Aufführungsbesprechung Frankfurt a. M.: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 30. Juni 1824
Eine sehr interessante Erscheinung war Mad. Devrient, geborne Schröder, Sängerin vom Dresdner Hoftheater. Sie trat auf als Euryanthe, Emmeline in der Schweizerfamilie, Donna Anna in Don Juan (zu ihrem Benefiz), Agathe im Freyschütz und zulezt noch einmal als Euryanthe. Mad. Devrient ist eine Künstlerin im ächten Sinne des Wortes. Sie weiß den Worten und Tönen Leben, Innigkeit und Bedeutung zu geben, wie es der Dichter verlangt; Gesang und Spiel sind zu einem schönen Ganzen verschmolzen. Sie befriedigte in allen vorgenannten Darstellungen, am meisten aber als Euryanthe. Der Beyfall war außerordentlich, als sie am 17ten dieses das Erstemal in dieser Parthie auftrat. Man war von dem lieblichen Aeußern, von dem ausdrucksvollen Spiel und von dem seelenvollen Gesang auf’s Angenehmste überrascht. Die Oper gewann durch die Künstlerin ein ganz anderes Ansehen und Viele nahmen nun ein gut Theil ihres früheren Tadels zurück. Schon durch diese Künstlerin belebt, konnte die Oper an Ort und Stelle natürlich größeren Beyfall erhalten. Hier war man nun sehr erfreut, den Geist Webers in dieser Darstellung ausgedrückt zu sehen, da der Componist der Sängerin diese Parthie selbst einstudirte. Der Künstlerin wurde auf ihre zweyte Darstellung der Euryanthe als Nachruf folgendes Sonett gewidmet:
Weber hat kürzlich in der Abendzeitung (Nro. 153), in der Nachricht über die Aufführung der Euryanthe in Berlin, ¦ alle feindselige Beurtheiler seiner Euryanthe durch die höchst bescheidenen Worte entwaffnet: „der Komponist hegt die feste Ueberzeugung, daß nur eine vollkommen gereifte Darstellung durch ihre individuelle Vollkommenheit diesem dramatischen Versuche Theilnahme erwerben und erhalten kann.“* Ich nehme deswegen aber, und weil ich nun gleich Vielen die Oper in anderem Lichte gesehen, meinen früher ausgesprochenen Tadel nicht zurück, besonders nachdem mein Urtheil die Billigung mehrerer Kenner, denen ich vertrauen darf, erhalten hat. Ich bin es fest überzeugt, daß Weber hier einen Weg eingeschlagen hat, welcher ein Abweg ist, und den er Mühe haben wird, zu verfolgen, weil er der Popularität entgegen ist. Mir ist es mit Vielen so gegangen, daß ich der Oper zuerst sehr wenig Geschmack abgewinnen konnte, daß sie mich stellenweise langweilte, ja ärgerlich machte, weil ich so wenig Faßliches darin fand, und die vielen Schwierigkeiten, nicht weniger das Recitativ, mich ermüdeten. Die trefflichen Stellen, welche diese Oper enthält, gewinne ich nun immer lieber, aber sie söhnen mich weder mit dem Anderen noch mit dem Ganzen aus, das ich, mit aller Hochachtung vor dem Genius M. Weber’s, wie er selbst, nur für einen Versuch halte. Damit man mein Urtheil nicht der leidigen Allgemeinheit zeihe, werde ich später bemüht seyn, dasselbe mit Gründen im Einzelnen zu unterstützen.
Apparat
Zusammenfassung
Bericht über Euryanthe-Aufführung im Frankfurter Nationaltheater
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bandur, Markus
Überlieferung
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Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 18, Nr. 200 (20. August 1824), S. 800
Einzelstellenerläuterung
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„… Theilnahme erwerben und erhalten kann.“
Vgl. den Bericht über die Verschiebung der Berliner Euryanthe-Aufführung in der Abend-Zeitung (Dresden), Nr. 153 (26. Juni 1824), S. 612, sowie die ausführliche Darstellung: Eveline Bartlitz, „Unrichtigkeit“ oder „Ungenauigkeit“? Der Streit um Webers Euryanthe-Honorar im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Brühl und Spontini, in: Weberiana, Heft 21 (2011), S. 7–36.