: v: Kälbermeppe*. sagen Sie es ihm aber nicht, es könnte sein zartes Gemüth kränken, und ich trage lieber im Stillen die Kränkung.
Nun adieu alle Ihr
Lieben, und schreibt bald
bald wieder,
an Euren ewig unveränderlichen
Freund Weber.
Gotha d: 2t 8ber 1812.
Beyliegende Briefe bitte ich zu besorgen. und nehmts nicht übel! adieu!
Noch eine Bitte.
nebst Grüßen an Gröbenschüz bitt ich sagen zu laßen, daß das Opus
auf meinen Liedern Op:
25 heißen müße.
Editorial
Summary
berichtet über seine Tätigkeit in Gotha; nimmt Bezug auf verschiedene Berliner Neuigkeiten
Incipit
“Millionen Dank für die lieben Briefe. das nenne ich noch schreiben”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“s”“ß” overwritten with “s”
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“W”“w” overwritten with “W”
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“… so hier am Schreibtische klebe”ursprünglich „lebe“ geschrieben, Anfang durch überschreiben mit „k“ verändert
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“s”“ß” overwritten with “s”
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“S”“s” overwritten with “S”
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“S”“s” overwritten with “S”
Commentary
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“… an die gute Mutter Krause”Vermutlich die Mutter von Friederike Türcke.
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“… ist von H: v: Kälbermeppe”Offenbar ein Spitzname, vgl. auch die Briefe vom 13. September und 29./30. November 1812. Die Person(?) konnte bislang nicht ermittelt werden.