Zur Dresdner Hoftheater-Chronik aus der Abend-Zeitung von 1817 bis 1824
Eine wesentliche Quelle zum Dresdner Hoftheater während Webers dortiger Anstellung als Hofkapellmeister stellt die Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden dar, deren erste Ausgabe mit einem Bericht über die Eröffnungsvorstellung vom 24. Oktober 1816 in Nr. 1 der Abend-Zeitung vom 1. Januar 1817 erschien; die gerade aus Leipzig zurückgekehrte Theatertruppe von Franz Seconda spielte seit diesem Tag dauerhaft in Dresden. Im Vorspann dieses ersten Berichts erklärten die Zeitungs-Redakteure K. T. Winkler und F. Kind, dass sich diese Kolumne „fortdauernd sowohl mit den Leistungen des hiesigen Theaters beschäftigen, als überhaupt alles, was dahin gehört, in kurzen Umrissen darstellen soll.“ An ihre Erklärung, dass „sie sich selbst aller Mitwirkung dabei in der Regel vollkommen enthalten werden, und daher sachkundigen Freunden die Fertigung dieser Aufsätze und Mittheilungen übertragen haben“, hielt sich allerdings nur Kind, der tatsächlich nur sehr wenige Berichte beisteuerte, während Winkler bis 1824 zu den Haupt-Beiträgern der Chronik gehörte, war er doch als Hoftheater-Sekretär quasi ein Garant für deren Verlässlichkeit, zumal er auch in dem ebenso von ihm herausgegebenen Tagebuch der deutschen Bühnen den Dresdner Spielplan im Überblick publizierte (dort freilich weitgehend ohne Wertungen). Neben Winkler lieferten bis 1822 vorrangig Mitglieder des LiederkreisesT Beurteilungen, allen voran C. A. Böttiger sowie anfangs Therese aus dem Winckel, die ihre Mitarbeit allerdings nach einer Replik Webers auf ihre Besprechung der von ihm dirigierten Vestalin (14. Januar 1818) gekränkt mit einem Abschiedsgruß beendete. Meist sind die Autoren namentlich genannt oder durch ein Kürzel oder ein Pseudonym entschlüsselbar; oftmals wechseln innerhalb einer Zeitungsnummer die Autoren – die Vielstimmigkeit der Rubrik war quasi Programm und sollte wohl auch eine gewisse Unparteilichkeit suggerieren, auch wenn der Liederkreis hier (wie in der gesamten Abend-Zeitung) das Zepter fest in der Hand behielt.
Die Besonderheit der Chronik liegt in der weitgehenden Vollständigkeit der Nachweise aller Aufführungen (das war zumindest der Anspruch der Redakteure). Neben dieser puren Statistik, die das genannte Tagebuch der deutschen Bühnen sowie die einzelnen Jahrgänge des Tage-Buchs des Königl. Sächs. Hoftheaters (bis 1835 hg. vom Theaterdiener Carl August Kornmann) ebenso bieten, sind in der Chronik zusätzlich hervorhebenswerte Aufführungen ausführlicher thematisiert, wobei die Berichte zwischen kurzen Statements in wenigen Sätzen und umfangreicheren Fortsetzungsserien über mehrere Zeitungsnummern variieren. Dieses Profil behielt die Kolumne bis Herbst 1824 bei, dann beendete Winkler mit einer Erklärung in der Ausgabe vom 1. November 1824 seine Mitarbeit. Dieser Rückzug aus der Verantwortlichkeit für die Bühnenchronik steht direkt mit dem Wechsel in der Dresdner Intendanz in Zusammenhang: Im September hatte W. A. A. von Lüttichau die Leitung der Dresdner Hoftheater übernommen. Unter ihm schwand Winklers Einfluss als Theater-Sekretär auf die administrativen Abläufe, denn Lüttichau förderte vor allem Ludwig Tieck, dessen Anstellung am Hoftheater er bereits im November betrieb (vgl. seine Eingabe an den sächsischen König vom 25. November 1824; Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 15148/05, Bl. 1). Bereits im Januar 1825 wurde Tieck die literarische Beratung der Bühnenleitung bezüglich des deutschen Hoftheater-Departements exklusive ökonomischer Belange zugewiesen. Tieck erhielt zwar keine Weisungsbefugnisse, aber angesichts der ihm zugewiesenen Besetzungsvorschläge (inkl. der Begutachtung und Verhandlungsführung bei Neuanstellungen von Schauspielern und der Ausbildung junger Schauspieler), einem Mitspracherecht bezüglich Umarbeitungen und Übersetzungen und schließlich mittels der ihm aufgetragenen Überwachung von Lese- und szenischen Proben (inkl. der letzten Hauptproben) sowie der Richtigkeit von Dekorationen, Kostümen und Requisiten standen ihm umfangreiche künstlerische Einflussmöglichkeiten zu Gebote, ebenso durch seine verpflichtende Teilnahme an der Regisseurs-Versammlung (vgl. ebd., Bl. 8: Instruktionen vom 8. Januar 1825). Tieck hatte schon seit Beginn des Jahres 1823, obwohl kein Liedertafel-Mitglied und zu diesem Verein in spürbarer Distanz, zahlreiche Theaterberichte für die Abend-Zeitung geliefert, nun sollte die Kolumne aber vollends ihren Charakter als möglichst vollständige Bühnenchronik zugunsten einer stärkeren Auswahl einbüßen. De facto kam die lokale Theaterberichterstattung in der Abend-Zeitung, von Ausnahmen abgesehen, damit zum erliegen.
Schon zu Beginn der Materialsammlung der Weber-Gesamtausgabe nach 1990 wurde die Auswertung der Dresdner Theaterberichte in der Abend-Zeitung eifrig betrieben (anfangs noch als reine Textdateien auf den PCs der Mitarbeiter). Da diese Berichte substantiell für die Kommentierung von Webers Briefen und Tagebuch-Notizen und für die Edition von Webers Bühnenwerken innerhalb der Gesamtausgabe sind, wurden die anfänglich erstellten Auszüge dank der Mitarbeit vieler studentischer Hilfskräfte nach und nach ergänzt und innerhalb der Digitalen Edition unter den Schriften dokumentiert. Schien anfangs noch eine Volltextwiedergabe wünschenswert, so ermöglichen in jüngerer Zeit etliche im Netz verfügbare Faksimile-Wiedergaben einen unkomplizierten Zugriff auf die Texte. Die Integration der Faksimile-Ansichten in unsere Schriften-Dokumentation hat daher für die letzten Jahrgänge zu einer Kompromisslösung geführt: Nur noch besonders wichtige Texte sind vollständig oder in umfangreicheren Auszügen übertragen und kommentiert; bei vielen anderen erfolgte lediglich eine inhaltliche Auswertung im Apparat, soweit sie für die Belange der Weber-Gesamtausgabe von Wichtigkeit ist. Wer zu diesen Texten mehr wissen will, kann sie über die Faksimile-Ansicht unmittelbar einsehen. Dank der Unterstützung von Aida Amiryan-Stein sind nun auch die letzten Dresdner Theaterberichte der Abend-Zeitung bis 1824 innerhalb unserer Digitalen Edition angelegt, die Erschließung der Chronik von 1817 bis 1824 kann somit als weitgehend abgeschlossen gelten. Dass im Zuge dieser Arbeiten auch zahlreiche neue Werk- und Personenansetzungen erstellt wurden, versteht sich von selbst. Vielleicht findet sich zukünftig ja auch noch Gelegenheit zur Ergänzung weiterer Volltexte, aber für die Kommentierung der Briefe und Tagebücher Webers kann der jetzt erreichte Bearbeitungsstand als ausreichend betrachtet werden.