Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 9. April 1817
Am 9. April: L’Adelina, dramma sentimentale di Generali. Zum erstenmal hörten wir hier diese Oper, welche in Italien vielen Beifall fand und ihn auch wirklich verdient, da die Musik ausdrucksvoll und sehr angenehm ist; doch wir können nicht sagen, daß wir sie kennen lernten, weil, durch die vielen eingelegten Tonstücke anderer Meister, der Zusammenhang und eigentliche Charakter der Musik oft gestört wurde, da zumal viele aus großen ernsthaften Opern genommen, und daher sowohl dem Styl, als den Worten nach, nicht recht passend waren. Ueberdem wurde diese Operette für einen der trefflichsten Mimen Italiens, den berühmten Raffanelli*, geschrieben, welcher die Rolle des Vaters durch hohe, ergreifend wahre Seelenmalerei äußerst bedeutend und erschütternd zu machen weiß, so daß z. B. die trefflich instrumentirte Scene, wo er den Brief liest, durch weise Steigerung, lange Pausen und erschütternde Kraft stets den allgemeinsten Enthusiasmus erregt und diese Rolle daher im Original der Brennpunkt wird, von welchem alle Strahlen ausgehen; hier ist dieß anders – besonders da das allgemein geschätzte Künstlerpaar, welches heute zum erstenmal uns erfreute, unsere Aufmerksamkeit zunächst auf sich zog. Mit innigem Wohlgefallen fanden wir bei Herrn Weixelbaum und Mad. Weixelbaum die trefflichste Methode mit sehr lieblichen Stimmen vereint. Er scheint sich Brizzi, sie sich Velluti zum Vorbild erwählt zu haben, und wohl denen, die solche Meister so brav nachzuahmen verstehen! Herrn Weixelbaum’s Tenorstimme ist zwar nicht sehr stark, aber an Biegsamkeit, Anmuth und sanftem Schmelz des Tones wird er gewiß nicht leicht übertroffen, Vortrag und Aussprache sind bei ihm und seiner Gattin ächt italiänisch, ihre Stimme ist sehr rein und lieblich, voll Herzgewinnender Innigkeit, ihr Piano und ihr Aufschwung dann von den leisern Tönen zu den höhern, stärker ergriffnen, ist wunderschön; so weiß sie auch die schwierigsten Sprünge mit seltner Zartheit und Reinheit auszuführen. Alles dieß hatten wir am meisten Gelegenheit in der letzten großen Arie mit Chor zu bewundern, welche die Künstlerin wirklich ganz himmlisch sang und die ursprünglich in die Opera seria: Coriolan, von Nicolini, gehört; in dieser schönen Arie entfaltete sich erst der volle Reiz ihrer Stimme, sie wurde dabei trefflich unterstützt durch die obligate Begleitung des Waldhorns, welche der talentvolle Kammermusikus Hase meisterhaft, mit seelenvoller Innigkeit vortrug. Die hohen Töne der bescheidnen Künstlerin sind unstreitig noch schöner als ihre tiefen. Die Anspruchlosigkeit, mit welcher sie auftrat, hätte wohl verdient gleich bei der ersten Cavatine freundlicher aufgenommen zu werden! Die zweite von ihr eingelegte Cavatine paßte mehr zum Ganzen als die große Arie von Mayer, welche Herr Weixelbaum sang und welche wir schon im Titus von Brizzi hörten und das Duett beider, welches aus Musik von Nicolini und andern Meistern zusammengesetzt war, obgleich diese Tonstücken an sich recht schön sind. Ueber die eigentliche Musik der Operette ¦ behalten wir es uns vor das nächstemal zu sprechen, heute nur noch freundliche Anerkennung der gutmüthigen Laune, womit Signor Benincasa seine komischen lateinischen Floskeln so allerliebst vortrug; daß aber bei dessen großen Aria buffa der ernste, tiefbewegte Vater zugegen blieb, da er dem Buch und dem Sinne nach durchaus abgehen sollte, dies kann wohl nur einem Versehen zuzurechnen seyn? So wäre es gleichfalls sehr zu wünschen daß die Stellungen und Gruppen mit dem Kind besser eingeübt würden, da das Streben nach malerischen Würkungen auf der Bühne nie vernachläßigt werden sollte. Da diese Operette sehr kurz ist, so wäre es herrlich, wenn sich irgend einer der Virtuosen der Königl. Kapelle in dem Zwischenakt mit einem Solo hören ließ! Da es jetzt viele solche kurze neue Opern giebt die in Italien als Nachspiele benutzt werden, und die oft, so wie die Adelina, trefflich componirt sind, wäre dies ein neuer reizender Verein von Concert- und Theatermusik. Die Dekoration, welche eine wilde Schweitzergegend mit Gletschern und Wasserfällen vorstellt, ist sehr hübsch und paßt vollkommen zu dem aus banger Schwermuth in ländlich heitern Frieden übergehenden Eindruck des Ganzen.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: L'Adelina von P. Generali mit Weixelbaums als Gästen am 9. 4. 1817
Entstehung
vor 26. April 1817
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Goldlücke, Annelie
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 100 (26. April 1817), Bl. 2v
Einzelstellenerläuterung
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„… Italiens , den berühmten Raffanelli“Luigi Raffanelli (1752–1821), Bass.