Korrespondenz-Nachrichten Dresden vom 9. bis 16. April 1817: Generali, L’Adelina
Dresden. Nach den Oster-Feyertagen wurde unser Theater mit der Oper, Adeline, von P. Generali eröffnet, worin Hr. und Mad. Weixelbaum, Mitglieder des grossherzogl. badenschen Theaters in Carlsruhe, Gastrollen gaben. Da diese Operette ursprünglich eine Farse in einem Acte war, und durch mehre eingelegte Stücke zu zwey Acten verlängert wurde, so entstand daraus ein Centone, den man eine wahre Strafe für gute und mittelmässige Musik, selbst für die Dichtung nennen kann. Wollten wir uns darauf einlassen, viel von dieser Musik zu sprechen, oder vielmehr sie zu zergliedern: so würden wir blos langweilige Dinge sagen müssen, und dies um so mehr, da die eingelegten Stücke schon vielmal von Künstlern und Liebhabern der Kunst gehört worden sind. Wir wollen daher blos angeben, dass die dem Compositeur der Farse angehörige Musik sehr angenehm, von guter Haltung und nach den Regeln der Harmonie ist. Das Stück, welches wir für das beste halten, und welches uns am meisten gefiel, war die Scene und das Terzett, womit sich der erste Act schliesst. Sie sind mit Gefühl geschrieben, und die Musik drückt das Interesse, dem Inhalt der Dichtung und der Situation gemäss, aus. Die Reminiscenzen, die wir entdeckten, waren so kühn angebracht, dass selbst das Publicum nicht umhin konnte, auszurufen: Das ist eine Stelle von Cimarosa! dieses ist von Pär! etc. – Mad. Weixelbaum spielte die Adelina. In Rücksicht des Spiels fanden wir eben nichts Grosses; und ihrer Declamation fehlte die Lebhaftigkeit und das Feuer, die zum Ausdrucke nöthig sind! Im Gesange hat sie eine gute Methode; sie führte sowol die von ihr selbst angebrachten, als auch die vorgeschriebenen Manieren mit Präcision und Genauigkeit aus; ihre Haltung ist gut, ihre Intonation in der Tiefe, so wie in der Höhe, richtig, ihr Ausdruck natürlich, ihre Aussprache des Italienischen ziemlich gut. Der Umfang ihrer Stimme ist bedeutend: allein man
¦hört in ihrem Gesange und in ihrer Methode Monotonie, nicht jenes innere Leben, was so sehr gefällt, weil es unverkennbares Merkmal von Geist ist. Ausserdem findet sich in ihrer Stimme manche Härte, wie wir in mehrern vorgeschriebenen Stellen bemerkten, die sie nicht mit der Gefügigkeit sang, mit welcher sie von einer biegsamen Stimme und wie die Kunst lehrt, gesungen zu werden pflegen. Manche ihrer Töne sind in der Extension rauh, welchen Fehler man besonders dann noch deutlicher hört, wenn sie ihre Stimme anstrengt. Damit sprechen wir ihr aber keineswegs ihr grosses Verdienst einer guten Schule ab; im Gegentheile, da sie viele gute Eigenschaften besitzt, und ja Niemand in irgend einer Kunst vollkommen ist, machen wir sie auf jene Mängel, die sie von selbst nicht bemerken kann, aufmerksam, damit sie in ihren Leistungen immer trefflicher werde. Hr. Weixelbaum, als Officier Erneville, hat, als Schauspieler, weder Action, noch Declamation, ist kalt, und auch, wie es scheint, ohne Kenntnis vom Theater. Seine Aussprache des Italienischen ist nicht gut. Sonderbar ist es, dass die meisten unserer deutschen Sänger durchaus in einer so sanften und weichen Sprache singen wollen, die von der Aussprache der ihrigen so sehr abweicht, ohne dass sie die Grundregeln derselben kennen und sie wirklich gut auszusprechen verstehen. Hierdurch scheinen sie sich absichtlich gerechtem Tadel aussetzen zu wollen. Als Sänger betrachtet fanden wir bey Hrn. W. eine zwar angenehme u. ausgebildete, aber etwas schwache Stimme, die im grössten Theile ihrer Extension mehr Falset als Bruststimme ist. Untersuchen wir nun die Schlüssel und ihr System, so ist der Tenorschlüssel authentisch an sich selbst, weil das C auf der vierten Linie steht; und deswegen muss man e f g über derselben, das heisst in der hohen Scala, besitzen. Da sich nun diese Töne der Stimme bis in das höchste B und C extendiren und dieselbe bey den Manieren anhaltend in diesen Tönen arbeitet, so werden sie Contralto, sind nicht mehr wahrer Tenor, und man kann sie nicht mehr metallische, sonore und natürliche Töne der Brust nennen; sie sind ein schwaches Falset, und wenn auch freylich nicht zu verachten, doch mehr Kammer- , als Theaterstimme. In der Manier seines Gesanges bemerkten wir die Nachahmung Brizzi’s, und diese missbilligen wir keineswegs, sondern halten es vielmehr für lobenswerth; denn, da Hr. W.
¦einen wahren Künstler, und, in seiner Art, vollendeten Tenoristen nachahmt und dieses Muster gut zu benutzen weiss, so vermehrt es seinen Werth und macht dem Zuhörer Vergnügen. Als Concertsänger muss Hr. W. wahrhaft ausgezeichnet seyn. – Hr. Bassi, als Warner, ein reicher Gutsbesitzer, zeichnete sich in diesem Charakter sehr aus. Diese Rolle ist eine der für ihn jetzt angemessensten; so drückte er besonders seinen Schmerz mit Natürlichkeit und Wahrheit aus, als er den Brief vor dem Terzett des ersten Aufzugs las, und entdeckte, dass seine Tochter schon mit Erneville verheyrathet war. Hr. Benincasa verdiente und erwarb sich in der Rolle des Don Simone den lebhaftesten Beyfall des ganzen Publicums, sowol durch sein wahrhaft komisches Spiel, als durch die schöne Ausführung der Stücke, die er allein und mit Andern sang. Die Decorationen waren in dieser Oper sehr interessant. Bey alle dem scheint doch das Ganze, sowol die Musik als das Gedicht, keinen grossen Eindruck auf unser Publicum gemacht zu haben, wovon die kleine Anzahl der Zuschauer bey allen drey Vorstellungen ein Beweis ist. Zur Verlängerung dieses so kurzen Stücks spielte unser berühmter Hr. Concertm. Polledro zwischen den beyden Aufzügen ein Violin-Solo alla Polacca. Ganz überflüssig wäre es, wenn wir uns in Lobsprüche der schönen Ausführung dieses Stücks einlassen wollten, denn wir könnten doch weiter nichts thun, als wiederholen, was wir schon so oft zum Lobe dieses verdienstvollen, trefflichen Künstlers gesagt haben. Das entzückte Publicum gab ihm allgemeinen, lauten Beyfall. Bey der dritten Vorstellung blies der Hautboist, Hr. Thurner, zwischen den beyden Acten ein spanisches, von ihm selbst gesetztes Rondo. Er besitzt grosse Biegsamkeit, Leichtigkeit und Präcision; aber seine Töne werden zuweilen ein wenig rauh. Wir erkennen jedoch die Verdienste dieses Künstlers, sowol in Ansehung seiner Composition, als auch der Ausführung an, und das Publicum nahm dieses Stück mit grossem Beyfall auf.
(Der Beschluss folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden: „L’Adelina“ von P. Generali am 9., 12. u. 16. April 1817
Entstehung
vor 4. Juni 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 19, Nr. 23 (4. Juni 1817), Sp. 396–398