Carl Maria von Weber an die Familie Türcke in Berlin
Prag, Sonntag, 14. November 1813

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S: Wohlgebohren

des Herrn JustizComissarius

Türcke

zu

Berlin

SchinkenPlaz.

Liebe Türken Familie!

Ich stekke wieder bis über die Ohren in Schuld gegen Sie, denn ich habe 3 fette Briefe von Ihnen unbeantwortet vor mir liegen, und meine Ruchlosigkeit geht so weit daß ich mich nicht einmal entschuldigen will, weil darüber auch wieder die Zeit vergehen würde die ich zu diesem Brieflein erhascht habe.      daß ich übrigens diese Zeit über nicht auf der faulen Bärenhaut gelegen will ich Ihnen dadurch beweisen daß ich seit dem 15t August wo die Proben anfiengen*, Cortez, Joseph, die Vornehmen Wirthe, Uthal. die Vestalin, den Wasserträger, Faniska und das Lotterieloos aufs Theater gebracht habe*.      Nun zu Beantwortung Ihrer Briefe.

No: 1 vom 30t July habe ich d: 15t August erhalten. Sie hatten mich darin Todt gemacht, und das freute mich, denn es ist immer ein Zeichen daß sich die Menschen mit einem beschäftigen.      Die gute Aufnahme meines Abu Hassan danke ich meinen guten Berlinern von Herzen*. Er wurde beynah zu gleicher Zeit in Wien mit gutem Erfolg gegeben*. Herr KapellMster Weber hatte auch die Güte mir seine Aufführung anzuzeigen und machte mir zugleich die Hoffnung ihn im October hier zu sehen. in meiner Antwort rieth ich ihm zwar wo möglich etwas später zu kommen, da wir eben nicht in der Musikalischsten Stimmung waren. Er hat mir aber seitdem nicht mehr geschrieben. Freund Türk würde mir also einen großen Gefallen thun ihn zu fragen ob er jezt nicht kommen könnte, der Monat Dezember ist immer noch so das beste, oder dann die FastenZeit*. auch bitte ich ihn es mir nicht ungütig zu nehmen daß ich ihm jezt nicht selbst schreibe, ich habe aber so wenig Zeit, daß ich froh bin wenn diese paar Worte da stehen.

Des armen Schnips Krankheit habe ich recht von Herzen bedauert, den[n] ich weis aus Erfahrung wie das thut. — Wegen dem Unterricht im Generalbaß meyne ich kann es immer nicht schaden, und Rungenhagen ist in jedem Fall im Stande ihr nüzlich zu sein. No: 2 vom 28t August erhielt ich d: 12t Sept: 1000 Dank für die getreue Relation aller Krieges Spektakel um Sie herum*. Sie können gar nicht glauben wie anziehend für mich der ich das Locale so genau kenne diese Details sind, und wie sehr ich mich dadurch an einen Ort versezt fühle, in dem ich vielleicht für lange Zeit die lezten frohen Tage erlebte. Auch Wir haben die schreklichen Anhängsel des | des Krieges, den Jammer der Kranken und Verwundeten in vollem Maaße genoßen über 30 000 Bleßirte haben wir bis jezt verpflegt. auch die Gefahr war uns auf dem Nakken und hat vielen Menschen Sorgen und Kummer gemacht. ich war wie immer gleich resignirt und gefaßt, obwohl es mich etwas geärgert haben würde wenn mir die Herren Franzmänner meine neuen Möbels rouinirt hätten*. der Himmel hat es aber so gut gemacht, daß wir nur mit Freuden Amen dazu sagen können.

Von Mosern hatte ich zwar oft schon in Berlin zweideutig sprechen hören, doch hätte ich auch seinem VollmondsGesichte mehr Ehrlichkeit zugetraut.

No: 3t vom 2t 8ber habe ich d: 12t erhalten, und hätte wirklich gleich geantwortet denn ich fieng schon an mich etwas zu tode zu schämen, wenn ich nicht erst hätte Ihren Auftrag wegen Herbig ausrichten wollen. der ließ sich aber nicht sehen; und ich konnte ihn nicht finden. So vergieng ein Tag nach dem andern. endlich erwischte ich ihn und aus der Beylage werden Sie die Erfüllung Ihres Auftrages ersehen.      Es geht ihm übrigens seine Kränklichkeit abgerechnet recht gut, er bekömt Arbeit und hilft sich so fort.

Silvana hat also durch die Gemmel gewonnen* und erhält sich auf dem Repertoir. das macht mir recht viel Freude. ich habe jezt Hoffnung ein treffliches Opernbuch von Rochliz zu erhalten da will ich denn fleißig dran sein, und es in Berlin oder Wien zuerst auf die Bühne bringenT.

Componirt habe ich übrigens seit langer Zeit nichts, und Klavierspielen glaube ich kann ich gar nicht mehr. denn es wurde mir schon d: 14t September wo ich ein Concert für die BleßirtenT gab ganz sauer mein Concert herunterzuhaspeln. Riekchen soll sich daran kein Beyspiel nehmen, sondern recht fleißig exerziren. ich habe eine neue Sonate in As dur im Kopfe die soll Sie dann auch haben.

Von meiner lieben guten Koch, von Wollank, Beers pp höre und sehe ich nichts. ich kanns übrigens Niemand verdenken den[n] ich habe lange nicht geschrieben, nun will ich aber in kurzer Zeit alles einholen. Grüßen Sie mir alle herzlichst und daß es meine einzige Erholung ist an die Zeit zurük zu denken die ich mit ihnen verlebte.

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Wenn Freund Türk gelegentlich Schleßinger fragen wollte ob er ein neues Klavier Concert, die Variat. für Klavier und Klarinette pp haben will, so würde er mich dadurch verbinden, denn ich würde ihn dann auch bitten die Gelder von Schleßinger zu übernehmen.

Nun liebe Freunde muß ich schließen, der Himmel erhalte Sie gesund und zufrieden, und errinnert Euch zuweilen Eures entfernten treuen Freundes Weber.

Apparat

Zusammenfassung

betr. Prager Aufführungen; Aufführung von Abu Hassan und Silvana; Kriegsfolgen; Operntext von Rochlitz; Druck von Werken bei Schlesinger; Plan für As-Dur-Sonate

Incipit

Ich stekke wieder bis über die Ohren in Schuld gegen Sie

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: N. Mus. ep. 1534

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest und -loch
    • Zusatz (von frd. Hand) am Briefkopf: „Nro 6

    Provenienz

    • lt. Schnoor, Stargardt, Kat. 549 (1960), Nr. 531

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Hirschberg77, S. 55–56

Textkonstitution

  • Wir„mir“ überschrieben mit „Wir
  • „des“sic!
  • „hätte“über der Zeile hinzugefügt
  • „gelegentlich“unsichere Lesung
  • „… Wenn Freund Türk gelegentlich“Wort durch Siegeleinriß beschädigt, fehlende Buchstaben kleben lesbar am Siegelrest

Einzelstellenerläuterung

  • „… August wo die Proben anfiengen“Eine erste Quartettprobe (Streicher) notierte Weber im Tagebuch bereits am 2. August, zwei weitere am 12. August (mit Chor) bzw. 13. August.
  • „… Lotterieloos aufs Theater gebracht habe“Premieren (in der Reihenfolge der Nennung) am 9. September, 26. September, 19. September, 19. Oktober, 3. Oktober, 17. Oktober, 7. November und 21. November 1813; vgl. den SpielplanT .
  • „… meinen guten Berlinern von Herzen“Berliner Erstaufführung am 28. Juli 1813; vgl. die Presseberichte.
  • „… Wien mit gutem Erfolg gegeben“Premiere im Theater an der Wien am 28. Mai 1813; vgl. die Presseberichte.
  • „… beste, oder dann die FastenZeit“In C. M. von Webers Tagebuch finden sich keinerlei Hinweise, dass Anselm Weber 1814 nach Prag reiste.
  • „… Krieges Spektakel um Sie herum“Der erneute Einmarsch französischer Truppen in Berlin konnte in der Schlacht von Großbeeren (23. August) sowie der Schlacht bei Hagelberg (27. August 1813) verhindert werden.
  • „… meine neuen Möbels rouinirt hätten“Die antinapoleonische Allianz der österreichischen, russischen und preußischen Truppen siegte am 29./30. August 1813 in der Schlacht bei Kulm gegen die französischen Truppen; die befürchtete französische Besetzung Böhmens (und somit auch Prags) konnte somit abgewendet werden.
  • „… also durch die Gemmel gewonnen“Ab 28. September 1813 gab in Berlin Wilhelmine Gemmel die Titelpartie in der Silvana; vgl. die Besprechung in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 1813, Beilage zu Nr. 122 (12. Oktober).

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