Carl von Weber an Wilhelm Jahn in Wien (mit Stellungnahme von Johann Nepomuk Fuchs)
Pallanza (Oberitalien), Dienstag, 13. November 1888

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Hochgeehrter Herr!

Seit einiger Zeit an dem überschriebenen Orte behufs Winter-Aufenthaltes wohnhaft erfahre ich daß die Wiener Oper schon in diesem Monate die „drei Pintos“ zur Aufführung zu bringen beabsichtigt*. Bei der künstlerischen Höhe dieses Institutes und seiner Leitung würde es wohl an sich eine Vermessenheit sein, wenn ich irgendwelche Wünsche für die Aufführung äußern wollte, und wenn ich dieß daher dennoch thue, wage ich es nur im Interesse des Werkes, das mir | erklärlicherweise doch so sehr am Herzen liegt. In München, wo das Werk bei seinen ersten Aufführungen* es zu keinem durchschlagenden Erfolge zu bringen vermochte, glaubte man die Ursache hiefür darin suchen zu müssen, daß der zweite Act desselben eine beträchtliche Verlangsamung des dramatischen Vorgangs aufweist und daher gegen den so munteren ersten, „abfalle“. Diesem Überstande glaubte man in seiner Wirkung dadurch begegnen zu können, daß man ihn, der durchaus Webers Entwurf ist, an die von Weber ihm zuerst angewiesene Stelle, nämlich an den Anfang der Oper zurückversetzte. Ich will nun weder untersuchen, ob die Stellung welche der zweite | Act in meiner Bearbeitung einnimmt die Ursache für den geringen Erfolg der Pintos in München gewesen, obgleich dies nach meiner eigenen Überzeugung an Ort und Stelle nicht der Fall ist, ‒ noch weiß ich ob durch die Umstellung der „Übelstand“ beseitigt worden ist, ‒ ich kann dem nur gegenüberstellen, daß an denjenigen Bühnen wo die drei Pintos den ungetheilten und dauerndsten Erfolg gehabt haben: in Leipzig, Dresden und Prag* sie denselben in der Form gewonnen, die ich für nothwendig befunden habe. Ich bin so unbescheiden meine Gründe hier nachfolgen zu lassen, in der Hoffnung, daß wenn Ew. Hochwohlgeboren die Absicht haben sollten dem Münchener Beispiele | zu folgen, ‒ wie dieß einige Bühnen beabsichtigen sollen ‒ Sie diese Gründe gütigst in Erwägung ziehen möchten. Die kleine Handlung der Oper, die sich mangels musikalischen Materials nicht reichhaltiger ausgestalten ließ, schreitet nur im ersten und letzten Acte mit einiger Lebhaftigkeit vorwärts, demzufolge enthalten diese beiden Theile fast durchaus nur lebhafte heitere Musik, welche den Character des ganzen Werkes als „komische Oper“ bestimmen. Demzufolge halte ich es für unerläßlich, daß sofort mit Beginn derselben der Hörer in die Stimmung der „komischen Oper“ versetzt werde. Dieß wäre seiten[s] meines Großvaters zweifellos durch die beab|sichtigte Ouvertüre geschehen, und dieser hätte dann die Scene welche jetzt den zweiten Act bildet folgen können ohne daß die Stimmung wieder gefallen wäre, besonders da sie ohne die Ariette der Laura (No   )* gedacht war, nur Verwandlung sein soll und sofort von der Scene im Wirthshause (jetziger 1. Act.) gefolgt sein sollte. Ohne Ouvertüre, wie die Sachlage jetzt ist, würde der Zuhörer gleich zu Anfang mit ernsterer Musik regalirt, wird sich also gegenüber seiner Erwartung einer „komischen Oper“ enttäuscht fühlen. In meiner Fassung schafft der erste Act sofort die nöthige Stimmung und nach seiner so ausgesprochenen heiteren Weise läßt sich der jetzige zweite Act mit seiner tieferen und ernsteren Musik | doppelt genießen. Den Ton des ersten nimmt ja sodann der dritte Act wieder auf und führt im Character des Stoffes zu Ende.

Ferner bewog mich ein musikalischer Grund dazu, aus dem Weber’schen Anfange der Oper den zweiten Act zu machen: die Form der Introduction zu dem jetzigen zweiten Acte. Dieselbe setzt, mir zweifellos, eine Ouvertüre voraus und da eine solche fehlte konnte sie ganz zu Anfang nur in ein falsches Verhältniß kommen. Daß Herr Mahler nicht veranlaßt werden konnte eine Ouvertüre zu schaffen, ist wohl erklärlich, doch erschien nach Stellung der Piece am Anfang eines zweiten Actes ein | Zwischenspiel leicht ausführbar und für die Introduction unentbehrlich. Darum ersuchte ich Herrn Mahler um Schöpfung eines solchen und ich glaube, daß nach dem Erfolge die dieses Musik-Stück beim Publicum hat* daß damit etwas Richtiges getroffen worden ist.

Indem ich Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenst bitte, Obiges in Erwägung ziehen zu wollen und mir die Belästigung zu verzeihen, zeichne ich mit vorzüglichster HochachtungEw. Hochwohlgeboren ergebenster
Frhr von Weber
Hauptmann und Divisions-Adjutant.

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Nach der Äußerung des Herrn Freiherr von Weber, daß die 3 Pinto’s nur in der von ihm herrührenden Eintheilung der Akte (der lustige zuerst und der in Beziehung auf Handlung und dramatisches Leben wenig interessante als 2. Akt) einen Erfolg gehabt hätten, möchte ich befürworten, daß die Oper hier an der Hofoper ebenfalls in dieser Ordnung aufgeführt werde.

Obwohl nach meiner festen Überzeugung eine Verschiebung der beiden ersten Akte dem Werke zum Nutzen gereichen würde*, so möchte ich doch nicht, daß dem Freiherrn von Weber in dem Falle, als der Erfolg in Wien seinen Erwartungen nicht entspräche der Einwurf in den Mund gelegt würde, die Veränderung in der Reihenfolge der Akte hätte dem Werke geschadet.

J. N. Fuchs

Apparat

Zusammenfassung

berichtet von der erfolgreichen Aufführung der Pintos in München, äußert sich zur dort favorisierten veränderten Nummernabfolge; die sonstigen erfolgreichen Aufführungen folgten seiner originalen Fassung; erklärt seine Originalversion und wünscht deren unveränderte Übernahme bei der Wiener Einstudierung (Stellungnahme von J. N. Fuchs: findet eine Umstellung der Nummern besser, schlägt trotzdem vor, auf von Webers Wunsch einzugehen)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Wien (A), Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (A-Whh)
    Signatur: HA Oper, Karton 97, in Nr. 565/1888

    Quellenbeschreibung

    • 2 DBl. (7 b. S.)
    • mit Präsentationsstempel vom 15. November 1888 und Ergänzung des Aktenzeichens Z: 565/1888.
    • auf der sonst unbeschr. S. 8 die Stellungnahme von J. N. Fuchs, mit Präsentationsstempel vom 20. November 1888

Textkonstitution

  • „sein soll“durchgestrichen
  • „die“sic!
  • „… “Stellungnahme von J. N. Fuchs:

Einzelstellenerläuterung

  • „… zur Aufführung zu bringen beabsichtigt“Die Wiener Erstaufführung fand am 18. Januar 1889 statt. Die Einreichung des Librettos bei der Zensur erfolgte am 6. November 1888; vgl. Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, HA Oper, Karton 97, in Nr. 565/1888.
  • „… Werk bei seinen ersten Aufführungen“Münchner Erstaufführung am 10. April 1888.
  • „… Leipzig , Dresden und Prag“Uraufführung in Leipzig am 20. Januar 1888, Erstaufführungen in Dresden und Prag am 10. Mai bzw. 18. August 1888.
  • „… der Laura ( No )“Nummer nicht, wie beabsichtigt, nachgetragen. Gemeint ist die Nr. 9 der Mahler-Bearbeitung, die Ariette der Laura „Höchste Lust ist treues Lieben!“
  • „… dieses Musik-Stück beim Publicum hat“Als Bindeglied zwischen den ersten beiden Akten der Neufassung schuf Gustav Mahler den Entr’-Akt.
  • „… Werke zum Nutzen gereichen würde“Kapellmeister J. N. Fuchs hatte in Vertretung des dienstlich verhinderten Direktors Jahn, der in Wien die Endproben zu Byrons Manfred (Bearbeitung von Karl Jenke, Musik von Robert Schumann, Aufführung in der Hofoper am 22. Januar 1888) leitete, die Pintos-Uraufführung in Leipzig (20. Januar 1888) besucht; vgl. Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, HA Generalintendanz der Hofoper, Karton 127, Nr. 88. Offenbar wollte sich aber auch Jahn vor der Wiener Pintos-Premiere einen Eindruck vom Werk verschaffen und plante eine Reise zur Prager Einstudierung. Per Brief vom 2. Dezember 1888 informierte der Prager Direktor Angelo Neumann seinen Wiener Kollegen Jahn, dass er wunschgemäß eine Vorstellung am 12. Dezember 1888 angesetzt habe; vgl. Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, HA Oper, Karton 97, in Nr. 565/1888.

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