Rezension des Librettos der Oper Euryanthe von Helmina von Chézy (Teil 4/5)
Ueber die Eurianthe als literarisches Produkt.
(Fortsetzung.)
Es bedurfte nur einiger Erklärung, um dem Adolar begreiflich zu machen, daß Lysiart den Ring nicht von ihr selbst, sondern durch Eglantine’s Betrug erhalten habe und Euryanthe war nichts, als geschwätzig gewesen, ein Fehler, den der Mann ihr leicht vergeben konnte, da er sich daran gewöhnen muß, wenn er sie heirathen will. Adolar sagt S. 27:
Adolar.
Nein du errangst den Ring durch List!
Mein reiner Engel, kannst Du zagen?
Hier war es für Euryanthen Zeit, zu antworten, aber Lysiart nimmt das Wort:
Lysiart.
Wer sonst als Euryanth’ und du kannst sagen,
Was dieses Rings Bedeutung ist?
Die Gruft nur kannte Emma’s Thaten!
Adolar.
Sprich Euryanthe! hast du mich verrathen?
Hier wird die Szene peinlich; man möchte die Lippen öffnen und Eurianthen zur Sprache verhelfen. Aber sagt sie etwas, was am Platze war? Nein!
Adolar.
Brachst du den Eid?
Euryanthe.
Ich that es.
An diesem leicht zu entfernenden Mißverständnisse hängt das Stück, und eine Oper, wo solche Spitzen, auf denen die Verwicklung tanzt, am wenigsten taugen! Und als sie nun ausruft:
Unermeßlich Leid,
Doch treulos bin ich nicht!
erwiedert Adolar äußerst bequem für die Dichterin: „Verstumme!“ S. 28.
Mit dieser wunderlichen Szene war meine Theilnahme für den Helden dahin und ich hatte nichts mehr gewünscht als daß er dafür durch den Verlust Euryanthe’s bestraft werden möchte. Leider wird mir dieser billige Wunsch eben so wenig erfüllt, als der tragischen Kunst, die mit mir denselben hegt. Adolar findet sie wieder, es erfolgt eine Aussöhnung in der angenehmen Hoffnung, daß nun auch Emma erlöst seyn mag. Die schwächste Szene dünkt mich übrigens die erste des dritten Aufzuges zu seyn. Adolar erscheint in der Felsschlucht in Begleitung Euryanthe’s. Was er hier thun will, wird uns bald klar. S. 31:
Dies ist der Ort,
So Schaurig, öd’ und still,
Wie meine That ihn will,
Ich führte dich zum Tode fort. ¦
Wenn man auch keine langweilige Marterszene erwarten darf, ist man doch berechtigt einer erschütternden Situation zu begegnen. Aber was geschieht? Kaum hat Adolar die Worte:
Weh’ daß ich muß dein Richter seyn!
ausgesprochen, als Euryanthe S. 32. „mit steigendem Entsetzen etwas Gräßliches gewahr zu werden“ scheint, nämlich eine Schlange, welche auf Adolar los will. Bei dem besten Willen wird man hier das Lachen nicht unterdrücken können, wenn man die Anstrengungen des jungen Ritters sieht, ein Thier zu tödten, ehe er seiner Geliebten dasselbe thut, man bemerkt mit dem ersten Blick, sie unterhalten sich nur vom Sterben, denken aber beiderseits nicht daran, mehr zu zeigen als Worte. Wie ist es möglich, daß eine solche Szene nur ein augenblickliches Interesse hervorbringen kann? Selbst für eine Oper ist sie zu bunt.
Man ist nicht gewohnt, von poetischen Produkten dieser Art strenge Charakteristik zu verlangen; Individualität scheint überhaupt die Musik nicht zu dulden, so wie sie an sich weder etwas Tugendhaftes noch etwas Lasterhaftes ausdrücken kann, aber Einförmigkeit kann sie wenigstens vermeiden. Eglantine liebt den Adolar und unglücklich, Lysiart liebt die Euryanthe und ebenfalls unglücklich, eine psychologische Monotonie, welche weder die Musik noch sonst ein Kunstgesetz verlangt haben.
(Schluß folgt.)
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bandur, Markus
Überlieferung
-
Textzeuge: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 4, Nr. 147 (8. Dezember 1824), S. 3