Carl Maria von Weber an Friedrich Ferdinand Flemming in Berlin
Gotha, Montag, 30. November 1812

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S: Wohlgebohren

Herrn Dr: Flemming

berühmten AugenArzt

zu

Berlin.

Dönhofschen

Plazze.

gegen Postschein.

Gute alte Treue Seele!

Nein! Herr Bruder, kannst mir immer noch eine Visite in Gotha machen denn vor dem 18t oder 20t December breche ich schwerlich auf.      Ich kann nicht los komen. d: 19t huj: kam der Prinz Friedrich von seiner Reise zurük*, und der will mich denn nun auch noch etwas genießen. d: 23t war des Herzogs Geburtstag, da hatte ich einige Lieder von seiner composition für BlasInstrumente arrangirt, und auch seinem früher geäußerten Wunsche gemäß, ein Lied, Mayenblümlein zum Walzer, derangirt. lauter Zeit freßende Arbeiten, die doch eigentlich Nichts sind. d: 28t war der Geburtstag des Prinzen, und ihm zu Ehren Großes Concert bey Hofe* wo dein Sklave dreschen muste. ich war seit langer Zeit nicht so gut disponirt wie diesen Abend, ich spielte adagio und Rondo von meinem neuen Clavier Concert. und dann gab mir die Herzogin das Menuett aus Don Juan zur Phantasie und Variationen, der Herzog ein bayrisches Nationallied*. beyder Thema’s führte ich aus, und war zulezt so frey, sie mit einander zu verbinden. ich hatte die Freude allgemein Enthusiasmus erregt zu sehen.      aber auch zu meinem Unglük, denn nun versammelte sich erst der ganze Hof und das Clavier, und ich armer schon fatiguirter Mensch muste noch eine gute Portion Lieder krächzen.      componirt habe ich unter anderen rühmlichen Sachen auch 6 Walzer, die als 3tes Heft der Favorit Walzer der Kayserin von Frankreich bey Kühnel erscheinen. das dieß ein Geheimniß ist versteht sich von selbst. ich that’s Kühnel zu gefallen. Meine Hymne, In seiner Ordnung schafft der Herr ist Gott sey Dank, vollendet, es ist ein kleines Fugerl drinn, die mir einige Schweißtropfen kostete. Den Neujahrstag soll sie in Leipzig gegeben werden, und dazu möchte ich gerne dort eintreffen.      Nun vollende ich mein Concert, und dann gehts an die SapphoT, dieß zur Nachricht an Prof: Gubiz, den ich herzlich grüße. von meinen Leipziger Sachen weiß ich kein Wort. hoffentlich sind sie bald fertig. —      So eben werde ich zum Prinzen gerufen, ich kann also nur noch wenig schreiben. in Weimar blieb ich bis d: 7t* und bekam einen schönen brillanten Ring zum PräsentT. muste auch versprechen wieder hin zu kommen. Mit Göthe bin ich etwas näher gerükt als sonst*, aber mit Papa Wieland stehe wirklich auf einem herrlichen Fuße, der alte Herr erzeigt mir unendlich viele Liebe*. — dem Rellstab gönne ich das Ständchen ganz. Ihr guten Seelen habt also an der Liedertafel meiner gedacht?* 1000 Dank dafür. längst habe ich euch wieder ein Lied zugedacht[.] | Es fehlt mir aber nur an einer Kleinigkeit am Text.

Gott segne deine Studia. die gewiß nicht frustra gegeben werden*. auch halte der Himmel seine schüzende Hand über Abu Hassan*.

adio senza adio ich muß schließen. Ewig dein treuster Bruder
Weber
 

Editorial

Summary

berichtet über musikalische Aktivitäten zum Geburtstag des Herzogs; teilt mit, dass er sechs Walzer für Kühnel komponiert habe und dass die Hymne fertig sei; über den Aufenthalt in Weimar

Incipit

Nein! Herr Bruder, kannst mir immer noch eine Visite in Gotha

Responsibilities

Übertragung
Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. II A d, 4

    Physical Description

    • 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr. u. Umschlag)
    • PSt: R 3. GOTHA

    Corresponding sources

    • Hirschberg, Leopold: Carl Maria von Weber an den Komponisten des ’Integer vitae’, in: Westermanns Monatshefte Nr. 838 (1926), S. 365–366 (unter dem 30. Sept.)

    Commentary

    • “… Friedrich von seiner Reise zurük”Zur Reise nach Karlsbad, Spa und München vgl. den Kommentar zum Brief an J. Gänsbacher vom 25. November 1812.
    • “… Ehren Großes Concert bey Hofe”Zum Programm vgl. auch die Tagebuchnotizen.
    • “… der Herzog ein bayrisches Nationallied”Laut Tagebuch wählte der Herzog das Scherenschleiferlied, das allerdings aus dem Elsass stammt. Gemeint ist wohl das von Weber als drittes Thema verarbeitete Wetzstein-Lied „Mir ham dahoam an oit’n Wetzstoa“.
    • undrecte “um”.
    • “… ich bis d: 7 t”Zum Weimar-Aufenthalt vgl. die Tagebucheinträge vom 26. Oktober bis 6. (nicht 7.) November 1812.
    • “… etwas näher gerükt als sonst”Goethe notierte in seinem Tagebuch am 27. Oktober 1812 eine Begegnung mit „Hℓ Capellmeister v Weber“ (ohne nähere Angaben); vgl. Johann Wolfgang Goethe, Tagebücher, Bd. 4,1 (1809–1812), hg. von Edith Zehm, Sebastian Mangold und Ariane Ludwig, Stuttgart und Weimar 2008, S. 405. Weber hielt die Begegnung in seinem Tagebuch nicht fest.
    • “… erzeigt mir unendlich viele Liebe”Zur Begegnung mit Wieland am 1. November 1812 vgl. die Tagebuchnotiz.
    • “… an der Liedertafel meiner gedacht?”Da Weber die entsprechende Nachricht von Flemming am 29. November erhielt, dürfte es sich um das Treffen der Liedertafel am 17. November 1812 gehandelt haben, bei dem laut Protokoll zum Abschluss Webers Turnierbankett erklang; vgl. Chronik 1812 .
    • “… gewiß nicht frustra gegeben werden”Könnte sich auf die Tätigkeit Flemmings als Privat-Dozent an der Berliner Universität beziehen.
    • “… schüzende Hand über Abu Hassan”Bezogen auf die geplante Berliner Erstaufführung (28. Juli 1813).

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