Carl Klein an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Kopenhagen, Freitag, 8. bis Sonntag, 10. November 1878

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Mein lieber theurer Freund Jähns!

Auf Ihre Vorfrage im Brief v. 28 v. Mts ist es mir möglich geworden heute Antwort zu geben. Ich habe den Brief schon vor mehreren Tgen abschließen können; aber der Empfang der Lotteri-Loose zur 2ten Klasse, vom Kgl. Inspectorat, nahm meine Zeit dermaßen in Anspruch, daß das Briefschreiben in einiger Zeit aufgeschoben werden mußte.

Da mir, wie im letzten Brief erwähnt, Gade gesagt hatte, daß er mir „Weber in seinen Werken“ mit vielen Dank zustellen würde, so ging ich sofort nach Empfang Ihres Briefes zu ihn um Selbiges abzuholen, theils weil ich mich danach sehnte, theils weil ich daraus erfahren konnte von welchem Finale hier die Rede sei.

Ich traf Gade, u. wurde er sehr beschämt, daß ich selbst das Buch abholen wollte. Ich machte ihn damit bekannt, worüber Sie Aufklärung haben wollten, u. sagte er mir, daß die von Ihnen citirte Stelle, in al der Zeit daß er Mitglied der kgl. Capelle gewesen, bei allen Aufführungen des „Freischützen“, gestrichen sei*. Da ich bemerkte, daß ich, um sicher zu gehen, zum Singmeister beim Kgl. Theater, Gerlach gehen würde, fand er dieses rathsam!

Gade läßt Sie herzlich grüßen, und hat Ihnen zu sagen, daß er in hohem Grade bedauerte, zu erfahren Ihre Gesundheit zerrüttet sei.

Ich ging darauf ins königl Theater, traf aber Gerlach nicht, da man ihn erst 2 Stunden | später zu einer Probe auf „Martha“ erwartete. Wie ich von dort und schräg über den Königs Neu-Markt gehen wollte, hörte ich Gade meinen Namen rufen, der mich fragte welche Antwort mir geworden wäre. Wir sprachen länger mit einander, hauptsächlich über Weber’s Opern, und ging ich darauf zu Gerlach in seine Wohnung. Leider traf ich ihn nicht, sondern erst 2 Tage später, gegen Abend, eine Stunde bevor er ins Theater ging.

Er hatte seinen Clavier-Auszug zur Hand, und sagte mir, dass die von Ihnen angegebene Stelle, von: „Leicht kann des Frommen Herz“ Etc. bis: „Wer griff in seinen Busen nicht“? – stets bei den hiesigen Aufführungen ausgelassen sei.

Weber schreibt in seinen Brief aus Dresden v. 11 Juli 1821 (wovon ich Abschrift habe) an Prof. Zinck, damals erster Singmeister beim Theater „Mit nächstem Postwagen geht unter Ew Wohlgeboren Adresse Partitur u. Buch des „Freischützen[] ab.“ Hieraus geht hervor, dass die Partitur eine der zuerst geschriebenen hat sein müssen, indem ja damals noch kein gestochenes existirte. Nach Ihren „Weber in s. W.“ (Pag. 1820*) ist eine Solche ja erst v. Feckert* 1843 herausgegeben. Ich besitze den Clavier-Auszug v. Zulehner, (Schotts Sohne in Mainz den Sie aber nicht aufs Beste empfehlen.

Ich muß doch erwähnen daß Gerlach sein Vater (aus Sondershausen) mein erster Lehrer in der Musik-Theori war. Er verwaltete in eine Reihe v. Jahren des Amt des Organist bei der Trinitatis Kirche, welches jetzt Prof Berggreen übertragen ist. Gestern sprach ich Prof. Hartmann auf der Straße, der sie herzlich grüßen läßt. Ich mußte ihn mittheilen wie Ihr Befinden sei | nach der Rükkehr von Teplitz. Meine Erzählung war keine erfreuliche welches er herzlich bedauerte. Wie ich ihn letzt sprach war am Nachmittag wie er Abends nach Hamburg zum großen Musikfest abreiste. Er u Gade waren eingeladen.

Vielleicht wird es Ihnen Spaß machen, wenn ich Ihnen die Mittheilung mache, daß ich vor vielen Jahren ein Musikstück für’s Orchester geschrieben habe. Um gewiß zu sein, daß es aufgeführt würde, schrieb ich es in ¾ Takt, in Walzer-Form unter den Titel „Josephinen Walzer“ und wurde daher oftmals v. Lumby* in Tivoli Concert Saal, u zwar mit vielen Beifall gegeben.

Die Partitur, (23 Seiten) besitzt „Tivoli Concert Archiv“ und wird d. Walzer noch immer ab u zu gegeben. Die Partitur zeigte ich Hartmann u. Gade u. haben sich beide über die Composition sehr lobend ausgesprochen. Hartmann ging einen Abend mit mir ins Tivoli um ihn zu hören, und amüsirte sich sehr über die in vieler Hinsicht gute Instrumentirung. wie er sagte. Gade hat gegen mich den Wunsch ausgesprochen ihn zu hören, hat aber nie den Wunsch erfüllt gesehen.

Er ist übrigens für’s Fortepiano erschienen, von mir arrangirt, aber vergriffen. Erst vor einigen Tagen habe ich eine Abschrift von einem Freund erhalten, da ich selbst kein Exemplar besitze. Die Abschrift hat mich dermaßen erfreut, daß ich Ihnen diese mir gewordene Freude mittheilen mußte. – Es ist nemlich die einzigste Composition für Orchester, die ich geschrieben habe, alle übrigen waren Vocalcompositionen, die ich als Musikdirektor der Freimaurerloge hiselbst s. Z. componirte. –

|

Es kömmt mir vor, daß ich in meinem letzten Brief erwähnte daß Louis auf einer hiesigen größern Fabrik auf kurze Zeit beschäftigt sei für einen Mechanicker, den der Unfall betroffen, daß er seinen kl. Finger verloren. Der Director der Fabrik interessirt sich für Louis u. hat ihn dem Gen: Director der „Wilhelmshütte“ Eine Aktiengesellschaft für Maschinen bei Eulau in Schlesien empfohlen. Vor einigen Tagen erhielten wir einen Brief worin d: Director sagt, daß „sie“ gerne bereit sind wären Louis auf „ihrem“ Werke zu beschäftigen um ihn Gelegenheit zu geben sich weiter auszubilden. – Nur muß er vorerst unentgeltlich arbeiten, weshalb wir erst überlegen müssen wie wir die Sache angreifen, weil es sich hier um Herbeischaffung des Geldes handelt.

Louis ist entzückt bei d. Gedanken nach Deutschland zu reisen, u. besonders freut er sich dazu Ihnen auf seiner Reise nach Schlesien einen Besuch abzustatten. Wir haben hier eines größeres Institut mit Fonds (gegen 8‒900,000, Kr) deren Zinsen dazu verwendet werden, junge Handwerker zu unterstützen. Ich hoffe daß ich, wenn ich bei diesem nachfrage, für Louis eine Unterstützung erlange. Ich kenne beide Directoren, und bei dem einen derselben, kommt oftmals mein Schwiegersohn Olavesen, um bei Aufführungen v. Streichquartetten Theil zu nehmen.
Mit Olavesen spreche ich nun deshalb. –

Und nun, mein theurer Freund, muß ich schließen, aber mit den herzlichsten Grüßen von alle den Meinen u. von Ihrem allzeit treu ergebenen Freund
Carl Klein

Anina bittet Onkel Jähns speciell von ihr zu grüßen. Sie war | nicht damit zufrieden, daß ich von „Allen“ gegrüßt, aber nicht ihren Namen genannt habe. |

Bevor ich den Brief jetzt auf d. Post gebe, gebe ich noch folgende Nachrichten, – bevor ich mit meiner Frau u. Anina einen Besuch mache bei dem Director Triepcke* der Louis nach Schlesien empfohlen hat –, daß ich heute mit Gerlach im Theater die Original Partitur persönlich angesehen habe, u. mich davon überzeugt, dass die von Ihnen citirten 22 Tacte darin enthaltend, aber mit rothe Kreide, überstrichen sind, weil sie bei d. Aufführungen aus gelassen worden. In der Partitur lag ein „Epilog“, wahrscheinlich benutzt in 1826 als d. []Freischütz“, zum 1st Mal nach Weber’s Tod aufgeführt worden ist; der Text (aber nicht vollständig bei d. Musik angeleget) scheint sehr schön zu sein, zur Musik v. Weber’s Freischütz: (2te Numm 1 Act) „O laß d. Hoffnung dich beleben u. vertraue dem Geschik. (Es ist Prof. Zincks Handschrift sagt Gerlach. Sollte ich hierüber nachforschen, u. Ihnen berichten was damals z. Trauer veranstaltet worden?

Eiligst Ihr C. Klein

Apparat

Zusammenfassung

teilt mit, dass die bewusste Eremiten-Stelle bei allen Aufführungen gestrichen war, er hat sich davon auch in der Original-Partitur überzeugt, wo die zitierten 22 Takte mit Rötel durchstrichen waren; entdeckte dabei einen Epilog, der eingelegt war und der vermutlich aus Anlass der ersten Aufführung nach Webers Tod zur Aufführung kam

Incipit

Auf Ihre Vorfrage im Brief v. 28 v. Mts

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 330

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl., 1 Bl. (5 b. S. o. Adr.)

Textkonstitution

  • „& 9“unter der Zeile hinzugefügt
  • „Neu-“am Rand hinzugefügt
  • „ich darauf“am Rand hinzugefügt
  • n„r“ überschrieben mit „n
  • „… Dresden v. 11 Juli 1821“7 gestrichen und durch 1 ersetzt
  • „zu“über der Zeile hinzugefügt
  • „… (Pag. 1820 ) ist eine“e nachträglich ergänzt
  • „d. Walzer“über der Zeile hinzugefügt
  • wie er sagte.“über der Zeile hinzugefügt
  • „Gen:“über der Zeile hinzugefügt
  • „Eine Aktiengesellschaft für Maschinen“am Rand hinzugefügt
  • „wir“über der Zeile hinzugefügt
  • „sind“durchgestrichen
  • „wären“über der Zeile hinzugefügt
  • vorerstüber der Zeile hinzugefügt
  • „es“durchgestrichen
  • „… “Nachtrag auf der 1. und 4. Briefseite am Rand, quer zur Schreibrichtung:
  • „enthaltend“sic!
  • „führt“über der Zeile hinzugefügt
  • „bei d. Musik angeleget)“unter der Zeile hinzugefügt
  • „angeleget“unsichere Lesung
  • „… Eiligst Ihr C. Klein“am Rand, quer zur Schreibrichtung

Einzelstellenerläuterung

  • alrecte „all“.
  • „… des Freischützen , gestrichen sei“Gemeint sind die T. 231‒251 im Finale III Nr. 16.
  • „… in s. W. (Pag. 1820“Von Jähns korrigiert in: 303.
  • „… Solche ja erst v. Feckert“Jähns korrigierte, dass die „gestochene Partitur bei Schlesinger mit Webers Portrait“ von Gustav Heinrich Gottlob Feckert (1820‒1899) erschien.
  • „… wurde daher oftmals v. Lumby“Hans Christian Lumbye (1810‒1874).
  • „… mache bei dem Director Triepcke“Vermutlich der Weberei-Direktor Wilhelm August Eduard Max Triepcke (1834–1891).

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.