Albrecht von Holtzendorff an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Dresden, Mittwoch, 25. bis Montag, 30. November 1874
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Wenn ich Ihnen erst jetzt auf Ihre so freundliche Aufforderung vom 29. v. Mts. antworte, so möge mich meine Krankheit entschuldigen, welche mich noch immer an das Zimmer fesselt; nächstdem haben mich bis gestern unaufschiebbare Arbeiten als Vorstand der K. S. Invaliden-Stiftung in Anspruch genommen.
Ich kann Ihnen bis jetzt nur Weniges bieten, obgleich ich manche Rücksprache nahm, auch im Archive des Kr.‡ Ministeriums durch einen, mir dort Befreundeten Nachforschung halten ließ. Hinzu kommt, dass ich zwar Musik sehr liebe, aber in dereselben Ignorant bin. Doch nun zur Beantwortung Ihrer FragePunkte.
ad I.) Der ParadeMarsch der K. S. leichten Infanterie ist — nach Versicherung Anderer u. in eigener Erinnerung — von Rath arangirt, dem MusikDirector des, von mir in den Jahren 1838—43 commandirten 2. Schützen Batls.‡ Mein Sohn, welcher immer in der leichten Infanterie stand u. 23 Jahre später als ich‡ jenes Batl. befehligte*, bestätigt jene Annahme. Rath lebt noch zu | Leipzig als Pensonair‡. Ob nun dieser ParadeMarsch identisch ist mit dem‡ von Ihnen angegebenen?, kann ich nicht beurtheilen. Die Motiven zu jenem Marsche gab das, 70 Jahre alte Sächß Schützenlied, welches ich mit Text u. Noten als Beilage in meiner 1859 erschienenen Geschichte der K. S. leichten Infanterie aufgenommen habe*. Vielleicht hat mein Neffe, der K. S. PremierLt.‡ Georg Graf Holtzendorff, welcher sich jetzt auf der KriegsAcademie in Berlin befindet und Blumeshof 5 wohnt, dieß Buch mit dahin genommen, und könnten Sie vielleicht, unter herzlichen Grüßen von mir, Sich bei demselben darnach erkundigen. Ist es dort nicht zu erlangen, so bin ich gern bereit, es Ihnen zu senden.
Das Lied „Der König hat schöne Soldaten p.“ ist mir nicht bekannt.
Lossner kenne ich, er war MusikDirector beim braven 1. Jäger Batl. welches mein Sohn im Feldzuge 1870/71 führte.
ad II.) Auf die Autorität des frühern Stabs-Hornisten Schmal ist nicht viel zu geben. Ich habe ihn seit 1810 genau gekannt, wo er als verdorbener Schulmeister sich in Zeitz beim | 1. leicht. Inft. Regt.‡ als Hornist angagirte. Derselbe war in Rußland ein braver Soldat, aber eine luftige Person u. neigte zuletzt so zum Gemeinen, daß man ihn gern gehen sah.
Die fraglichen ArmeeSignale waren dem Reglement für die leichte Inft. vom Jahre 1822 beigegeben. Als damaliger Adjdutant des command. Generals von Lecoq* habe ich dieses Reglement mit ihm selbst collationirt. Die allgemeine Stimme ließ damals mehre derselben von Marie v. Weber componirt seyn u. hat sich dieß als Tradition in der Armee bis heute erhalten. Wenn man diese schönen Signale betrachtet u. bedenkt, daß sie für ein Instrument geschrieben wurden, welches nur 4, bei sehr geschickten Bläsern 5 Töne enthält, so liegt in ihnen selbst die Gewißheit, daß sie von einem großen Meister gesetzt seyn müssen. Leider sind diese schönen Signale der Einheit der Reichsarmee zum Opfer gefallen, man hat sie gegen die unschönen Preußischen vertauschen müssen, welche an den Hirten erinnern. Man vergleiche z. B. „Nicht gefeuert!“ mit „Stopfen“. Nur wenige unserer Signale konnten mit herüber genommen wer|den, als Sturmmarsch — Los /: Rührt Euch :/ — Wecken /: Reveille :/ u. Retreit /: Zapfenstreich :/
Im allgemeinen Munde hat sich der Glaube erhalten, daß namentlich die Signale: Bataillons-Rufe — Flügel vor — Ziehen — Truppiren — Trauermarsch — Wecken u. Retreite‡ von Weber herstammen. Vorwärts und Zurück wohl nicht, weil sie schon im Reglement von 1816 zu finden sind.
Ein Beweis für die Webersche Autorschaft kann nicht beigebracht werden; ich wiederhole, es ist nur Tradition. Der einzige Mann, welcher hier Auskunft u. Gewißheit geben könnte, ist der Redacteur des Reglements von 1822, Herr Generallt. a. D. von Heintz, leider hat diesem ausgezeichneten Mann vor mehren Jahren ein Schlaganfall die Erinnerung sehr geschwächt u. die Sprache gestört. Wenige Tage nach Empfang Ihrer Zuschrift vom 29. v. Mts. besuchte derselbe mich u. auf meine Anfrage gab er die Antwort: „jawohl sind mehre Signale von Weber, einige auch von mir“ /: Letzteres hatte ich in Hinsicht des Signales Los! schon vor vielen Jahren in Erfahrung | gebracht :/ Auf Heintz’s fernere Bemerkung: „in meinen Papieren muß sich Etwas darüber vorfinden“ bemerkte dessen treffliche Gattin*, daß dieß nicht wohl möglich sey, da sie mit ihm die Papiere vor einiger Zeit gesichtet habe. Ihr Schreiben gab ich meinem Freunde mit u. erhielt nach einigen Tagen von Frau v. Heintz die Nachricht, daß sich nichts gefunden habe.
d. 26. Novbr.
Gestern wurde ich an der Vollendung dieses Schreibens verhindert.
Wenn mir das Ausgehen wieder gestattet ist, werde ich im Archive des GenerKommando’s nachforschen, ob daselbst sich vielleicht der Ueberreichungs Rapport des‡ Lecoq’s des Reglements von 22 noch vorfindet u. einige Auskunft geben könne. Leider ist in unsern Archiven so Vieles makulirt worden u. dadurch der Geschichte verloren gegangen.
Zur Vergleichung füge ich die Reglements von 1816 u 1822 bei, welche beide ich mir gelegentlich zurückerbitte. Sollten Sie die mir zugesendeten, Weber zugeschriebenen 9 Signale u. die Noten des ParadeMarsches bedürfen, so würde ich sie sofort senden. |
Zum Schlusse erlaube ich mir noch, den am 12. d. Mts. erhaltenen Stadtpostbrief nebst Inlage beizufügen; Ihre Vermuthung, daß er vom GeneralMusikdirector Herrn Dr. Rietz herstammen könne, gewinnt an Wahrscheinlichkeit.
Hochachtungsvollund ergebenst
GrafvonHoltzendorff
N.S. am 30 Novbr. Um Gewißheit zu haben, ob der ParadeMarsch der leicht. Inft. identisch sey mit dem, von Ihnen im Schreiben vom 29. v. Mts. aufgeführten Marsche, bestellte ich mir einen Fachmann; durch Mißverständniß hat sich dessen Erscheinen, in der Person des StabsSignalisten Müller, bis heute verzögert u. versichert derselbe Folgendes:
1.) Beide Märsche sind genau ein u. dieselben.
2.) Dieser Marsch ist vom MusikDirector Roth‡ arangirt u. das alte Sächß SchützenLied zum Grunde gelegt.
Holtzendorff
Apparat
Zusammenfassung
betr. Weber unterschobene Kompositionen
Incipit
„Wenn ich Ihnen erst jetzt auf Ihre so freundliche Aufforderung“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
Textkonstitution
-
„als ich“über der Zeile hinzugefügt
-
„Pensonair“sic!
-
„dem“über der Zeile hinzugefügt
-
„Retreite“sic!
-
„des“durchgestrichen
-
„Roth“sic!
Einzelstellenerläuterung
-
„Kr.“Abk. von „Kriegs“.
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„Batls.“Abk. von „Batailions“.
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„… als ich jenes Batl. befehligte“Graf von Holtzendorff, seit 30. April 1859 Hauptmann beim 2. Schützen-Bataillon.
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„… S. leichten Infanterie aufgenommen habe“Albrecht von Holtzendorff, Geschichte der Königlich Sächsischen leichten Infanterie von ihrer Errichtung bis zum 1. October 1859, Leipzig: Giesecke & Devrient, 1860.
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„PremierLt.“Abk. von „Lieutenant“.
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„Inft. Regt.“Abk. von „Infanterie Regiment“.
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„… des command. Generals von Lecoq“Karl Christian Erdmann von Le Coq (1767–1830).
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„… vorfinden bemerkte dessen treffliche Gattin“Adolfine (Friederike Ernestine) von Heintz, geb. von Kiesenwetter (1817–1879).