Leo von Lauer-Münchhofen an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
London, Dienstag, 30. Januar 1866
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Ich hoffe Sie werden zufrieden sein, mit dem, was ich über Weber gehört habe, im Hause des verstorbenen William Hawes Esq 7 Adelphi Terrace Strand,
Dieser Herr hatte ein großes Geschäft (Musikalien-Handlung und Verlag) mit Mr T. Welsh (Welsh und Hawes Argyl Rooms Regent Street.) Im Winter 1823, in einer musikalischen Gesellschaft, lernte er eine Dame kennen, die eben aus Deutschland zurückgekehrt war. Da sie seine Liebe für schöne Musik kannte, spielte sie ihm einige Melodien aus dem „Freischütz“ vor, welcher gerade damals in Deutschland gegeben | wurde; er war so entzückt, davon, dass er sogleich nach Deutschland schickte, nach einem Chor‡ der Partitur‡ der ganzen Oper; sobald als er es bekam, bat er Mr Arnold, (den damaligen Eigenthümer des englischen Opernhauses, während Mr Hawes der Director war) er möchte die Musik hören; obgleich er die Oper schön fand, war er der Meinung, dass sie dem Publicum nicht gefallen würde, und deshalb verweigerte er sie in seinem Theater geben zu lassen.
Mr Hawes brachte sie nachher zu Mr Charles Kemble, (dem Dirigent‡ des Covent Garden Theatre), der ebenfalls ihre Schönheit anerkannte, aber nicht riskiren wollte, sie zu veröffentlichen. Entschlossen daß diese Oper jedoch in England gehört werden sollte, ging Mr Hawes noch einmal zu | Mr Arnold und bewegte ihn, die Musik zum zweiten Mal anzuhören. Mr Arnold sagte dann, wenn Mr Hawes Mr Braham, und Miss Stephens überreden könne, den Tenor und Sopran zu singen, so wolle er einen Versuch machen. Mr Hawes brachte die‡ Chor‡Partitur‡ (oder die Noten‡?) den vorgenannten Sängern; sie waren über die Schönheit der Musik einig, sagten aber sie‡ würde bei dem englischen Publicum keinen Beifall finden, und weigerten sich standhaft zu singen, wenn er (Mr Hawes) nicht einige Balladen für sie einführen wollte.
Dazu gab er seine Einwilligung, und sie versprachen in der Oper zu singen ‒. Er wählte einige Melodien von Weber und anderen deutschen Componisten ‒, und arrangirte zwei Balladen für jeden Sänger | Auf diese Weise wurde „Gute Nacht meine Liebe“* von Mr Hawes für Mr Braham arrangirt. Dieses Lied ist nach einer deutschen Melodie, und ist vielleicht nicht von Weber, da sein Name auf der ersten Ausgabe nicht angegeben ist. Es wurde jedoch mit vielem Erfolge gesungen, und Braham mußte es jeden Abend drei Mal wiederholen. Eine andere Melodie von Weber zum Texte „Sprich, du stürmisch schlagendes Herz“ wurde immer mit großem Beifall begrüßt, wie die Familie von Mr Hawes beweisen kann.
Miss Noel spielte die Rolle der Agnese die ersten Nächte der Oper, weil Miss Stephens auf dem Lande engagirt war, aber die letztere übernahm die Rolle kurz darauf.
Die Oper wurde in August 1820* aufgeführt.
|„Der Freischütz“ und „Oberon“ wurden beide von Welsh und Hawes zuerst herausgegeben; Argyl Rooms, Regent Street, war damals der schönste Saal in London, wo Weber sein Benefiz Concert gab den 26ten Mai 1826. Miss Hawes besitzt ein Billet von Weber selbst unterzeichnet. In 1830 brannte dieser Saal ab; eine Zeitlang vorher hatte Mr Welsh das ganze Geschäft übernommen und verkaufte es später an Cramer & Co.
Mr Hawes war die einzige Person in Europa, von wem Weber jemals ein werthvolles Geschenk, als Anerkennung seiner Verdienste — erhalten hat. Dies war ein silberner Becher, mit einer Aufschrift, welche die Bedeutung des Geschenkes erklärte*. Eine Abschrift des Briefes, in welchem Weber | sich bedankt*, werde ich Ihnen mitschicken ‒.
Mr Hawes hat viel Zeit darauf verwendet, die Oper von Weber in die Oeffentlichkeit zu bringen, aber nicht so viel Dank geerntet als Andere, die sich weniger bemüht hatten ‒. Sein Name war niemals erwähnt in den englischen Schriften über Weber und seine Musik‡ Werke; seine Familie hofft aber, dass Sie da Sie ein Buch schreiben, nicht vergessen werden: ‒ „Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wo Gerechtigkeit schuldig ist.“ ‒
Mr Hawes und Weber müssen gute Freunde gewesen sein, da ich‡ ein sehr schönes Porträt in Oelfarbe von ihm im Wohnzimmer hängt. (Weber trägt auf dem Bilde eine Brille)*
|Ich habe auch lithographische Copien nach diesem Gemälde gesehen* und habe Eine derselben für Sie verschafft.
Es befindet sich auch dort eine Büste von Weber, wovon der Kopf ein Gypsabguß ist, bald nach seinem Tode gemacht*. Nach meiner Meinung würde es sich lohnen, photografische Copien von beiden machen zu lassen, zum Besten des deutschen Publicums. Nach dem günstigen Empfang von dem „Freischütz“ wurde Weber gebeten (von Mr Hawes‡) eine Oper für das Covent Garden Theatre zu componiren. Er that es, und Mr Planché schrieb den Text dazu. Diese Oper war „Oberon“; Weber reiste nach England um der Aufführung beizuwohnen und zu dirigiren. |
Es wurde zum ersten Male im Jahre 1826 gegeben. Miss Paton (nachher Mrs Wood) war der erste Sopran, und Braham‡ Braham der Tenor.
In dem Zimmer, wo ich diese Einzelheiten erfahren habe, hat Weber viele fröhliche Stunden zugebracht. ‒
Ihr ganz ergebenst[er]
Leo v. Lauer
Apparat
Zusammenfassung
teilt ihm ausführlich die Geschichte mit, wie es zur Aufführung des Freischütz 1824 in London kam; William Hawes hatte daran entscheidenden Anteil, erwähnt auch den silbernen Becher mit Inschrift, den Weber von H. bekam, und das Ölgemälde von Cawse sowie die Büste (beide im Besitz von Hawes)
Incipit
„Ich hoffe Sie werden zufrieden sein, mit dem, was ich über Weber gehört habe“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. X, Beilage zu Nr. 359Quellenbeschreibung
- 2 DBl. (8 b. S. o. Adr.); als Beilage zu den (englischsprachigen) Erinnerungen der Familie Hawes: 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.) ‒ im Brief übersetzt Lauer diese Erinnerungen für Jähns
- am oberen Rand gestempelt: „an Jähns“
Textkonstitution
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„einem Chor“durchgestrichen
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„der Partitur“über der Zeile hinzugefügt
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„die“„den“ überschrieben mit „die“
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„Chor“durchgestrichen
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„Partitur“über der Zeile hinzugefügt
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„oder die Noten“durchgestrichen
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„sie“„er“ überschrieben mit „sie“
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„Musik“durchgestrichen
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„ich“durchgestrichen
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„Hawes“sic!
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„Braham“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„Dirigent“recte „Direktor“.
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„… wurde Gute Nacht meine Liebe“Von Jähns in Rückgriff auf das englische Original annotiert: „Love good night“. (arrangiert nach dem deutschen Volkslied:) „Drunten im Unterland“.
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„… Oper wurde in August 1820“Mit Bleistift von fremder Hand in 1824 korrigiert. Englische Erstaufführung im English Opera House am 22. Juli 1824.
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„… die Bedeutung des Geschenkes erklärte“Vgl. dazu u. a. Webers Tagebuchnotiz vom 16. März 1826, den Brief an seiner Frau vom 16.[/17.] März 1826 sowie den Bericht in der Zeitung für die elegante Welt vom 4. April 1826, jeweils inklusive Kommentar.
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„… in welchem Weber sich bedankt“Dieser Dankbrief ist unbekannt; er ist in Webers Tagebuch nicht vermerkt.
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„… auf dem Bilde eine Brille)“Gemälde von John Cawse; heute im Royal College of Music in London, Department of Portraits and Performance History.
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„… Copien nach diesem Gemälde gesehen“Lithographie von Richard James Lane, die im Londoner Verlag Hawes erschien (mit der Angabe „in the Possession of W. HAWES Esq:“).
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„… bald nach seinem Tode gemacht“Vermutlich die Büste von Josephus John Pinnix Kendrick aus dem Jahr 1826 (vgl. den Bericht aus der Times vom 25. Juli 1826), deren Original-Gips sich heute ebenfalls im Royal College of Music in London befindet.