Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Berlin, Donnerstag, 11. bis Samstag, 13. August 1814 (Nr. 11)
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Nachts 12 Uhr.
Abermals 2 Tage vorüber, und noch keine Zeile von dir. ich versinke in ein so dumpfes Brüten, daß mir ganz die Gedanken vergehen, eine schmerzliche Bitterkeit regt sich in meinem Innern und ich bin mir selbst verhaßt; ich feinde mich an und mißgönne mir das schöne Gefühl das in meiner Brust liegt. Es ist als ob ein schaden froher Teufel in meiner Seele haußte, der sich so recht freuen würde mich recht elend zu sehen, da ich den kühnen Gedanken an Menschliches Glük und Freude wagte. Ich kann nicht schlafen, und doch auch eigentlich dir nicht schreiben, denn was ich fühle ist so verworren daß es sich nicht sagen läßt, und doch habe ich den Drang mit Dir zu plaudern, möchte immer nur an dich schreiben, und wenn ich so da sizze so kaue ich an der Feder und das Heer von Ideen das in mir tobt hält jede einzelne zurük sich ruhig zu entwikkeln.
ich bin nun schon 10 Tage hier, von allen Seiten bemüht man sich mir Freude zu machen, mir Beweise von Anhänglichkeit und Achtung zu geben. ich habe mich durch die Neuheit dieses Bestrebens daß mir seit lange so fremd geworden, die ersten 2 Tage aus meinem Trübsinn aufrütteln laßen, und faßte schon die schönsten Hoffnungen zur gänzlichen Rükkehr meines heiteren Gemüths; aber vergebens, ich bin recht undankbar gegen alles was mich umgiebt, und ich sehe es allen Menschen an wie wehe ihnen die Kälte und anscheinende Antheillosigkeit mit der ich alles hinnehme und empfange, thun muß. Aber ich kann nicht anders. Wenn ich je Schwärmer oder Empfindler gewesen wäre so würde ich es begreiffen, wie man so ganz in Starre Weichheit versinken kann, aber an mir ist mir dieß unbegreifflich, und ich möchte mich oft mit Gewalt bey den Haaren faßen und aufreißen aus diesem elenden vernichtenden Brüten.
Meine Freunde sehen mich oft bedenklich an, einige fragten geradezu und die Weiber nekken mich, und wollen duchaus wißen wo ich meine frohe Laune gelaßen. ich versichere ihnen dann so lange daß ich noch eben so lustig wie sonst sey, und vielleicht nur meine | Kränklichkeit mich Ernster aussehen mache, – bis sie es nicht mehr wagen, mich zu fragen oder zu quälen. dann thut es mir leid und ich gebe mir Mühe froh zu scheinen, bin es auch auf Augenblikke, aber es erlischt sogleich wieder, denn die Seele hat nicht mehr Kraft zu diesem frohen Aufschwunge.
d: 9t war ich in der Vestalin*. die schlecht gieng, aber herrlich von Seiten der Tänze und Decorat: gegeben wurde. Es wurden viele Sachen darin gemacht die bey uns wegbleiben. Sie dauerte aber auch von 6-3/4 10 Uhr. Dann soupirte ich bey Gerns mit Lichtenstein.
d: 10t früh arbeitete ich, von 12-2 machte ich Visiten, dann fuhr ich aufs Land zu dem Banquier Beneke wo ein großes Diner von beynah lauter Engländern war. herzlich lang und langweilig. Dazwischen besah ich den Botanischen Garten, und kam um 10 Uhr nach Hause, wo ich mich ganz ermüdet schlafen legte. besonders weil mir meine Augen seit einigen Tagen ziemlich wehe thun.
Heute, habe ich auch gearbeitet, Mittag bey Beers gegeßen und den Abend im Thiergarten bey Prof. Gubiz zugebracht der mir vieles vorlas zur Composit: und überhaupt viel intereßantes abhandelte. Wenn ich so in die PhantasieWelt hineingezogen werde vergesse ich mich wohl zuweilen ganz, und lebe darinnen, aber es bedarf nur eines Augenbliks mich wieder in die schnöde Wirklichkeit zurükzustoßen. — —
Nun gute Nacht, mein liebes theures Leben, meine Augen versagen mir Ihre Dienste, und ich muß aufhören. Gott schenke Dir eine ruhige sanfte Nacht, und denke mit Liebe an Deinen treuen Carl. Gute gute Nacht.
Endlich, Gott sey Dank, wieder die Schriftzüge deiner lieben Hand. Gestern Nacht wie ich von Pankow zurükkam fand ich Deine beyden Briefe vom 3 und 6t August No: 8 und 9. Entweder hast du dich in den Nummern geirrt oder es ist ein Brief verlohren, denn No: 7 habe ich keinen. aber dagegen Zwey No: 5, und da hast du dich hoffentlich nur verschrieben. Auch mir scheint der Postenlauf‡ unrichtig sonst könntest Du unmöglich meinen | No: 6 und 7 zugleich bekommen haben. hast Du denn No: 5 erhalten? davon erwähnst du kein Wort, so wie du überhaupt meine Briefe selten beantwortest. Die Furcht dich krank zu wißen ist dem Himmel sey Dank nun von meiner Seele genommen, aber ich müßte unwahr sein, wenn ich sagen wollte daß nicht diese 2 Briefe mein peinliches Gefühl meiner düstern Stimmung noch erhöht hätten. Du bist abermals so räthselhaft; – der Zwang froh scheinen zu wollen leuchtet so deutlich hervor, du bist so bitter liebevoll daß ich Dich im Geiste immer dabey mit dem schreklichen Gesicht des 4t July unabwehrbar sehe.
Du besinnst Dich nur, wie den andern Tag fröhlich beginnen und enden. ich würde Dich kaum mehr kennen ich soll dich Gelegentlich von meinem Befinden unterrichten. pp
Liebe theure Lina, wann wird endlich diese Folternde Bitterkeit, dieß ewige Mißverstehen, dieß aufsuchen der quälendsten Gefühle enden? 1000mal habe ich mir schon vorgenommen kein Wort mehr darüber zu sagen, weil ich es eigentlich klein von mir finde zu klagen, aber wenn ich mich so hinsezze dir zu schreiben, voll der reinsten besten Gefühle bin, und dann deinen Brief durchlese. dann ergreifft mich wie des heftigsten Fiebers Gewalt, diese schrekliche Empfindung daß du in einer ewigen selbstgeschaffenen Unruh recht wollüstig dir die schmerzhaftesten Wunden reißt und darin wühlst, daß du mir ewig mystisch gegenüber stehst, daß auch eben so oft dein beßeres Selbst auflodert, dieß alles einsieht, es wieder gut machen möchte voll der besten Entschlüße ist, und in demselben Augenblikk wieder in dieß selbstmordende schwarze Brüten versinkt, aus dem heraus es nur Betrug und Heucheley sehen will, und Niemand, ja sich selbst, nicht mehr traut.
Der Ton und die Worte in denen Du mich auffoderst froh zu sein, und die Zeit zu genießen; klingt gerade so als ob du mir eine vielleicht heitere Stunde mißgönntest, oder als ob du auch mir‡ zeigen wolltest daß du nun ebenfalls nach denen Grundsäzzen von denen Du mich erfüllt glaubst, und von denen du endlich eingesehen hättest daß es die bequemsten, die besten wären, – lebst, oder leben willst, und indem du dich erniedrigst und scheinbar zu | mir herabsteigst, hoffst du mir die Larve vom Gesicht zu ziehen, du erwartest daß ich jubelnd in Deinen Ton einstimme, ihn billigen, und froh sein soll daß du endlich das rechte eingesehen. —
Oder hältst Du mich für einen so elenden Schwächling oder Narren, daß ich, hielte mich nicht freye Neigung und Willen, doch die Liebe heuchelte, und nun wie ein niedriger Sklave hinter dem Rükken meines Zuchtmeisters die paar Tage benuzze und ins Zeug hinein lebe, weil meiner doch später wieder die Kette harrt? Sieh! Du kannst nicht läugnen daß alles dieses die Grundzüge deines Denkens von mir, und über mich sind. Stelle nun wenn du kannst mein Gefühl dagegen, der ich das alles durchstehe und dich liebe. — — —
Und nun liebe Lina, will ich auch nichts mehr sagen, denn wer könnte dieß auch erschöpfen oder ändern, noch einmal riß es mich dazu hin, da ich selbst nach meinem lezten Briefe dich in demselben Zweifel Labyrinth irren sehe, und so gern jenes Beruhigung geben möchte die allein das Glük unseres Lebens begründen kann. ich kann nichts weiter mehr thun, ich werde immer derselbe bleiben und vielleicht bringt eine lange Zeit die herrliche Frucht hervor, die ich vergebens durch meine Liebe und mein Betragen zu geben hoffte.
Es freut mich von Herzen, daß das Benefiz Deines Bruders gut ausgefallen ist, so daß er doch vielleicht nicht ganz unzufrieden Prag verlaßen hat. daß die Oper gut gieng*, habe ich von einem Augenzeugen gehört, und ist mir sehr lieb, damit ich doch einigen Trost habe. Die Leute werden nun bald einsehen daß ich entbehrlich bin, und wenn ich zurükkomme werden sie sich sogar darüber wundern, weil es unnöthig gewesen wäre. Liebichs werden nun wohl zurük sein, und vielleicht hat mein Mukkerl schon heute Mittag aus meinem Glase getrunken. Daß du dich so ganz von der | Bach zurükziehst ist doch nicht gut, du hast so gar keinen weiblichen Umgang, und troz allen ihren Fehlern möchte Sie doch von seiten des Herzens die beste sein; wenigstens hast du mich das sehr oft versichert. ich glaube übrigens gern daß Sie durch den Einfluß ihres gebietenden Herrn etwas mürrischer geworden ist, aber es sollte mir wirklich leid thun, euch ganz getrennt zu wißen.
Wegen dem SonnenUntergang werde ich dir mündlich meine Erfahrungen und Meinungen mittheilen, da es hier theils zu weitläufig und theils doch undeutlich werden würde*.
Meinen gestrigen Tag, habe ich theils mit Arbeiten, und theils von 5 Uhr an in Pankow, bey dem 2t Jordan* zugebracht, wo ich viel gespielt habe, und ein paar Meßen, und mehrere Stükke aus Silvana gemacht wurden.
Silvana soll binnen hier und 14 Tagen gegeben werden. wenn es vor meinem Concert geschieht soll es mir lieb sein. da es das Publikum wieder an mich erinnern würde. Aus der Beylage kannst Du sehen, daß die Berliner Notiz von mir nehmen.* Leider habe ich mein Concert bis auf den 26t verschieben müßenT, da in dieser Woche der König denen Rußischen Garden, eine freye Komödie eine große Oper, /: frey :/ und einen Ball giebt. Wo denn die Leute den Kopf zu voll haben werden, um noch was anderes zu besuchen. und d: 24t ist Stralows Fischzug ein großes Volksfest.‡ So giebt es immer etwas zu berüksichtigen selbst mit dem besten Willen von allen Seiten. Nach meinem Concert werde ich mich bald empfehlen, und nur suchen noch mehrere Arbeiten zu vollenden und gleich meinem Verleger abzuliefern. Heute arbeite ich den ganzen Tag, und ich würde noch mehr thun können, wenn nicht meine Augen und mein Kopf mich zuweilen zwängen, Pausen zu machen.
Die Ruhe, so einen ganzen Vormittag für mich zu haben, thut mir sehr wohl, und meine Geschäfte, Papiere pp kömmt endlich einmal wieder nach und nach in Ordnung. Es ist | nur Jammerschade um die schöne Zeit, die mit den dummen Visiten die doch unumgänglich für einen Concert gebenden nöthig sind, – verschleudert wird. Indem ich von Zeit Verderb spreche, komt eine derley Visite und ich muß schließen.
Lebe wohl, gesund, und ruhig, mein geliebtes Mukkerl, könntest Du in mein Herz sehen, so bin ich überzeugt daß der reinste Frohsinn Dich überströmen würde. Grüße die Mutter aufs beste von mir, und behalte lieb, Deinen unveränderlich Dich innigst liebenden C:
Welch glüklicher Zufall daß dieser Brief noch nicht auf der Post war, als ich deinen lieben freundlichen Brief No: 10 vom 7t huj: erhielt, und sogleich noch dir sagen kann, welche herzliche Freude und Ruhe er mir gebracht hat. Lichtenstein der eben bey mir saß verwunderte sich ganz über die Heiterkeit die sich über mein ernstes Gesicht verbreitete, und nahm herzlichen Antheil an meinem wiederkehrenden Frohsinn, läßt dich auch schön grüßen. ich werde mich übrigens hüten dir zu viel von ihm zu schreiben, damit du ihn nicht etwa zu lieb gewinnst. Sieh, Mukkerl das ist natürliche Heiterkeit und Ruhe die aus diesem Briefe spricht, und wie glüklich wäre ich, und werde ich sein, bestätigt mir die Folge die Dauer dieser herrlichen beglükenden Stimmung.
ich werde mich hüten wieder etwas zu unterstreichen, außer etwas recht Gutes, unterstreiche nur nicht selbst in Gedanken unrichtig. Ach Lina, wenn ich dich jezt so beym Kopf nehmen könnte, und so lange küßen bis Du nicht mehr wolltest. —
Den seeligen Kaliphen bedaure ich von Herzen, denn es war ein guter Kerl, und muß ihm arg mitgespielt worden sein, daß er zu Grunde gieng. Du hast Recht daß Liebichs Sorglosigkeit unbegreifflich ist, aber es ist sein eigner Schade, und dagegen läßt sich nichts sagen.*
Daß deine Gäste noch nicht fort sind, und sogar du nicht weißt wann sie gehen, ist mir unbegreifflich, und ängstlich zugleich für dich. Welch neue Hinderniße sind denn da wieder eingetreten?
Daß du unser liebes blaues Stübchen verlaßen hast, genirt mich entsezlich, denn ich kann mir dich nun gar nicht denken, wo Du sizzest und arbeitest pp. Wenn ich komme wird wohl alles wieder auf den alten Flek gesezt.
Nun muß ich aber schließen, denn der Bediente sieht mir schon ängstlich auf die Hände. Lebe recht wohl, mein theures geliebtes Leben, und erfreue bald wieder so deinen nur durch dich glüklichen Carl.
Apparat
Zusammenfassung
Briefbeginn in niedergeschlagener Stimmung wegen ausbleibender Briefe; Bericht über Berliner Erlebnisse seit 9. August; zweiter Teil nach Erhalt von Briefen Caroline Brandts; über sein geplantes Konzert und Silvana-Aufführung
Incipit
„Abermals zwei Tage vorüber, und noch keine Zeile“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II A a 1, Nr. 4Quellenbeschreibung
- 1 DBl. u. 1 Bl. (6 b. S. o. Adr.)
- Siegelrest
- am oberen linken Rand Bl.1r Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns (Tinte): „Eigenhändig von Carl Maria von Weber an seine Braut. - -F. W. Jähns.“
- in der Datumzeile Bl. 1r von F. W. Jähns ergänzt (Tinte): „(Berlin)“ bzw. am Ende: „(1814)“
- auf Bl. 3r im oberen Drittel von F. W. Jähns (Tinte): „Gehört zu No 11. Berlin. | 11. Aug. 1814“
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 76–86 (Nr. 9)
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„… Auch mir scheint der Postenlauf“Dreifach unterstrichen
-
„mir“über der Zeile hinzugefügt
-
„… Stralows Fischzug ein großes Volksfest.“Begonnener ursprünglicher Wortteil nur sichtbar, aber nicht lesbar
-
„… “Nachschrift auf Bl. 1r oben links in umgekehrter Schriftrichtung:
Einzelstellenerläuterung
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„… daß die Oper gut gieng“Caroline hat ihm möglicherweise über die Aufführung von Figaros Hochzeit am 1. August 1814 berichtet, in der ihr Bruder Louis als Benefiz die Titelpartie als letzte Gastrolle gab.
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„… theils doch undeutlich werden würde“Vermutlich bezogen auf die partielle Sonnenfinsternis am 17. Juli 1814; vgl. u. a. Von den Finsternissen des Jahres 1814, in: Astronomisches Jahrbuch für das Jahr 1814. nebst einer Sammlung der neuesten in die astronomischen Wissenschaften einschlagenden Abhandlungen, Beobachtungen und Nachrichten, hg. von J. E. Bode, Berlin 1811, S. 83–85 sowie Allgemeine Zeitung, 1814, Nr. 202 (21. Juli), S. 807.
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„… dagegen läßt sich nichts sagen.“Bezogen auf die Prager Erstaufführung des Kalif von Bagdad am 7. August 1814.