Friedrich Wilhelm Jähns an Ernst Pasqué in Darmstadt
Berlin, Montag, 5. September 1864
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1864-09-01: an Pasqué
- 1864-09-02: von Pasqué
Folgend
- 1864-09-11: an Pasqué
- 1864-09-06: von Nohl
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1864-09-01: an Pasqué
- 1864-09-02: von Pasqué
Folgend
- 1864-09-11: an Pasqué
- 1864-09-19: von Pasqué
Sehr geehrter Herr.
Vielen herzlichen Dank für Ihren gütigen Inhaltreichen Brief. Es wird mich sehr freuen, die Original-Partitur des Abu zu vergleichen. Bin ich doch in den letzten Tagen wieder über das Erstlingsrecht* ein wenig zweifelhaft geworden, weil sich bei meiner Partitur nicht nur bei den alten Stimmen (8 an der Zahl) deutliche Spuren vorgefunden haben, daß dieselben schon einmal in einen Band vereinigt gewesen sind, sondern dieselben Spuren sich finden bei den beiden nachcomponirten Nummern, Duett u. Arie, respective aus 1812 und 1823 herrührend. Der jetzige Einband ist also ein‡ zweiter für die ganzen 10 Nummern. Die 8 ersten Nummern‡ können also ganz gut die erste Niederschrift sein, denn sie enthalten wie Ihre Partitur fast alle die Daten der Composition, u. es‡ enthalten mehr Nummern diese Daten in meinem Exemplar, als in dem Ihrigen. Vielleicht, daß mich der Anblick des Ihrigen noch weitere Schlüße thun läßt. Jedenfalls ist der Gegenstand ohne große‡ Bedeutung. Das steht wohl fest, daß Weber später noch hineingearbeitet hat, wie eine neue Cello-Passage mit rother Tinte in No dies beweist | daß Weber in Dresden lange nicht alle Briefe von Gottfried’s Söhnen bekam, habe ich lange geahnt; wohin sollte wohl sonst Ihnen‡ jene Mittheilung in den in der Caecilie gegebenen Briefen abzielen? Hauptsächlich ist mir’s um die‡ etwa u. wahrscheinlich in denselben enthaltenen Canons zu thun. Sollten diese die Söhne mitzutheilen sich durchaus nicht entschließen können?? Wenn man diese nur hätte, so wollte ich die dazu nöthigen brieflichen Notizen gern entbehren, so interessant sie auch sein müßten. Nur die Tages-Daten würde ich ungern entbehren. Sie würden der Sache einen großen Dienst leisten, wenn es Ihnen möglich würde, den Ihnen befreundeten Sohn zu bestimmen, die Briefe in Bezug darauf durchzusehen u. etwa sich vorfindende Canons oder Musik v. C.M.‡ mit diplomatischer Genauigkeit copiren zu wollen oder copiren zu lassen. Es ist meine dringende u. ganz ergebenste Bitte an diesen Herrn! Leider sind schon in der Reihe‡ der‡ Werken‡ Weber’s genug Lücken, die nicht | zu ergänzen sind, weil sie entweder notorisch vernichtet, oder doch ganz ohne Spur verschollen sind. Einge werden aber entschieden nicht herausgegeben von den Besitzern, um sie ihrem ungefähren‡ Inhalte u. Umfange nach‡ in meinem Werke aufzuführen, denn weiter soll ja nichts damit geschehn. – Am schmerzlichsten vermisse ich eine Ouverture in Es (wahrscheinlich mit „Heil dir im Sieger-Kranz“ schließend; es ist aber nicht die Jubelouverture natürlich, denn jene vermißte war 1814 schon vorhanden und die Jubelouverture wurde er[st] 1818 componirt u. steht überdies in E.) Jene Ouverture in Es liegt in einem Schranke eines Herrn, den ich erst neulich besuchte; es ist aber ein sehr alter u. sehr beschäftigter Herr, der die Untersuchung des Schrankes scheut, weil sie ihm namentlich sehr mühsam sein mag*. Grade die Auffindung dieser Ouverture aber würde den Schlüßel geben zur Lösung einer Menge kritischer u. entscheidender Fragen – und dennoch muß ich den Schrank ruhig ansehen, | bis doch endlich einmal vielleicht eine glückliche Stunde ihn öffnet u. mir den Schatz in den Schooß wirft. Gebe der Himmel, daß es nicht geschieht, wenn mein Werk bereits gedruckt ist, u. ich dann alle Fäden abgerissen habe, mit denen die Ouverture wunderbar verknüpft ist. Ich kann mir nicht denken [daß] Gottfrieds Söhne ähnliches über dergl. Kunstforschungen verhängen könnten. Empfehlen Sie, verehrtester Herr, darum bitte ich nochmals, meine Wünsche den Söhne[n] Gottfrieds aufs dringendste! – Die copirte Abu Hassan-Partitur hätte ich nicht nöthig; die beregten‡ Briefe C. M. v. Webers die Sie so gütig sind, in Copie mir in Aussicht zu stellen, werde ich mit sehr großem Danke empfangen u. sogleich wieder zurücksenden.
Und somit empfehle ich mich Ihnen denn von Herzen, Ihren gütigen Bestrebungen innigst
dankbar, den bereits erfolgten wie den folgenden, u. habe die Ehre mich zu nennen
Ew: Wohlgeboren
dankbar verbundenen F. W. Jähns.
Berlin 5. Sept. 64.
Krausenstr. 62.
Apparat
Zusammenfassung
dankt für Aussicht auf Ausleihe von Abu Hassan, macht nochmals deutlich, wie sehr ihm an einer Einsicht in Gottfried Weber-Briefe liegt, besonders diejenigen, die Canons oder andere Musik enthalten, sucht eine Ouvertüre in Es-Dur, von der er weiß, dass sie in einem bestimmten Schrank liegt, der Besitzer aber sich scheut, nachzusehen
Incipit
„Vielen herzlichen Dank für Ihren gütigen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Joachim Veit; Frank Ziegler
Überlieferung
Textkonstitution
-
„ein“über der Zeile hinzugefügt
-
„Nummern“über der Zeile hinzugefügt
-
„es“über der Zeile hinzugefügt
-
„große“über der Zeile hinzugefügt
-
„Ihnen“durchgestrichen
-
„die“über der Zeile hinzugefügt
-
„der Reihe“über der Zeile hinzugefügt
-
„r“„n“ überschrieben mit „r“
-
„n“gelöscht
-
„ungefähren“über der Zeile hinzugefügt
-
„u. Umfange nach“über der Zeile hinzugefügt
-
„beregten“sic!
Einzelstellenerläuterung
-
„… Tagen wieder über das Erstlingsrecht“Gemeint ist die Frage, ob das Darmstädter Autograph der Oper oder das Autograph in Familienbesitz das ältere Manuskript ist.
-
„… namentlich sehr mühsam sein mag“Im Werkverzeichnis nennt Jähns 1871 unter Anh. 83 eine (zugeschriebene) Ouvertüre in Es-Dur für Pianoforte, deren Besitzer, der Oberstkämmerer Franz von Pocci in München, war allerdings annähernd gleichaltrig mit Jähns (also keineswegs sehr alt); Pocci hatte das Autograph von seinem Freund A. von Henselt erhalten, wie dieser im Brief an Jähns vom 26. April 1869 mitteilte. Insofern ist nicht denkbar, dass 1864 noch ein weiterer Besitzer gemeint war. Ein Besuch von Jähns 1864 in München wird durch den vorhergehenden Brief an Pasqué vom 1. September 1864 bestätigt. Der im Brief vermutete Zusammenhang mit der Melodie „Heil dir im Sieger-Kranz“ findet im Werkverzeichnis von 1871 keine Bestätigung.