Friedrich Wilhelm Jähns an Catherine Countess of Essex Capell-Coningsby in London
Berlin, Montag, 7. Oktober 1867

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


An Lady Essex, geb: Miss Stephens, Sängerin 1826,
welcher C. M. v. Weber seine letzte Composition schrieb:
einen Songaus Lalla Rookh
Text von Thom. Moore.

Hochverehrte gnädigste Lady.

Wenn ich mir erlaube, als ein Ihnen ganz Fremder in diesem Schreiben mit einer Bitte zu nahen, so hoffe ich, werden Sie, hohe Frau, mir verzeihen, wenn ich als Grund davon nenne: die Liebe zu edelster Kunst, Bewunderung und begeisterte Verehrung zu einem ihrer ersten Träger, und wenn ich zugleich die Erinnerung in Ihnen wach zu rufen so kühn bin für den edlen Geist:Carl Maria von Weber, dem Sie einst von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen, dessen Augen Sie einst von dem unsterblichen Feuer leuchten sahen, welches mit ewiger Flamme in den Seelen derer glüht, die gottbegabt ihr Leben der Verklärung des Menschenthums durch die Kunst geweiht haben.

Gestatten Sie, hochverehrte Lady, daß ich, um meine Bitte tiefer zu begründen, etwas weiter zurückgreife. – Geboren in einem musicalischen Hause, wurde ich schon als Knabe von den mich besonders ergreifenden Tonweisen Carl Maria von Weber’s vorwiegend angezogen, bis dieser große Meister sein wunderbares Werk: den Freischütz am 18. Juni 1821 zum erstenmale in meiner Vaterstadt Berlin selbst aufführte. Der Eindruck auf die ganze germanische Welt war ein bis dahin beispielloser, noch nie dagewesener, der sich bald auf alle übrige gebildete Nationen, über alle civilisirte Länder verbreitete; – Ich war so glücklich dieser ersten Aufführung dieses in der Kunstspähre welthistorischen Meisterwerks beiwohnen zu können. |

Was Wunder, daß es den 12jährigen Knaben mit allen seinen Zaubern in seine Kreise bannte und die junge Seele für immer der Kunst gewann. – Mit den Jahren und mit den später erscheinenden Werken des Meisters, mit der immer tieferen Erkenntniß der Größe und dem wahren Werthe derselben wuchs und wuchs meine begeisterte Liebe für den Schöpfer so außerordentlicher Kunsterscheinungen; in ihnen fand die eigne Seele sich wunderbar verklärt wieder, und keine Zeit, keine neue Erscheinung hat sie dem einmal als groß und herrlich Erkannten je wieder abwendig machen können, wie das wohl öfter vorkommt. Ich blieb dem einmal mir zur Wahrheit gewordenen Schönheits-Ideale treu, und der 58jährige Mann glüht in derselben Wärme für diese hohen Schöpfungen, wie der damalige 12 jährige Knabe. –

Mein Leben wurde, wenngleich allen anderen Kunsterscheinungen mit Wärme zugewendet, doch gewissermaaßen ein Kultus, geweiht Weber’s Werken, die ich durch Aufführungen mit einer unter meiner Leitung stehenden Akademie für Gesang wie durch mündliche Überlieferung den Kunstjüngern in ihrer ursprünglichen Reinheit der Auffassung zu erhalten bestrebt blieb. Im Jahre 1829 machte ich die Bekanntschaft mit der Wittwe des 1826 in London dahingeschiedenen Meisters, und bis heut dauert die engste freundschaftliche Verbindung mit seinen Hinterbliebenen fort. So erschloß sich mir der ganze Schatz seiner hinterlassenen Papiere. – C. M. v. Weber’s sämmtliche | Tagebücher, etwa 800 ungedruckte Briefe von ihm an seine Gattin und seine Freunde, voll der wichtigsten und interessantesten Kunst-Notizen, und eine große Anzahl seiner Compositionen im Autograph bilden den hauptsächlichen Theil davon, welches alles mir damit zugänglich wurde. Das darauf folgende immer tiefere Eindringen in Weber’s Wehen und Wirken ließ mich nun vor etwa 4 Jahren einen Gedanken fassen, den zu verkörpern ich immer mehr und mehr als die Hauptaufgabe meines Lebens erkannte. Es ist dies die Abfassung eines Werkes über die Compositionen Weber’s mit folgendem Titel: Chronologisch-thematisches
Verzeichniss sämmtlicher Tonwerke C. M. v. Weber’s.
Nebst Angabe
der verloren gegangenen, unvollständigen, zweifelhaften und unterge-
schobenen Compositionen desselben.
Begleitet:
1.) von einer Beschreibung der vorhandenen Autographe,
2.) von einem Verzeichniß der sämmtlichen bis 1867 erschienen[en] Ausgaben
in Deutschland, wie der hauptsächlichsten in England, Frankreich,
Italien, Spanien, Holland und Dänemark.
3.) von auf die Werke bezüglichen wichtigsten Notizen aus Weber’s
hinterlassenen Correspondenzen, Tagebüchern u. sonstigen Schriftstücken.
wie 4.) ferner, von einer Charakteristik der vollständigen gedruckten
und ungedruckten, oder größeren Theils vorhandenen ungedruck-
ten Werke des Componisten, in fremden und eignen Urtheilen.
|

In dieser Arbeit glaube ich alles erschöpfen zu können, was sich Interessantes und Bemerkenswerthes über Weber’s Werke nach allen Richtungen hin beibringen läßt, und ich hoffe nicht nur, ihm damit ein würdiges Denkmal zu setzen, sondern auch der Kunstwelt ein eben so wahres als nützliches Bild seiner Wirksamkeit geben zu können. – Ohne mir schmeicheln zu wollen, halte ich kaum Jemanden anderen in der Lage, für diese Arbeit so befähigt zu sein als mich; denn Niemand hat ein solches allumfassendes Material, niemand glaube ich, hat eine so genaue Kenntniß aller Tonwerke Weber’s, (denn ich habe ihnen meine ganze Lebenszeit gewidmet); niemand, – und das kann ich fest behaupten, hat eine gleiche Liebe und Ausdauer für die Sache.

Nun, hochverehrte Lady, wende ich mich zu der Bitte, die ich im Hinblick auf dies Werk an Sie zu richten so kühn bin. –

In Ihrer Hand ruht ein Schatz, nach welchem meine Augen sehnsuchtsvoll seit dem Tage blicken, wo vor jetzt 41 Jahren Weber in das ewige Licht hinüberging. – Dieser Schatz ist auf einem Notenblatt enthalten, auf welchen der Meister die Singstimme des Songaus Lalla Rookh „From Chindara’s warbling fount I come“ notirte. |

Diese Arbeit ist der letzte musicalische Ausfluß seiner melodieenreichen Seele, es sind die letzten Schriftzüge seiner theuren, geliebten Hand, die ich niemals habe küssen dürfen, so glücklich es mich auch gemacht haben würde. Kein Mensch auf der weiten Welt sehnte sich je so nach ihrem Anblicke, wie ich! – Schon im Jahre 1842 wendete ich mich, hochverehrte Lady, an Sie durch Sir George Smart, Consul Hebeler und Sr. Excellenz den Preußischen General-Lieutenant von Below. – So kam ich in den Besitz der beifolgenden Zeilen Ihrer Hand, die ich als ein theures Besitzthum bis jetzt bewahrte und die ich jetzt als ein Zeugniß für mich der Dame übergeben habe, durch die mein Schreiben hoffentlich zu Ihrer Kenntniß gelangt. Vor 2 Jahren wendete ich mich durch die Herren Moscheles und von Benedict nochmals an Sie, jedoch ebenfalls ohne Erfolg, da diese Herren nicht so glücklich waren, Sie zu sprechen. – Die eben [er]wähnte Dame nun lebt in London. Fräulein Hanisch ist die Nichte eines meines werthesten Freunde, des Königl: Preußischen Obersten Borbstädt hier in Berlin. Sie hat es übernommen, es zu versuchen, Ihnen, hohe Frau, diese Zeilen zu übergeben, und mich persönlich bei Ihnen zu vertreten. Obwohl sie mich erst seit kurzem kennt, wird sie dennoch über meine Person und Familie Ihnen jede nöthige Auskunft geben können, wie dies auch eine in London wohnende Dame, Mistriss Jenery-Shee, geborene Baronesse von Lauer-Münchhofen, Gemalin des Herrn Richard Jennery-Shee, Esq. 20 Princes Square Bayswater. W. sich zum Vergnügen machen würde. |

|

Meine Wünsche aber nun, die ich mich, Ihnen vorzulegen, erkühne, sind zwiefach, ja ich bin so unbescheiden noch einen Dritten auszusprechen. – Der erste Wunsch ist: mir die Original Scizze, das Autograph von Weber’s Hand zur Ansicht zu erlauben; die 2te: wenn Sie Sich, wie ich fast glaube, nicht von der Reliquie selbst trennen wollen, zu erlauben, daß von derselben eine Photographie (natürlich auf meine Kosten) angefertigt werde. Den 3ten Wunsch wage ich kaum auszusprechen, will es jedoch dennoch thun. – Meinem umfangreichen Werke, das die beste und würdigste Ausstattung empfangen wird, würde zum höchsten Schmucke gereichen eine Photographie dieser Weber’schen Scizze, dem Titel meines Werke[s] gegenüber [zu stellen]. –

Würden Sie, hoch verehrte Lady, mir die Erlaubniß geben, diese Idee ins Leben treten zu lassen und mir damit eine für mich unschätzbare Gunst bewilligen? – Wie glücklich würden Sie mich durch diese Bewilligung machen! – – – Das Fräulein Hanisch, meine gütige Fürsprecherin bei Ihnen, würde alles auszuführen übernehmen, was Sie in hoher Geneigtheit darüber anzuordnen befehlen würden. – – Zugleich wird diese Dame Ihnen, hochverehrte Lady, einige Photographien auf C. M. v. Weber bezüglich, vorlegen, die meine und der Meinigen thätige Verehrung des Meisters zu erweisen geeignet sind, und würde es mich innigst verbinden, wenn Sie dieselben von mir durch diese Dame in diesem Sinne von mir anzunehmen die Gnade hätten. |

Doch ich fürchte, daß ich Ihre Nachsicht schon allzu lange beansprucht habe. Verzeihen Sie mir deshalb und gewähren Sie, wenn es thunlich, eine oder die andere meiner vorgetragenen Bitten. Ihre Gewährung wird mich glücklicher machen, als Sie ahnen können! Ein Wunsch, durch ein ganzes Menschenleben fast unerfüllt, und doch endlicherfüllt – gehört gewiß zu den selten beglückenden Ereignissen; wenn diese Erfüllung aber mit den edelsten und höchsten Interessen eines Künstlerlebens zusammenhängt, dann muß es warlich ein seltnes Glück sein, was in der Hand dessen ruht, der es zu vergeben hat.

Nie würde ich derjenigen vergessen, auf der mein Auge schon so lange hoffend ruht! –

Innigster, freudevollster Dank würde bis zum Lebensende erfüllen, hohe Frau,
Ihren in tiefster Verehrung ergebenen F. W. Jähns Königlich Preußischer Musik-Direktor

Apparat

Zusammenfassung

stellt sich ausführlich vor und bittet dann, das Autograph des letzten Liedes Webers einsehen zu dürfen und eine Photographie auf seine Kosten herstellen lassen zu dürfen und schließlich die Erlaubnis, diese Photographie dem Titel des WV gegenüberstellen zu dürfen. Der Brief wurde von Frl. Hanisch, der Nichte von Jähns’ Freund Borbstädt an Lady Essex in London geschickt. Vgl. Warrack, John, Es waren seine letzten Töne, in: Weber-Studien 3 (1996), S. 309

Incipit

Wenn ich mir erlaube, als ein Ihnen ganz Fremder

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. V (Mappe I A), Abt. 3, Nr. 26c

    Quellenbeschreibung

    • 2 DBl. (7 b. S. o. Adr.)
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 1099

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl., 1 Bl. (6 b. S. o. Adr.)
    • Blei

Textkonstitution

  • „dauert“über der Zeile hinzugefügt

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.