Carl Maria von Weber an Friedrich Rochlitz in Leipzig
Dresden, Samstag, 30. Januar 1819

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S. Wohlgebohren

dem Herrn Hofrath Fried: Rochlitz

zu

Leipzig.

Mein theurer Lieber Freund!

Der Tag vor Ihrer Abreise, an dem ich noch so sicher darauf rechnete Sie besuchen zu können, wurde mir ein sehr schmerzvoller an dem ich mein Haus nicht verlaßen konnte*. Es ergab sich nehmlich die Gewißheit daß meine gute Frau nicht weiter stillen konnte, eine Nachricht die sie unendlich beugte; es war die höchste Zeit eine Amme herbey zu schaffen, eine kam, gieng weg nach ein paar Stunden, und kam nicht wieder, neue Sorge und Angst, und so fort bis jezt, wo die 2te Amme auch die Milch verlohr, und wir nun ein hübsches hoffentlich braves Wesen haben, bei dem unser Kind gedeihen soll*.      Ich bin nun von dieser ewigen Unruhe mehr angegriffen als ich es meiner Frau gestehen darf. Habe mich einem totalen Müßiggange ergeben, der mir aber auch nicht viel hilft, weil ich ihn haße und meine leere Zeit nicht mit erquikkendem Gespräch ausfüllen kann — — Nun es wird alles wieder gut werden, denn es ist nun auf dem besten Wege und somit erwarte ich denn ziemlich beruhigt des Beßern das da kommen soll.

Ueberbringer dieses unsern braven Sänger Sassaroli Ihnen erst empfehlen zu wollen wäre überflüßig, Ihm aber den so sehr gewünschten Zutritt zu Ihnen zu bahnen konnt ich ihm nicht versagen, und somit sey er Ihrer Güte nochmals bestens empfohlen.      Er wird das zu meiner ersten Missa gehörige Offertorium in Leipzig singen*.

d: 17t wurde meine neue Missa mit dem Morlachischen Offert: gegeben, und d: 24t ganz wiederholt*. Sie machte die gehoffte Wirkung, und besonders auf die Kapelle seltsamen Eindruk wegen der gänzlichen Verschiedenheit mit der vorigen.

Von Oben, wurde sie hingenommen, wie ein pflichtschuldigst hingegebenes Stük leeres FließPapier. Nicht einmal ein Wörtchen Dank für die Aufmerksamkeit – – der K. meinte sie hätte ihm nicht mißfallen, aber freifreylich sei immer noch etwas Beethovensches |!| drin, | /: welcher als das böse musikalische Prinzip angesehen wird, obwohl man ihn eben so wenig da oben kennt, als den Teufel :/. Nun, auch gut – ich bin nun fertig; habe das meinige gethan, ja, erschöpft, und damit Punktum.      Ich werde meine Pflicht als ehrlicher Mann thun, das versteht sich, aber auch kein Deutchen mehr, und so viele Zeit ich für die Welt und meine Ruhe gewinnen kann, werde ich zu erhalten suchen.      denn da die Nichtsthuenden gleich geachtet, und die Thätigen nicht geachtet werden, so wäre man sein eigener Feind über die strengsten Gränzen des pflichtschuldigsten hinauszugehen. – Punktum! das wird demohngeachtet meine Liebe und treue Anhänglichkeit nicht mindern, nur mir […] anzeigen wie weit ich zu gehen habe um nicht zudringlich zu erscheinen. Im Theater haben wir unterdeßen Aschenbrödel 4 mal bey brechend vollem Hause*, und Vorgestern Dr: und Apotheker gegeben*. beides wirklich gut.

Ich bemerke so eben daß dieser Brief einer Jeremiade* so ähnlich sieht wie ein Ey dem andern, aber ich weis auch daß mein theurer Freund, Antheil an meinem Lebensgetreibe nimmt, und daß es da Pflicht ist sich immer wahr zu geben.

Wir haben immer noch Hoffnung unsern guten Baron Gutschmidt – wenn auch nicht gleich hier zu behalten, doch wenigstens wieder zu bekommen: wie doppelt erfreulich mir dieses ist wegen der schönen Hoffnungen die ich daran knüpfe, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu versichern.

Meine Frau, läßt durch mich ihre besten herzlichsten Grüße darbringen, denen ich die meinigen vereine. Gott erhalte Sie beide gesund und zufrieden, und behalten Sie lieb      Ihren unveränderlich treuen Weber

Apparat

Zusammenfassung

teilt mit, dass Schwierigkeiten bei der Beschaffung einer Amme für seine Tochter ihn von einem Besuch vor Rochlitz’ Abreise abgehalten haben; empfiehlt den Überbringer des Briefes, Sassaroli, der in Leipzig das Offertorium aus Webers 1. Messe singen werde; berichtet über Aufführung seiner neuen Messe in Dresden; klagt über mangelnde Achtung seitens des Hofes; betr. Opernaufführungen in Dresden; betr. Baron Gutschmidt

Incipit

Der Tag vor Ihrer Abreise, an dem ich so sicher darauf rechnete

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Weimar (D), Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv (D-WRgs)
    Signatur: GSA 80/58

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl.? (3 b. S. einschl. Adr.)
    • unter der Unterschrift Vermerk von Rochlitz (Tinte): „(Maria v. Weber.)
      Rchz.“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • John, Hans: Carl Maria von Weber - Unveröffentlichte Briefe an Carl Bertuch und Johann Friedrich Rochlitz, in: Sächsische Heimatblätter, 1977, Heft 5, S. 225–226 (mit Faks.)
    • John, Hans: Carl Maria von Weber - Unveröffentlichte Briefe, in: BzMw, Jg. 20 (1978), S. 195–198

Textkonstitution

  • „frei“durchgestrichen
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar

Einzelstellenerläuterung

  • „… mein Haus nicht verlaßen konnte“Gemeint ist der 9. Januar 1819, vgl. Tagebuch.
  • „… dem unser Kind gedeihen soll“Nachdem die am 9. Januar zuerst gerufene Amme ihren Dienst verlassen hatte ohne aufzukündigen, wurde noch am selben Tag Johanna Dorothea Paulisch engagiert, der ab dem 28. Januar Johanne Friederike Hensch als Amme folgte.
  • „… gehörige Offertorium in Leipzig singen“Sassaroli sang das Offertorium am 8. Februar 1819 im Konzert in der Leipziger Universitätskirche; vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 62 (13. März 1819).
  • „… d: 24 t ganz wiederholt“Das unterstrichene „ganz“ bezieht sich offenbar auf das bei der ersten Aufführung am 17. Januar 1819 nicht erklungene Offertorium „In die solemnitatis“.
  • „… mal bey brechend vollem Hause“Aschenbrödel erlebte nach der Erstaufführung am 16. Wiederholungen am 17., 24. und 26. Januar; vgl. die Berichte in der Abend-Zeitung vom 29./30. Januar und 12. Februar 1819.
  • „… Vorgestern Dr: und Apotheker gegeben“Vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 19. Februar 1819.
  • „… daß dieser Brief einer Jeremiade“Klagelied.

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